Heinrich Mann

Gesammelte Werke


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werden“, sagte Diederich schneidend. Sötbier jammerte.

      „Unser alter hat uns noch immer genügt.“

      „Mir nicht.“

      Sötbier schwur, er sei so leistungsfähig wie die allerneuesten, die nur durch schwindelhafte Reklame emporgetragen würden. Als Diederich hart blieb, öffnete der Alte die Tür und rief hinaus: „Fischer! Kommen Sie mal her!“ Diederich ward unruhig. „Was wollen Sie von dem Menschen. Ich verbitte mir, daß er sich einmischt!“ Aber Sötbier berief sich auf das Zeugnis des Maschinenmeisters, der in den größten Betrieben gearbeitet habe. „Nun, Fischer, sagen Sie mal dem Herrn Doktor, wie leistungsfähig unser Holländer ist!“ Diederich wollte nicht hören, er lief hin und her, überzeugt, der Mensch werde die Gelegenheit ergreifen, ihn zu ärgern. Statt dessen begann Napoleon Fischer mit einer uneingeschränkten Anerkennung von Diederichs Sachverständigkeit, und dann sagte er über den alten Holländer alles Ungünstige, das sich irgend über ihn denken ließ. Wenn man Napoleon Fischer hörte, war er schon nahe daran gewesen, zu kündigen, nur weil ihm der alte Holländer nicht gefiel. Diederich schnaubte: er habe wahrhaftig Glück, daß ihm die wertvolle Kraft des Herrn Fischer nun doch erhalten bleibe; aber der Maschinenmeister erklärte ihm, ohne sich auf seine Ironie einzulassen, nach der Abbildung im Prospekt alle Vorzüge des neuen Patent-[pg 173]Holländers, vor allem seine höchst bequeme Bedienung. „Wenn ich Ihnen nur Arbeit erspare!“ schnaubte Diederich. „Sonst wünsch’ ich mir nichts. Danke, Sie können gehen.“

      Als der Maschinenmeister hinaus war, beschäftigten Sötbier und Diederich sich eine lange Weile jeder für sich. Plötzlich fragte Sötbier: „Und womit sollen wir ihn bezahlen?“ Diederich war sofort feuerrot: auch er hatte die ganze Zeit an nichts weiter gedacht. „Ach was!“ schrie er. „Bezahlen! Erstens mache ich eine lange Lieferungsfrist aus, und dann: wenn ich mir einen so teuren Holländer bestelle, meinen Sie vielleicht, ich weiß nicht wozu? Nein, mein Lieber, dann muß ich wohl bestimmte Aussichten auf baldige Ausdehnung des Geschäftes haben – über die ich mich heute noch nicht äußern will.“

      Damit verließ er das Kontor, in strammer Haltung, trotz inneren Zweifeln. Dieser Napoleon Fischer hatte sich beim Hinausgehen nochmals umgesehen, mit einem gewissen Blick, als habe er den Chef gehörig hineingelegt. „Umdroht von Feinden,“ dachte Diederich und reckte sich noch straffer, „da sind wir erst recht stark. Ich werde sie schon zerschmettern.“ Sie sollten erfahren, mit wem sie es zu tun hatten; daher führte er einen Gedanken aus, der ihm schon beim Erwachen gekommen war: er ging zum Doktor Heuteufel. Dieser hielt eben seine Sprechstunde ab und ließ ihn warten. Dann empfing er ihn in seinem Operationszimmer, wo alles, Geruch und Gegenstände, Diederich an frühere, peinliche Besuche erinnerte. Doktor Heuteufel nahm die Zeitung vom Tisch, lachte kurz und sagte: „Nun, Sie kommen wohl her, um zu triumphieren. Gleich zwei Erfolge! Ihre Sekthuldigung ist drin – na und die Depesche des Kaisers an den Posten läßt von Ihrem Standpunkt aus wohl nichts zu wünschen.“

      „Welche Depesche?“ fragte Diederich. Doktor Heuteufel zeigte sie ihm; Diederich las. „Für Deinen auf dem Felde der Ehre vor dem inneren Feind bewiesenen Mut spreche ich Dir meine kaiserliche Anerkennung aus und ernenne Dich zum Gefreiten.“ Wie es hier gedruckt stand, machte es ihm den Eindruck vollkommener Echtheit. Er war sogar ergriffen; mit männlicher Zurückhaltung sagte er: „Das ist jedem national Gesinnten aus dem Herzen gesprochen.“ Da Heuteufel nur die Achseln zuckte, holte Diederich Atem. „Nicht deswegen bin ich hergekommen, sondern um unsere beiderseitigen Beziehungen festzulegen.“ Die seien wohl schon festgelegt, erwiderte Heuteufel. „Nein, durchaus noch nicht.“ Diederich versicherte, daß er einen ehrenvollen Frieden wünsche. Er sei bereit, im Sinne eines wohlverstandenen Liberalismus zu wirken, falls man dagegen seine streng nationale und kaisertreue Überzeugung achte. Doktor Heuteufel erklärte dies einfach für Phrasen: da verlor Diederich die Fassung. Dieser Mensch hielt ihn in der Hand; er konnte ihn, mit Hilfe eines Dokumentes, als Feigling hinstellen! Das höhnische Lächeln in seinem gelben Chinesengesicht, diese überlegene Haltung waren eine fortwährende Anspielung. Aber er sprach nicht, er ließ das Schwert weiterschweben über Diederichs Haupt. Der Zustand mußte aufhören! „Ich fordere Sie auf,“ sagte Diederich, heiser vor Erregung, „mir meinen Brief zurückzugeben.“ Heuteufel tat erstaunt. „Welchen Brief?“ – „Den ich Ihnen wegen des Militärs geschrieben habe, als ich dienen sollte.“ Darauf dachte der Arzt nach.

      „Ach so: weil Sie sich drücken wollten!“

      „Ich dachte mir schon, Sie würden meine unvorsichtigen Äußerungen in einem für mich beleidigenden Sinne aus[pg 175]legen. Ich fordere Sie nochmals zur Rückgabe des Briefes auf.“ Und Diederich trat drohend vor. Heuteufel wich nicht.

      „Lassen Sie mich in Ruh’. Ihren Brief hab’ ich nicht mehr.“

      „Ich verlange Ihr Ehrenwort.“

      „Das gebe ich nicht auf Befehl.“

      „Dann mache ich Sie auf die Folgen Ihrer illoyalen Handlungsweise aufmerksam. Sollten Sie mir mit dem Brief bei irgendeiner Gelegenheit Unannehmlichkeiten verursachen wollen, so liegt Bruch des Amtsgeheimnisses vor. Dann denunziere ich Sie der Ärztekammer, stelle Strafantrag gegen Sie und biete allen meinen Einfluß auf, um Sie unmöglich zu machen!“ In höchster Erregung, fast stimmlos: „Sie sehen mich zum Äußersten entschlossen! Zwischen uns gibt es nur noch einen Kampf bis aufs Messer!“

      Doktor Heuteufel sah ihn neugierig an, er schüttelte den Kopf, sein Chinesenschnurrbart schaukelte, und er sagte: „Sie sind heiser.“

      Diederich fuhr zurück, er stammelte: „Was geht Sie das an?“

      „Gar nichts“, sagte Heuteufel. „Es interessiert mich nur von früher her, weil ich Ihnen so was ja immer vorausgesagt habe.“

      „Was denn? Wollen Sie sich gefälligst äußern.“ Aber das lehnte Heuteufel ab. Diederich blitzte ihn an. „Ich muß Sie energisch auffordern, Ihre ärztliche Pflicht zu tun!“

      Er sei nicht sein Arzt, erwiderte Heuteufel. Darauf sank Diederichs herrische Miene zusammen, und er forschte klagend. „Manchmal hab’ ich ja Schmerzen im Hals. Glauben Sie denn, daß es schlimmer wird? Hab’ ich was zu befürchten?“

      „Ich rate Ihnen, einen Spezialisten zu konsultieren.“

      „Sie sind hier doch der einzige! Um Gottes willen, Herr Doktor, Sie versündigen sich, ich habe eine Familie zu erhalten.“

      „Dann sollten Sie weniger rauchen, auch weniger trinken. Gestern abend war es zuviel.“

      „Ach so.“ Diederich richtete sich auf. „Sie gönnen mir den Sekt nicht. Und dann wegen der Huldigungsadresse.“

      „Wenn Sie unlautere Motive bei mir vermuten, brauchen Sie mich nicht zu fragen.“

      Aber Diederich flehte schon wieder. „Sagen Sie mir wenigstens, ob ich Krebs kriegen kann.“

      Heuteufel blieb streng. „Nun, Sie waren schon immer skrofulös und rachitisch. Sie hätten nur dienen sollen, dann wären Sie nicht so aufgeschwemmt.“

      Schließlich ließ er sich zu einer Untersuchung herbei und nahm eine Pinselung des Kehlkopfes vor. Diederich erstickte, rollte angstvoll die Augen und umklammerte den Arm des Arztes. Heuteufel zog den Pinsel heraus. „So komm’ ich natürlich nicht hin.“ Er feixte durch die Nase. „Sie sind noch wie früher.“

      Sobald Diederich wieder zu Luft gekommen war, machte er sich fort aus dieser Schreckenskammer. Vor dem Hause, noch mit Tränen in den Augen, stieß er auf den Assessor Jadassohn. „Nanu?“ sagte Jadassohn. „Ist Ihnen die Kneiperei nicht bekommen? Und ausgerechnet zu Heuteufel gehen Sie?“

      Diederich versicherte, sein Befinden sei glänzend. „Aber aufgeregt hab’ ich mich über den Menschen! Ich gehe hin, weil ich es als meine Pflicht betrachte, eine befriedigende Erklärung zu verlangen für die gestrigen Äußerungen dieses Herrn Lauer. Mit Lauer selbst zu verhandeln, hat [pg 177]für einen Mann von meiner korrekten Gesinnung natürlich nichts Verlockendes.“

      Jadassohn schlug vor, in Klappsch’ Bierstube einzutreten.

      „Ich