lieber selbst.«
»Ich verstehe nicht recht, Hoheit.«
»Ich will Sie nicht länger von Ihrer Arbeit abhalten und lege meinem Vater die Post auf den Schreibtisch.«
»Aber…«
»Sie haben doch nichts dagegen?« fragte Edina mit zuckersüßem Lächeln.
Da konnte der Mann nur hilflos den Kopf schütteln. Er wußte, daß der König niemanden in seinem Arbeitszimmer duldete, wenn er nicht zugegen war.
Aber wie hätte er es der Prinzessin verwehren können?
So kam Edina ins Allerheiligste ihres Vaters, aber ruhiger war sie dadurch noch lange nicht, denn wie sollte sie nun erfahren, was in dem Brief aus Lukorin stand?
Wie ein kleines, erwartungsvolles Kind hüpfte Edina aufgeregt von einem Bein aufs andere.
Da war der Brief, er lag mitten auf der blanken Schreibtischplatte, er entschied über ihr Lebensglück – und sie konnte ihn nicht lesen. Das war zum Verrücktwerden!
Nicht lesen – aber warum eigentlich nicht? Der Brief betraf ja sie. Und wenn es sich auch nicht gehörte, so würde Vati ihr die kleine Eigenmächtigkeit sicher verzeihen.
Prinzessin Edina zögerte nicht mehr. Sie konnte es kaum erwarten. Mit fliegenden Händen griff sie nach dem goldenen, feinziselierten Brieföffner und machte einen entschlossenen Schnitt.
Ein glückliches Lächeln lag dabei auf ihrem hübschen Gesicht, das Glück der Erwartung ließ ihr Herz heftig klopfen.
Nun endlich würde sie mit eigenen Augen lesen können, was ihr Herz so lange schon zu wissen glaubte, nun würde sie schwarz auf weiß von der Liebe des Fürsten von Lukorin lesen.
Edina faltete den weißen Bogen auseinander, begann zu lesen – und erblaßte jäh.
Die Buchstaben flimmerten vor ihren Augen, ihre Knie schienen plötzlich nachzugeben, so daß Edina sich schnell an den Schreibtisch anlehnen mußte, und die Hände zitterten so, daß sie den Bogen kaum noch halten konnte.
Das gab es doch nicht. Das konnte nicht wahr sein! Die Phantasie mußte ihr einen bösen Streich spielen.
Edina kniff sich in die Wange, wie sie es als Kind gemacht hatte, wenn sie etwas nicht glauben wollte.
Aber sie träumte nicht.
Und so lange sie auch auf das weiße Papier starrte, die Zeilen behielten immer die gleiche, unfaßbare Bedeutung, die für Edina eine ganze Welt zusammenstürzen ließ.
Noch einmal las Edina, sie sprach die Worte leise vor sich hin und wehrte sich dagegen, den Sinn zu begreifen. Aber in ihrem Innersten wußte sie doch schon, daß es wahr war, was sie dort laut las:
»Fürst Drago von Lukorin beehrt sich, den König von Norawa nebst Gemahlin und Tochter zu dem Empfang einzuladen, den er anläßlich seiner Verlobung mit Valeska Gräfin zu Lilienwerth gibt.«
Verlobung! Der Fürst von Lukorin wollte sich verloben. Er hatte sich für eine Frau entschieden, wollte bald heiraten, so wie Prinzessin Edina es sich in ihren Träumen immer ausgemalt hatte. Aber nicht sie war die Erwählte. Eine andere Frau wollte Fürst Drago heiraten.
Edina war noch wie betäubt.
Zu unverhofft war der Schlag gekommen, zu jäh war sie aus ihren süßen Träumen gerissen worden, die sie immer für bare Münze genommen hatte. Und nun sollte alles vorbei sein?
Edina wehrte sich dagegen.
Sie lehnte sich gegen die bloße Vorstellung auf, wollte es nicht wahrhaben, wollte es einfach nicht akzeptieren.
Sie war so sicher gewesen. Viel zu sicher. Und nun sollte sie, praktisch von einer Minute auf die andere, davon überzeugt werden, daß sie während des ganzen letzten Jahres in einem Luftschloß gelebt hatte?
Nein, das war zuviel verlangt! Das konnte die kleine Prinzessin nicht einsehen, das konnte sie nicht glauben. Und sie wollte es auch nicht.
Der Fürst von Lukorin liebte sie doch sehr. Er hatte es ihr zwar nicht gesagt, nicht direkt, aber er war so lieb und nett gewesen, so freundlich, daß Edina ganz sicher war, so und nur so müsse die Liebe sein.
Sie war ja noch so unerfahren, die kleine Prinzessin. Und sie war es von Kindheit her gewohnt, daß sich ihr jeder Wunsch erfüllte.
Da sollte es ausgerechnet jetzt, wo ihr ganzes Herz hinter ihrem Wunsch stand, anders sein? Da sollte sie verzichten lernen?
Edina starrte auf das weiße Blatt in ihrer Hand.
Valeska Gräfin zu Lilienwerth!
Das Bild jener Frau stieg vor ihr auf, mit der Fürst Drago den Ball eröffnet hatte. Eine schöne, eine wunderschöne Frau. Edina hatte es neidlos zugegeben. Aber sie war doch mit dem Fürsten verwandt. Hatte Graf Brosz es ihr nicht erzählt?
Nun ja, von einer weitläufigen Verwandtschaft war die Rede gewesen, und Edina wußte sehr wohl, daß das im Grunde kein Ehehindernis war.
Aber sie hatte sich hinter dieser Verwandtschaft versteckt wie hinter einem Schild, sie hatte ihre Träume durch gar nichts und durch niemanden in Gefahr bringen wollen, und dabei hatte Edina überhaupt nicht gemerkt, daß sie den Kopf in den Sand steckte. Daß sie sich selbst etwas vormachte.
Auch jetzt wollte sie es noch nicht merken, wollte es nicht einsehen.
Gräfin Valeska war zwar schön, aber ihrer Ansicht nach sah sie doch aus, als ob sie älter wäre als der Fürst.
Wie konnte Drago nur so etwas tun. Wie konnte er die Gräfin heiraten wollen, wo doch sie, die Prinzessin von Norawa, ihn liebte.
Hatte da nicht sie, schon dem Rang nach, das Vorrecht?
Ach, Edina wußte kaum wohin sich ihre Gedanken verstiegen.
Sie steigerte sich nur immer mehr in die Überzeugung hinein, daß noch nicht alles verloren war, daß sie ihr Glück noch mit dem Fürsten von Lukorin finden würde. Sie liebte ihn doch.
Oder ob der Fürst das vielleicht gar nicht wußte?
Ja, natürlich! Das mußte es sein.
Er ahnte nichts davon daß die Prinzessin von Norawa ihn liebte.
Edina hatte sich wie eine vollendete Dame benommen und nichts von ihren Gefühlen verraten.
Wie stolz war die Prinzessin gewesen, daß sie sich beim letzten Ball so tapfer gehalten hatte, daß sie nichts von dem erzählt hatte, was ihr Herz so sehr bewegte.
War das vielleicht doch ein Fehler gewesen? Hätte sie lieber…
Aber noch war es nicht zu spät. Noch war der Fürst nicht offiziell verlobt, geschweige denn vermählt. Noch konnte er die Sache rückgängig machen.
Edina zweifelte keine Sekunde daran, daß er es auch tun würde, wenn er erführe, daß er von ihr geliebt wurde.
Welch ein bezaubernder Kindskopf Edina doch noch war.
Sie stand unmittelbar an der Schwelle des Erwachsenseins, sie würde diese Schwelle sogar noch überschreiten, was sie allerdings noch nicht wußte. Aber Edina wehrte sich dagegen, sie wollte ihre kindlichen Wünsche und Vorstellungen nicht aufgeben. Sie glaubte, das, was sie wollte, unbedingt ertrotzen zu können, ganz einfach, weil es nichts geben durfte, was sich ihren Wünschen in den Weg stellte.
Verlobung auf Schloß Lukorin!
O ja, es würde eine Verlobung geben, sehr bald schon. Aber die Braut würde nicht Valeska Gräfin zu Lilienwerth heißen, sondern Prinzessin Edina Mandaljena von Norawa.
Jawohl, genau so würde es sein. Denn nur sie, die Prinzessin, konnte Fürst Drago glücklich machen, weil sie ihn liebte.
Der Fürst wußte es nur nicht. Darum mußte sie es ihm sagen.
Keine Minute durfte sie verlieren.
*
Wie