Beispiel bei 09/11 und dem Krieg im Irak und in Afghanistan deutlich sichtbar war. In solchen Fällen ist das fehlgeleitete Eigenleben der Politik unübersehbar. Die Politik erfüllt nicht ihre Aufgaben, sondern definiert sich diese selbst, und so kommt es, dass in großen Teilen der Welt Hunger herrscht, Wassermangel, Gewalt, Imperialismus, Umweltzerstörung, Krieg, Trennung, Hass und Intoleranz, statt der Bemühung um globale Einheit, Weltfrieden und umfassenden Wohlstand in einer blühenden Welt, was alles Folge von wachsendem Bewusstsein wäre.
Eine andere Folge des fehlgeleiteten Selbstverständnis der Politik, aber auch einer – vielleicht sogar bewusst – verdummten Gesellschaft ist, dass das Leben, und nicht nur dessen rechtlicher Aspekt, immer komplizierter wird. Es gibt Subventionen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene, Ausgleichszahlungen, Kilometerpauschalen, Freibeträge, Steuern für dies, Steuern für das, versteckte Steuern, Umschichtungen, Umschichtungen der Umschichtungen, verschleierungstaktische Umbenennung altbekannter Phänomene, Paragrafen, Zusatzparagrafen, Änderung zur Änderung der Änderung und jede Menge Versuche, eine größere gefühlte oder objektive Gleichbehandlung oder -misshandlung zu erreichen, was nicht zuletzt auch auf eine stetig steigende Klagewut enttäuschter, entsetzter, frustrierter, vereinsamter oder im Anspruchsdenken gefangener Bürger zurückzuführen ist. Es gibt also im Extremfall Menschen, die dem Staat mehr oder weniger komplett die Verantwortung für ihr gesamtes Leben in die Hand gegeben haben (oder welche die staatliche Reglementierungswut dahingehend interpretieren) und solche, die der Meinung sind, der Staat solle sich auf ein Mindestmaß an Aktivität und Einflussnahme beschränken oder dass man auf einen Staat im Zweifelsfalle auch gänzlich verzichten könnte.
Nun, einen absolut gerechten Staat gibt es nicht und wird es wohl auch nicht geben. Wenn man von dieser Annahme und diesen Beobachtungen der realen Politik und der tagtäglichen Wirklichkeit ausgeht, dann wird aber klar, dass es so auf Dauer nicht weitergehen kann. Die gegenwärtige Lage ist ein einziges Flickwerk, mag die politische Beschreibung davon auch noch so großsprecherisch und idealisierend klingen. Und man kann auch nicht davon ausgehen, dass die Untertanen in aller Welt das alles ewig mitmachen.
Als im 18. Jahrhundert die französische Revolution ihren blutigen Anfang genommen hatte, hatte sie nicht nur ein paar nachwachsende alte Zöpfe abgeschnitten, sondern ihr Programm und ihre Hoffnung für die Welt knapp und prägnant in drei übersichtlichen und leicht verständlichen Worten formuliert: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. An die Verwirklichung des ersten Punktes, der Freiheit, hat sie sich auch gleich ohne Zögern gemacht, zumindest auf der äußerlichen Ebene, denn das schien der drängendste und einfachste Punkt zu sein. Die Gleichheit hat sie dann per Verordnung, einem Mittel der Unfreiheit, verfügt und nie richtig durchsetzen können, was sicherlich auch an der oberflächlichen Deutung des Begriffs der Gleichheit lag, denn auf dieser oberflächlichen Ebene gibt es keine Gleichheit; es gibt nur eine uniformierende Gleichbehandlung. Und die Brüderlichkeit war ohnehin nie mehr als ein pathetisches und poetisches Element, ein abstraktes Konzept von etwas, das sich durch die Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit wie von selbst einstellen müsste. Die Brüderlichkeit war immer das Stiefkind der Revolution, weshalb diese auch so blutig verlaufen ist. Die Revolution wäre damals erfolgreicher verlaufen, wenn mehr Gewicht auf die Brüderlichkeit gelegt worden wäre, oder die drei Bestandteile zumindest als gleichwertig angesehen worden wären.
Heute ist die Welt komplexer geworden, und es scheint so, als könnte man mit diesem Schlachtruf von einst nichts mehr bewegen, geschweige denn eine Erneuerung in der Lage der Welt und des Politikverständnisses anzetteln. Dabei wären diese drei Bestandteile des Mottos der französischen Revolution durchaus geeignet, die Probleme der heutigen Welt zu bewältigen, wenn man sie nur richtig verstehen würde. Statt dessen stellt sich die Frage, wie lange die Menschen, die bisher nur leicht unzufrieden alles hingenommen haben, die immer unhaltbarer werdenden Zustände auf dieser Welt und die Verantwortungslosigkeit der Politik und der sie betreibenden Politiker noch tatenlos mitansehen werden. Die Welt schreit jedenfalls lauter als je zuvor nach umfassenden und durchgreifenden Änderungen, nicht nach unverbindlichen Verlautbarungen und einem weiteren Wust an Zusatzparagrafen. Mit den Mitteln der gegenwärtigen Politik und dem damit zusammenhängenden Politikverständnis sowie mit dem grassierenden Imperialismus scheint dies allerdings kaum machbar.
Wir brauchen dafür eine neue Revolution. Und diese neue Revolution muss durchaus nicht so ablaufen, wie die französische vor einem viertel Jahrtausend, obwohl ein solcher Verlauf natürlich auch möglich ist. Und wie damals liegt dieser Verlauf auch heute nicht nur in der Hand der aufbegehrenden und unzufriedenen Masse, sondern auch ganz wesentlich in der Hand der herrschenden Kaste. Der Impuls, der Wunsch nach Veränderung ist da, und durch Verständnis, Erkenntnis und Zusammenarbeit kann man diesem Impuls eine Form und einen Elan geben, der ihn zu einer machtvollen und tiefgreifenden Revolution Aller für Alle macht statt zur Revolution Vieler gegen Einige. Noch ist Zeit, wirkliche Veränderungen in Gang zu bringen, aber die Uhr tickt bereits.
Die Revolution damals hat das Konzept der Demokratie in Erinnerung gerufen und die Errichtung demokratischer Strukturen gefördert und gefestigt. Das war sicherlich ein Erfolg, aber was ihre eigenen Ideale anging, so hat sie versagt. Waren die Ideale also falsch oder ungeeignet als Mittel der Politik? Das mag wohl so den Anschein haben, aber die Menschen damals sind letztlich an dem gleichen Problem gescheitert wie die angewandte Atomphysik oder die moderne Industrie. Der Macht im einen wie dem Wissen im anderen Fall stand einfach ein ungenügendes Bewusstsein gegenüber. Wenn man sich auf ein wildes Pferd setzt, um es zu zähmen, so braucht man dazu Kraft und Können; wem diese Fähigkeiten abgehen, dem geht im besten Fall das Pferd durch, im schlimmsten Fall war es das letzte, was er in seinem Leben gemacht hat. Und darum haben wir jetzt abgeworfene Atombomben, ein riesiges Arsenal von Nuklearsprengköpfen auf aller Welt, verstrahlte Landstriche, Umweltverschmutzung, eine Klimakatastrophe, und innerhalb von vielleicht fünfzig Jahren haben wir Unmengen an unermüdlich vor sich hin strahlenden Atommüll angesammelt, der unsere Nachfahren auch in 100.000 Jahren noch unangenehm an uns erinnern wird, wenn es denn dann noch Nachfahren von uns geben wird.
Aber mit welchem Werkzeug soll die Politik uns nun aus der Klemme helfen? Was ist die wirkliche Aufgabe der Politik? Wie sieht das Selbstverständnis der Politik idealerweise aus? Lag die französische Revolution, die ja die Mutter der modernen Politik ist, mit ihrem Motto wirklich so daneben?
Versuchen wir zur Klärung dieser Fragen doch mal herauszufinden, wie man die Ideale der französischen Revolution denn heute interpretieren könnte.
Da hätten wir zuerst einmal die Freiheit. Damals bedeutete Freiheit ganz klar die Abschaffung aristokratischer Willkür und der Form von Sklaverei, die sich Leibeigenschaft nannte. Heute würden die meisten Menschen Freiheit dahingehend interpretieren, machen zu können was man will oder zumindest im Wesentlichen selbst über das eigene Leben bestimmen zu können, was dazu führt, dass für viele Menschen Geld und Besitz zum Inbegriff von Freiheit geworden sind. Freiheit in Form von Bewegungsfreiheit und Selbstbestimmung sind in den meisten Industrieländern ein fast selbstverständlicher Anspruch. Aber ist es tatsächlich so einfach, und ist es damit schon getan? Wie sieht es mit der Freiheit aus, wenn die Freiheit des Einen die des Anderen beschränkt (eine nie versiegende Quelle zunehmender Nachbarschaftskonflikte)? Offensichtlich ist Freiheit in der Form unbegrenzter Freizügigkeit kein verlässlicher Bestandteil der Politik, denn um jedem ein gewisses Maß an Freiheiten zu gewähren, müssen die Freiheiten auch für alle beschränkt werden. Und schon haben wir unser stetig komplizierter werdendes Netz an Geboten und Verboten, an Regeln und Gesetzen. Dabei sollte man doch eigentlich meinen, dass Freiheit ein einfacher und leicht verständlicher Begriff sei, den jeder verstehen und anwenden kann. Aber dem stehen verschiedene Faktoren gegenüber: Egoismus, Einfühlungsvermögen, Verständnis von Zusammenhängen, Einsichtsfähigkeit... Das sind einige Punkte, von denen das Ausmaß der Freiheit abhängig ist, das der Einzelne für sich beanspruchen kann.
Nun gibt es zwei, genaugenommen sogar drei Möglichkeiten, mit denen man zu individueller Freiheit gelangen kann: das Rechtswesen, die Verständnisfähigkeit und die Entdeckung innerer Freiheit.
Das Rechtswesen bietet ein fragiles Gleichgewicht, indem es versucht, zwischen dem Recht der Gemeinschaft und dem Individuum wie auch zwischen den Individuen zu vermitteln. Die so vermittelte Freiheit ist sehr grob, weil sie sehr pauschal ist und, wie