Anand Buchwald

Politik – Eine Zukunft für die Zukunft


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sind die größtenteils unfreiwilligen Völkerwanderungen, die zur Zeit auf der Erde wieder in großem Maßstab stattfinden, auf lange Sicht gesehen eine Chance auf ein Aufbrechen verkrusteter Strukturen und ein kleiner Baustein auf dem Weg zu einer übernationalen, globaleren Kultur, vorausgesetzt man schafft es, nationale und territoriale Egoismen zu überwinden, indem man etwa die ohnehin unausweichliche Veränderung annimmt und es schafft, ein Bewusstsein der Offenheit, des Annehmens, der Zusammenarbeit und des Fortschrittswillens zu erzeugen.

      Ähnlich verhält es sich mit dem Problem der Globalisierung. Diese ist entstanden durch ein rasantes technologisches Wachstum, welches jegliche Art von Kontakten, Reisen, Mobilität und Warenaustausch innerhalb eines für geschichtliche Maßstäbe extrem kurzen Zeitraums ungeheuer erleichtert, dabei aber auch zu solchen Fehlentwicklungen geführt hat, dass Kleidung in China gefertigt wird, Elektronik in Taiwan, Brillengläser in Thailand usw., statt verbrauchernah zu produzieren und bevorzugt die Lebensmittel der unmittelbaren Umgebung zu konsumieren. Allerdings reagieren wir auf diese Entwicklung noch mit allenfalls mittelalterlichen Geschwindigkeiten. Das bedeutet, dass die zentrifugalen Kräfte in der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung und damit im gesellschaftlichen Bewusstsein in kurzer Zeit enorm zugenommen haben, die kulturelle Integration und die Reaktion auf wirtschaftliche und sonstige Auswüchse damit aber nicht Schritt halten konnten. Der innere Kreis sieht sich also, sowohl auf gesellschaftlicher wie auch auf individueller Ebene, starken und zunehmend überhand nehmenden zentrifugalen Kräften ausgesetzt, denen er nichts entgegensetzen kann. Die übliche Folge davon ist, dass der innere Kreis durch eine Art Selbsterhaltungstrieb dicht macht und sich verweigert, was sich individuell in einem Beharren auf Traditionen und der Ablehnung von Neuerungen ausdrückt und gesellschaftlich in Nationalismus und Globalisierungsangst.

      Diese Beschleunigung aller Aspekte des äußeren Lebens lässt sich nicht aufhalten oder gar rückgängig machen, und das ist auch nicht wirklich nötig oder empfehlenswert. Wenn man die gesellschaftliche Entwicklung und Bewusstseinsentfaltung mit der menschlichen Entwicklung in Beziehung setzt, dann entspricht sie zum jetzigen Zeitpunkt dem Status eines Kleinkinds, das gerade beginnt, sprechen zu lernen und alle neuen Worte in sich aufzusaugen. Das ist für ein Kind ein enormer Schritt, den wir, die wir diesen Schritt in unserer individuellen Entwicklung schon längst hinter uns gebracht haben, wissend begleiten und fördern können. Dieses Eintreten in die neue Entwicklungsphase stellt für das Kind so etwas wie eine Beschleunigung der Bewusstseinsentwicklung dar.

      Und diese Bewusstseinsbeschleunigung findet auch global durch die neuen technologischen Möglichkeiten und Entwicklungen auf äußerer, materieller Ebene statt, und statt uns ihr zu verweigern, sind wir gefragt, in sie einzutauchen und uns ihr zu öffnen. Doch ebenso wie ein kleines Kind müssen wir, individuell wie gesellschaftlich, lernen, genau zuzuhören und die richtigen Muskeln in der richtigen Stärke, Präzision und Abfolge zu bewegen. Statt also angesichts der auf uns einstürmenden Entwicklungen den inneren Kreis dicht zu machen, müssen wir lernen, ihn mit genügend Inhalt zu füllen, um ihn parallel zum äußeren Wachstum ausweiten zu können, so dass wir in der Lage sind, ein neues Gleichgewicht auf höherem Niveau zu finden.

      Alles bisherige Wachstum ist sehr gemächlich vor sich gegangen, so dass nie ein so eklatantes Ungleichgewicht zwischen Innen und Außen entstand und es darum auch keine Notwendigkeit gab, ein Wachstumsbewusstsein zu entwickeln. Aber mittlerweile ist angesichts der beschleunigten Entwicklung ein solches Bewusstsein dringend nötig und längst überfällig. Wir sind seit etwas über zweihundert Jahren dabei, in eine neue Phase unserer Entwicklung einzutreten, für die wir noch nicht die nötigen Werkzeuge und Fähigkeiten entwickelt haben. Darum müssen wir uns dringend eine Bewusstseinsbeschleunigung zu eigen machen, welche die globale Technologie- und Kommunikationsbeschleunigung mehr als wettmacht. Genaugenommen wäre sogar eine Umkehrung des bisherigen Procederes notwendig, bei dem es immer zuerst ein äußeres Wachstum gab, auf das dann ein inneres Wachstum und eine kulturelle Integration folgte. Angesichts der vielen technologischen Neuerungen wie etwa der Atomtechnologie, der Nanotechnologie, der Embryonen- und Stammzellenforschung, des stetig wachsenden Energiebedarfs, der zunehmenden Vernetzung der Welt, was Personenverkehr, Kommunikation, Waren- und Finanzgeschäfte betrifft, und nicht zuletzt in Hinblick auf globale medizinische und Ernährungsprobleme und den leichten Zugang zu letztlich völlig überflüssigen Waffen und Massenvernichtungsmitteln ist es eigentlich absolut unumgänglich, dass Wachstumsprozesse nicht mehr von außen aufoktroyiert werden, sondern dass dem äußeren Wachstum ein inneres vorausgeht und Entwicklungen und Entdeckungen auf ein Bewusstsein treffen und am besten auch von diesem gemacht werden, das bereit für sie ist.

      Wenn Wissenschaftler Entdeckungen machen, und jegliche Verantwortung für die Folgen ablehnen, so haben sie zwar insofern recht, als sie nicht alles, was sich daraus entwickelt, kontrollieren können, aber sie haben vielfach auch gar kein Interesse daran und haben darum auch noch keine ernsthaften Bemühungen zur Einrichtung eines globalen Wissenschaftszweiges der Technik- und Bewusstseinsfolgenabschätzung gemacht. Und auch wenn die Wissenschaftler eine nicht geringe Mitverantwortung haben, so ist dies doch im Grunde genommen auch ein Problem der globalen Bewusstseinsentwicklung. Letztendlich geht es um die alte Frage, wer der Herr im eigenen Haus ist: Lassen wir uns von den Entwicklungen, Erfindungen und Umständen überrollen und bestimmen, oder lenken wir unsere Entwicklung selbst mit Bewusstsein und Planung?

      Und genau darum geht es auch beim Thema Nation und Globalisierung. Die Auswüchse in diesem Zusammenhang hängen mit der Angst vor dem Verlust der nationalen Identität zusammen, die ein Strohhalm von Altbekanntem und Bewährtem ist, an den wir uns klammern, mit der Vogel-Strauß-Mentalität, die sich nicht mit der Realität auseinandersetzen will, aber auch mit der Ohnmacht, die das Individuum gegenüber der Politik spürt, deren Winkelzüge und internationale und wirtschaftliche Verflechtungen längst nicht mehr durchschaubar sind. Dies hinterlässt ein kollektives Unbehagen gegenüber der Politik, der Ehrlichkeit und Motivation der Politiker, ihrem Durchblick bezüglich der zunehmenden Vielfalt von Gesetzen, deren Auswirkungen und Interaktion, sozialer Bedürfnisse und der nationalen und globalen Entwicklung. Dass sich unter solchen Umständen Nationalismus und Globalisierungsangst breit machen, ist zwar nicht gut, aber verständlich. Die Bevölkerung auf der ganzen Welt weiß, dass etwas falsch läuft, dass eine ganze Menge falsch läuft, und kann das auch an einzelnen Symptomen belegen, aber die Probleme in ihrer Gesamtheit sind so komplex, dass eigentlich niemand auf der Welt sie mehr in ihrer Ganzheit verstehen kann. Und statt dass die Dinge einfacher werden, werden sie immer nur komplexer. Jeder Bürokratieabbau scheint zu noch mehr Bürokratie zu führen.

      Das Hauptproblem dieses Fragenkomplexes ist der allgemeine Egoismus. Babys brauchen diesen absoluten Egoismus, um überleben und sich gesund entwickeln zu können, aber sobald die Babyphase hinter ihnen liegt, müssen sie lernen, diesen Egoismus abzulegen und zu einem verantwortungsbewussten Teil der Gemeinschaft zu werden. Die Fragen und Probleme der Globalisierung sind Ausdruck der gleichen Entwicklungsphase bei der menschlichen Spezies, und unsere Aufgabe ist es nicht, die Globalisierung abzuschaffen oder rückgängig zu machen, sondern zu lernen, sie richtig und verträglich durchzuführen.

      Und dazu wiederum müssen wir im Bewusstsein wachsen. Dieses Wachstum hat drei ineinander verwobene Aspekte, den Aspekt des Volumens, den des Verständnisses und den der Geschwindigkeit.

      Wachstum im Volumen bedeutet, das Bewusstsein auszuweiten und fortschreitend immer mehr Dinge zu erfassen und sie miteinander und mit sich selbst in Beziehung zu setzen und zu vernetzen und in der Folge die Welt und ihre Abläufe und Interaktionen untereinander und mit sich selbst besser zu verstehen. Und das ist bei der zunehmenden Komplexität der Welt und der Politik auch bitter nötig – einerseits. Andererseits ist die Komplexität, nicht nur in der Politik, nicht nur eine Folge der uralten Methode zur Machtausübung „Teile und herrsche“, sondern auch die Folge von Abgrenzung und Egoismus. Jeder Mensch, jede Körperschaft, jede Kommune, jeder Staat hat Wünsche und Bedürfnisse, die sich in der Regel ausschließlich auf sich selbst beziehen. In der Folge versucht ein jeder, diese Wünsche und Bedürfnisse durchzusetzen, ohne Rücksicht auf andere und die Gesamtsituation. Der Staat und sonstige übergeordnete Entitäten versuchen zum einen möglichst viel zu regeln und möglichst wenig Freiheiten zu gewähren und von ihrer Macht abzugeben, der Staat ist aber auch gezwungen, sowohl von seiner Aufgabe her, alle Bürger gleich zu behandeln, aber auch durch