und, Sie werden es nicht glauben, sogar an dem Telegramm Seiner Majestät!“
„Nun, und?“ fragte Jadassohn, dessen Hand sich mit Fräulein Klappsch beschäftigte.
„Für mich gibt es kein Und mehr! Ich bin mit dem Herrn fertig fürs Leben!“ rief Diederich, trotz dem schmerzlichen Bewußtsein, daß er am Mittwoch wieder zum Pinseln mußte. Jadassohn versetzte schneidend:
„Aber ich nicht.“ Und da Diederich ihn ansah: „Es gibt nämlich eine Behörde, die sich die Königliche Staatsanwaltschaft nennt und die für Leute wie diese Herren Lauer und Heuteufel ein nicht zu unterschätzendes Interesse hegt.“ Damit ließ er Fräulein Klappsch los und bedeutete ihr, sie möge verschwinden.
„Wie meinen Sie das“? fragte Diederich, unheimlich berührt.
„Ich denke Anklage wegen Majestätsbeleidigung zu erheben.“
„Sie?“
„Jawohl, ich. Staatsanwalt Feifer hat Krankheitsurlaub, ich bin dran. Und, wie ich unmittelbar nach dem gestrigen Vorfall vor Zeugen festgestellt habe, war ich [pg 178]bei der Verübung des Deliktes nicht anwesend, bin also keineswegs verhindert, in dem Prozeß die Anklagebehörde zu vertreten.“
„Aber wenn niemand die Sache anzeigt!“
Jadassohn lächelte grausam. „Das haben wir, Gott sei Dank, nicht nötig ... Übrigens erinnere ich Sie daran, daß Sie selbst gestern abend sich uns als Zeugen anboten.“
„Davon weiß ich nichts“, sagte Diederich schnell.
Jadassohn klopfte ihm auf die Schulter. „Sie werden sich an alles wieder erinnern, hoffe ich, wenn Sie unter Ihrem Eid stehen.“ Da entrüstete Diederich sich. Er ward so laut, daß Klappsch diskret in das Zimmer spähte.
„Herr Assessor, ich muß mich sehr wundern, daß Sie private Äußerungen meinerseits –. Sie haben offenbar die Absicht, mit Hilfe eines politischen Prozesses schneller Staatsanwalt zu werden. Aber ich möchte wissen, was mich Ihre Karriere angeht.“
„Na und mich die Ihre?“ fragte Jadassohn.
„So. Dann sind wir Gegner?“
„Ich hoffe, es wird sich vermeiden lassen.“ Und Jadassohn setzte ihm auseinander, daß er keinen Grund habe, den Prozeß zu fürchten. Sämtliche Zeugen der Vorgänge im Ratskeller würden dasselbe aussagen müssen wie er selbst: auch Lauers Freunde. Diederich werde sich keineswegs zu weit vorwagen ... Das habe er leider schon getan, erwiderte Diederich, denn schließlich sei er es, der mit Lauer den Krach gehabt habe. Aber Jadassohn beruhigte ihn. „Wer fragt danach. Es handelt sich darum, ob die inkriminierten Worte von seiten des Herrn Lauer gefallen sind. Sie machen, wie die anderen Herren, einfach Ihre Aussage, wenn Sie wollen, mit Vorsicht.“
„Mit großer Vorsicht!“ versicherte Diederich. Und an[pg 179]gesichts von Jadassohns teuflischer Miene: „Wie komme ich dazu, einen anständigen Menschen wie Lauer ins Gefängnis zu bringen? Jawohl, einen anständigen Menschen! Denn eine politische Gesinnung ist in meinen Augen keine Schande!“
„Besonders nicht bei dem Schwiegersohn des alten Buck, den Sie vorläufig noch brauchen“, schloß Jadassohn – und Diederich ließ den Kopf sinken. Dieser jüdische Streber beutete ihn schamlos aus, und er konnte nichts machen! Da sollte man noch an Freundschaft glauben. Er sagte sich wieder einmal, daß alle gerissener und brutaler im Leben vorgingen als er selbst. Die große Aufgabe war: wie ward man energisch. Er setzte sich stramm hin und blitzte. Mehr unternahm er lieber nicht; bei einem Herrn von der Staatsanwaltschaft konnte man nie wissen ... Übrigens lenkte Jadassohn zu etwas anderem über.
„Wissen Sie schon, daß in der Regierung und bei uns im Gericht ganz sonderbare Gerüchte umgehen – über das Telegramm Seiner Majestät an den Regimentskommandeur? Der Oberst soll nämlich behaupten, er habe gar kein Telegramm bekommen.“
Diederich behielt, trotz innerem Erbeben, eine feste Stimme. „Aber es hat doch in der Zeitung gestanden!“ Jadassohn grinste zweideutig. „Da steht gar zuviel.“ Er ließ sich von Klappsch, der seine Glatze wieder in die Tür schob, die „Netziger Zeitung“ bringen. „Sehen Sie, in der Nummer hier steht überhaupt nichts, was nicht auf Seine Majestät Bezug hat. Der Leitartikel beschäftigt sich mit dem Allerhöchsten Bekenntnis zum geoffenbarten Glauben. Dann kommt das Telegramm an den Obersten, dann das Lokale mit der Heldentat des Postens und das Vermischte mit drei Anekdoten über die kaiserliche Familie.“
„Es sind recht rührende Geschichten“, bemerkte Klappsch und verdrehte die Augen.
„Zweifellos!“ beteuerte Jadassohn; und Diederich: „Sogar so ein freisinniges Hetzblatt muß die Bedeutung Seiner Majestät anerkennen!“
„Aber bei dem löblichen Eifer wäre es schließlich möglich, daß die Redaktion die Allerhöchste Depesche eine Nummer zu früh gebracht hat – noch vor ihrer Absendung.“ „Ausgeschlossen!“ entschied Diederich. „Der Stil Seiner Majestät ist unverkennbar.“ Auch Klappsch wollte ihn erkennen. Jadassohn gab zu: „Nun ja ... Weil man nie wissen kann, darum dementieren wir auch nicht. Wenn der Oberst nichts bekommen hat, die Netziger Zeitung könnte es ja direkt aus Berlin haben. Wulckow hat sich den Redakteur Nothgroschen kommen lassen, aber der Kerl verweigert die Aussage. Der Präsident hat gespuckt, er ist selbst zu uns gekommen wegen des Zeugniszwangverfahrens gegen Nothgroschen. Schließlich haben wir davon abgesehen und warten lieber das Dementi aus Berlin ab – weil man eben nicht wissen kann.“
Da Klappsch in die Küche gerufen ward, setzte Jadassohn noch hinzu: „Komisch, wie? Allen kommt die Geschichte verdächtig vor, aber niemand will vorgehen, weil in diesem Fall – in diesem ganz besonderen Fall“ – sagte Jadassohn mit perfider Betonung, und seine ganze Miene, sogar die Ohren sahen perfid aus, „gerade das Unwahrscheinliche am meisten Aussicht hat, Ereignis zu werden.“
Diederich war starr: nie hätte ihm so schwarzer Verrat geträumt. Jadassohn bemerkte sein Entsetzen und verwirrte sich, er fing an zu zappeln. „Nu, der Mann hat seine Schwächen – Ihnen gesagt.“ Diederich versetzte, fremd und drohend: „Gestern abend schienen Sie davon [pg 181]noch nichts zu wissen.“ Jadassohn entschuldigte sich: der Sekt mache natürlich unkritisch. Ob Herr Doktor Heßling denn die Begeisterung der übrigen Herren so ernst genommen habe. Einen größeren Nörgler als den Major Kunze gebe es überhaupt nicht ... Diederich zog sich mit seinem Stuhle zurück, ihm ward kalt, als finde er sich plötzlich in einer Verbrecherhöhle. Mit äußerster Energie sagte er: „Auf die nationale Gesinnung der übrigen Herren hoffe ich mich ebenso verlassen zu können wie auf meine eigene, an der zu zweifeln ich mir auf das allerbestimmteste verbitten müßte.“
Jadassohn hatte seine schneidige Stimme zurück. „Soll das etwa einen Zweifel in bezug auf meine Person involvieren, so weise ich ihn mit gebührender Entrüstung zurück.“ Krähend, so daß Klappsch in die Tür spähte: „Ich bin der Königliche Assessor Doktor Jadassohn und stehe auf Wunsch zur Verfügung.“
Darauf mußte Diederich wohl murmeln, daß er es so nicht gemeint habe. Dann aber zahlte er. Die Verabschiedung war kühl.
Auf dem Heimwege schnaufte Diederich. Hätte er sich nicht entgegenkommender verhalten sollen mit Jadassohn? Für den Fall, daß Nothgroschen redete? Jadassohn hatte ihn freilich nötig, in dem Prozeß gegen Lauer! Auf alle Fälle war es gut, daß Diederich jetzt Bescheid wußte über den wahren Charakter dieses Herrn! „Seine Ohren sind mir gleich verdächtig vorgekommen! Wirklich national empfinden kann man eben doch nicht mit solchen Ohren.“
Zu Hause nahm er sogleich den Berliner „Lokal-Anzeiger“ vor. Da waren schon die Kaiseranekdoten für die „Netziger Zeitung“ von morgen. Vielleicht kamen sie auch erst übermorgen, für alle war dort nicht Platz. Aber [pg 182]er suchte weiter; seine Hände zitterten ... Da! Er mußte sich setzen. „Ist dir was, mein Sohn?“ fragte Frau Heßling. Diederich starrte die Buchstaben an, wie ein Märchen, das Wahrheit ward. Da stand es, unter anderen unbezweifelten Dingen, in dem einzigen Blatt, das Seine Majestät selbst las! Innerlich, in so tiefer Seele, daß er es selbst kaum hörte, murmelte Diederich: „Mein Telegramm.“ Das bange Glück sprengte ihn fast.