Anand Buchwald

Politik – Eine Zukunft für die Zukunft


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und es würde sich nie einem Tyrannen wie Hitler unterworfen haben – er hätte noch nicht mal eine Chance gehabt, bekannt zu werden.

      Und wenn die Menschheit einmal wirklich aus lauter Individuen besteht, dann werden Regierungen in der heutigen Form nicht mehr denkbar und nicht mehr nötig sein – und das ist auch der Grund, weshalb alle Regierungen den mündigen, individuellen, rechtlich und in der Wertschätzung gleichgestellten Bürger fürchten und die Volksverdummung nach Möglichkeit fördern.

      Der Teil des Revolutionsslogans, der nie auch nur ansatzweise verwirklicht wurde, der aber eigentlich der zentrale Punkt ist, aus dem sich alles andere ergibt, und der auch der machtvollste der drei ist, dieser Teil ist die Brüderlichkeit. In diesem Wort schwingt so etwas wie Kameradschaft und Freundschaft mit: Seid nett zueinander und alles wird gut. Das mag vielleicht etwas zynisch oder populistisch klingen, aber im Wesentlichen stimmt das.

      Brüderlichkeit bedeutet, dass man sich um seinen Bruder, also seinen Mitmenschen und damit auch die Menschheit insgesamt sorgt, dass man ihnen selbstlos das Beste wünscht und sie fördert und sich dabei progressiv vom tierischen Erbe löst. Brüderlichkeit bedeutet Liebe, Zugetan-sein, aber nicht in Form trauter Zweisamkeit, sondern in Form einer Liebe, die darüber hinausgeht, einer Liebe zur Menschheit und ihrem Potential, eine Liebe zur Schöpfung und evtl. ihrem Schöpfer. Und wenn man an einen Schöpfer glaubt, dann ist das Universum samt dem Staubkorn namens Erde, Ausdruck der schöpferischen Liebe. Wir haben nur noch nicht die Fähigkeit entwickelt, sie zu sehen, denn man erkennt nur etwas, das man kennt, dessen Abbild man in sich trägt. Wenn jemand z.B. kein Gefühl für Musik hat, dann ist sie für ihn eine sinnlose Aneinanderreihung von Tönen, eine Kakophonie. Doch wer wirklich musikalisch ist, der hört Musik in jedem Rauschen der Blätter und des Windes.

      Und genauso verhält es sich mit der Brüderlichkeit, mit der Liebe. Und das ist der eigentliche Urgrund aller Probleme auf dieser Welt. Es gibt nur wenige Menschen, die bereit sind, die Stufenleiter der Liebe in sich zu entdecken und sie zu erklimmen.

      Zuunterst befindet sich der Wunsch nach Anerkennung und Liebe. Aus diesem Wunsch heraus begehen wir Taten, von denen wir glauben, dass ihre Größe und unsere Leistung uns die Anerkennung anderer eintragen werden. Die schlimmsten dieser Taten sind z. B. Eroberungs- und Bereicherungskriege.

      Eng damit verwandt ist die Eigenliebe. Man sieht nur sich selbst und kümmert sich nur um das eigene Wohlergehen; das ist die Liebe des Egoisten, der Geld und Macht scheffelt, ausbeutet, die Welt zerstört und im Vorübergehen grausam ist und zum Erreichen seiner Ego-Ziele auch Kriege anstiftet. Diese selbstverliebten Egoisten sind das größte Problem auf der Erde, denn sie denken nur an sich und können nicht zusammenarbeiten und große Zusammenhänge erkennen.

      Eine gewisse, eingeschränkte Zusammenarbeit ist erst auf der nächsten Stufe, der bedingten Liebe, möglich. Diese Liebe ist geprägt von Misstrauen und Bedingungen. Auf diese Stufe gehören die meisten Zweierbeziehungen. Man liebt, anfänglich vielleicht sogar spontan, aber auf Dauer nur unter der Bedingung, wieder geliebt zu werden. Erlischt die Liebe des Partners, so erlischt auch die eigene. Auch mit dieser Form der Liebe ist eine geeinte Menschheit oder auch nur ein in sich geeintes Kommunalwesen nicht möglich, denn die Beziehungen untereinander sind geprägt von Misstrauen, Taktieren und vielen Bedingungen, die wichtiger erscheinen, als die große Vision, die ihnen ohnehin abgeht.

      Erst die nächste Stufe der Liebe ist zukunftsträchtig, erst die nächste Stufe der Brüderlichkeit offenbart den wahren Humanisten. Hier ist man dem anderen zugetan ohne eine Gegenleistung zu erwarten und auch wenn man sie nie bekommt. Hier ist Liebe ein Wert an sich, und sie wächst und bringt Freude mit sich, je mehr man davon gibt. Wenn man frisch verliebt ist, gibt es manchmal Augenblicke, in denen sich die Liebe nicht auf den Partner fixiert, sondern nach außen geht und weit wird, um die Welt teilhaben zu lassen.

      Eine Liebe, die einfach liebt, ohne Bedingungen, das ist wahre Brüderlichkeit. Wenn man so liebt, dann wünscht man sich das Beste für den Gegenstand der Liebe, und der Partner ist nur einer von vielen solchen „Gegenständen“. Je mehr die Liebe und die Brüderlichkeit wachsen, desto größer wird ihr Wirkenskreis, ihr Feld der Liebe und Brüderlichkeit: die Freunde, die Bekannten, das kleinere oder größere Lebensumfeld, die Landsleute und das eigene Land, den Kontinent, die Menschheit an sich, die Erde und das Leben auf ihr, das Sonnensystem, die Milchstraße und letztlich die ganze Schöpfung samt mutmaßlichem Schöpfer. Wenn man sich all dem zunehmend brüderlich verbunden fühlt, wenn man all dies in sein Herz aufnehmen kann, dann ist man auch in der Lage sämtliche Problemstellungen zunehmend global zu betrachten. Für wahre Brüderlichkeit gibt es keine Grenzen, denn Grenzen sind vor allem Machtmittel. „Teile und Herrsche“, sagte Machiavelli einmal, und die Geistesart, die sich darin ausdrückt, kümmert sich nicht um das Wohlergehen der übrigen Menschen, sondern nur darum, diese künstliche Aufteilung und Zersplitterung aufrechtzuerhalten und möglichst noch zu verstärken. Sie ist der direkte Gegensatz zur heilenden und verbindenden Brüderlichkeit und wird erbittert um ihre Vormachtstellung kämpfen.

      „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ hieß der Slogan, und der Schlüssel zu seiner Verwirklichung ist die vernachlässigte Brüderlichkeit, die Liebe. Nur in der Liebe ist wirkliche Gleichheit möglich, nur die Liebe schafft die Voraussetzung für die Entfaltung der Persönlichkeit und die Individualisierung. Und die Individualisierung und Entfaltung der Persönlichkeit bringt ganz natürlich das Bewusstseinswachstum mit sich, das in sich die Freiheit trägt.

      Die französische Revolution hat die moderne Politik begründet, und das geheime, verborgene und bei Politikern gefürchtete wahre, innere Gesicht der Politik ist der Slogan, den sich die Revolutionäre auf die Fahnen geschrieben haben: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder moderner: Bewusstsein, Individualität, Liebe.

      Manch einer wird vielleicht sagen, dass man damit keine Politik machen kann, dass sich daraus kein Programm, keine Aufgabe für die Politik ableiten lässt, denn diese Dinge kann man nicht per Dekret einführen. Das ist zweifelsohne richtig, denn diese Dinge müssen wachsen. Aber alles, was wachsen kann, kann man auch fördern. Und es reicht nicht, mit der Förderung an einem Punkt anzusetzen, sie muss integral sein, denn Bewusstsein, Individualität und Liebe sind letztlich miteinander verwoben, keines der drei steht für sich allein. Jeder Fortschritt, egal an welcher Stelle, hat Auswirkungen auf die anderen Punkte und stärkt diese.

      Wichtig ist zuallererst, dass man erkennt, dass sich etwas ändern muss, und dann, was sich ändern muss. Ohne diese Erkenntnis, die einem meist nicht zufliegt, sondern um die man sich bemühen muss, wird kein Schritt getan, und ohne ersten Schritt, gibt es keine Bewegung und damit keinen Fortschritt. Erst dann kann man darangehen, herauszufinden, was man tun kann. Wenn man diese notwendige Erkenntnis erst einmal erlangt hat, kann man beginnen, diese Aspekte in sich selbst mit Leben zu füllen und sich selbst auf den Weg zu machen, denn das lebendige Beispiel hat eine unvergleichliche Macht, und außerdem weiß man dann eher, wovon man redet. Dann kann man versuchen, andere an der Erkenntnis teilhaben zu lassen. Wenn man diese Erkenntnis verbreitet, schafft man damit ein Bewusstsein, eine vielleicht anfangs unterschwellige Bereitschaft für einen Wandel. Und das gilt nicht nur für Politiker, das gilt für jeden Bürger, denn genau genommen hat jeder Mensch Anteil an der Gemeinschaft, der polis und ist damit politisch. Damit schafft man eine Atmosphäre des Wandels.

      Für den Politiker und den Staat, also die Gemeinschaft der Menschen, die er vertritt, gibt es natürlich noch weitere Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Gutwille, Fortschrittswille und Zusammenarbeit sind ganz natürliche Eigenschaften der menschlichen Natur, die nie wirklich gefördert wurden, eher im Gegenteil. Die Politik hat, auch wenn das gern bestritten wird, einen großen Einfluss auf die Medien. Um ein Bewusstsein zu schaffen, muss man die Problematik und die Lösungsmöglichkeiten immer wieder und in vielfältiger Form zur Sprache bringen. Und Drehbuchautoren sind nicht dumm; sie können neue Inhalte durchaus spannend unters Volk bringen. Die Menschen brauchen neue Helden, neue Spiele, neue Bücher, neue Musik, neue Begegnungsmöglichkeiten – aber nicht zwanghaft. Wir brauchen eine Kultur- und Bewusstseinsrevolution, die ohne Druck und Agitatoren von den Menschen getragen wird.

      Zusammenarbeit, Gemeinschaftsgefühl, Verantwortung und liebevolles Miteinander sind Eigenschaften, die schon im Kindergarten vermittelt werden können. Je früher