mir garantiert, daß er kleiner sein soll als das alte System. Wozu kaufe ich ihn denn, wenn ich nicht mal Raum sparen soll!“ Und er ging, sobald der Holländer aufgestellt war, mit dem Metermaß um ihn herum. „Er ist zu groß! Ich laß mich nicht beschwindeln! Bezeugen Sie mir, Sötbier, daß er zu groß ist!“ Aber Sötbier klärte mit unbeirrbarer Rechtlichkeit den Fehler in Diederichs Messungen auf. Schnaufend zog Diederich sich zurück, um einen neuen Angriffsplan zu ersinnen. Er rief Napoleon Fischer herbei. „Wo ist denn der Monteur? Haben uns die Leute keinen Monteur mitgeschickt?“ Und dann entrüstete er sich. „Ich habe ihn doch bestellt!“ log er. „Die Leute scheinen ihr Geschäft zu verstehen. Ich werde mich nicht wundern, wenn ich für den Kerl täglich zwölf Mark bezahlen muß, und er glänzt durch Abwesenheit. Wer stellt mir das Unglücksding da nun auf?“
Der Maschinenmeister behauptete, er verstehe sich darauf. Diederich bewies ihm plötzlich großes Wohlwollen. „Sie können sich denken: Ihnen zahl’ ich lieber die Überstunden, als daß ich mein Geld für den fremden Menschen hinauswerfe. Schließlich sind Sie ein alter Mitarbeiter.“ Napoleon Fischer zog die Brauen hinauf, sagte aber nichts. Diederich berührte seine Schulter. „Sehen Sie mal, lieber Freund,“ sagte er halblaut, „ich bin von dem Holländer nämlich enttäuscht. Auf den Bildern im Prospekt sah er anders aus. Die Messerwalze sollte doch viel breiter sein, wo bleibt da die größere Leistungsfähigkeit, die die Leute uns versprochen haben. Was meinen Sie? Halten Sie [pg 199]den Zug für gut? Ich fürchte, der Stoff bleibt liegen.“ Napoleon Fischer sah Diederich an, prüfend, aber schon mit Verständnis. Man müsse es ausprobieren, meinte er zögernd. Diederich vermied seinen Blick, er tat, als untersuchte er die Maschine. Dabei sagte er aufmunternd: „Also schön. Sie stellen das Ding auf, ich zahle Ihnen die Überstunden mit fünfundzwanzig Prozent Aufschlag, und dann tragen Sie in Gottes Namen gleich Stoff ein. Wir werden die Bescherung ja sehen.“
„Es wird wohl ’ne nette Bescherung sein“, sagte der Maschinenmeister mit sichtlichem Entgegenkommen. Diederich griff, ehe er es selbst wußte, nach seinem Arm, Napoleon Fischer war ein Freund, ein Retter! „Kommen Sie mal mit, mein Lieber“ – seine Stimme war bewegt. Er führte Napoleon Fischer in das Wohnhaus, Frau Heßling mußte ihm ein Glas Wein einschenken, und Diederich drückte ihm, ohne hinzusehen, fünfzig Mark in die Hand. „Ich verlaß mich auf Sie, Fischer“, sagte er. „Wenn ich Sie nicht hätte, würde die Fabrik mich womöglich hineinlegen. Zweitausend Mark hab’ ich den Leuten schon in den Rachen geworfen.“
„Die müssen sie wieder hergeben“, sagte der Maschinenmeister gefällig. Diederich fragte dringend: „Das meinen Sie doch auch?“
Und schon tags darauf, nach der Mittagspause, die er zu Versuchen mit dem Holländer benutzt hatte, teilte Napoleon Fischer seinem Arbeitgeber mit, daß die neue Erwerbung nichts tauge. Der Stoff blieb liegen, man mußte mit dem Rührscheit nachhelfen, wie bei jedem Holländer ältester Konstruktion. „Also der offenbare Schwindel!“ rief Diederich. Auch brauchte der Holländer mehr als zwanzig Pferdestärken. „Das ist vertragswidrig! Müssen wir uns das gefallen lassen, Fischer?“
„Das müssen wir uns nicht gefallen lassen“, entschied der Maschinenmeister und strich mit seiner knotigen Hand über sein schwarz behaartes Kinn. Diederich sah ihn zum erstenmal fest an.
„Dann können Sie mir also bezeugen, daß der Holländer die bei Bestellung vereinbarten Bedingungen nicht erfüllt?“
In Napoleon Fischers schütterem Bart erschien ein dünnes Lächeln. „Kann ich“, sagte er. Diederich sah das Lächeln. Um so strammer machte er kehrt. „Na, dann sollen die Leute mich kennenlernen!“ Sogleich schrieb er einen energisch gehaltenen Brief an Büschli & Cie. in Eschweiler. Die Antwort kam umgehend. Man begreife seine Beanstandungen nicht, der neue Patentholländer System Maier sei schon von mehreren Papierfabriken, deren Verzeichnis beiliege, aufgestellt und erprobt worden. Von einer Zurücknahme und gar von einer Rückerstattung der angezahlten 2000 Mark könne daher nicht die Rede sein, vielmehr sei der Rest der vertragsmäßigen Kaufsumme sofort zu erlegen. Diederich schrieb darauf noch entschiedener als das erstemal und drohte mit einer Klage. Büschli & Cie. versuchten nun, ihn zu beschwichtigen, sie empfahlen eine nochmalige Probe. „Sie haben Angst“, sagte Napoleon Fischer, dem Diederich das Schreiben zeigte, und er fletschte die Zähne. „Eine Klage können sie nicht brauchen, denn ihr Holländer ist noch nicht genügend eingeführt.“ „Stimmt“, sagte Diederich. „Wir haben die Kerls in der Hand!“ Und mit erbitterter Siegesgewißheit lehnte er jeden Vergleich und die angebotene Preisermäßigung schroff ab. Als dann mehrere Tage lang nichts weiter erfolgte, ward er freilich unruhig. Vielleicht warteten sie nun doch seine Klage ab? Vielleicht [pg 201]strengten sie selbst eine an! Unsicher suchte sein Blick, oftmals am Tage, Napoleon Fischer, der ihn von unten erwiderte. Sie sprachen nicht mehr miteinander. Wie aber Diederich eines Vormittags um elf Uhr beim zweiten Frühstück saß, brachte das Mädchen eine Karte: Friedrich Kienast, Prokurist der Firma Büschli & Cie., Eschweiler; und indes Diederich sie noch hin und her wendete, trat der Besucher schon ein. An der Tür blieb er stehen. „Pardon,“ sagte er, „es muß ein Irrtum sein. Man hat mich hier ins Haus gewiesen, aber ich komme nämlich geschäftlich.“
Diederich hatte sich besonnen. „Ich kann es mir denken, aber das macht nichts, bitte, treten Sie doch näher. Doktor Heßling ist mein Name. Hier ist meine Mutter und meine Schwestern Emmi und Magda.“
Der Herr trat näher und verbeugte sich vor den Damen. „Friedrich Kienast“, murmelte er. Er war groß, blondbärtig und trug einen braunen wolligen Jackettanzug. Alle drei Damen lächelten hingebend. „Darf ich für den Herrn ein Gedeck auflegen?“ fragte Frau Heßling. Und Diederich: „Natürlich. Herr Kienast frühstückt doch mit uns?“
„Ich sage nicht nein“, erklärte der Vertreter von Büschli & Cie., und er rieb sich die Hände. Magda legte ihm Bücklinge vor, die er schon lobte, während er den ersten Bissen noch auf der Gabel hatte.
Diederich fragte ihn, harmlos lachend:
„Nüchtern machen Sie wohl auch nicht gern Geschäfte?“ Herr Kienast lachte auch. „Bei den Geschäften bin ich immer nüchtern.“ Diederich schmunzelte. „Na, dann werden wir uns wohl einigen.“ „Kommt darauf an, wie“; – und Kienasts schelmisch herausfordernde Worte begleitete ein Blick an Magda. Sie errötete.
Diederich schenkte dem Gast Bier ein. „Sie haben wohl [pg 202]sonst noch was vor in Netzig?“ Worauf Kienast zurückhaltend: „Man kann nie wissen.“
Versuchsweise sagte Diederich: „Bei Klüsing in Gausenfeld werden Sie nichts machen, er hat ’ne flaue Zeit.“ Und da der andere schwieg, dachte Diederich: „Sie haben ihn bloß wegen des Holländers hergeschickt, sie können keinen Prozeß brauchen!“ Da bemerkte er, daß Magda und der Vertreter von Büschli & Cie. gleichzeitig tranken und über die Gläser hinweg einander in die Augen sahen. Emmi und Frau Heßling saßen starr dabei. Diederich beugte sich schnaufend über seinen Teller; – plötzlich aber fing er an, das Familienleben zu preisen. „Sie haben Glück, mein lieber Herr Kienast, denn das zweite Frühstück ist ausgerechnet unsere schönste Stunde am Tage. Wenn man so mitten aus der Arbeit hier herauskommt, dann merkt man doch wieder mal, daß man sozusagen auch Mensch ist. Na, und das braucht man.“
Kienast bestätigte, daß man es brauche. Frau Heßlings Frage, ob er schon verheiratet sei, verneinte er und sah dabei auf Magdas Scheitel, denn sie hatte den Kopf gesenkt.
Diederich stand auf und schlug die Hacken zusammen. „Herr Kienast,“ sagte er schnarrend, „ich stehe zu Ihrer Verfügung.“
„Eine Zigarre nimmt Herr Kienast noch“, bat Magda. Kienast ließ sie sich von ihr anzünden und hoffte, die Damen nochmals begrüßen zu können, – wobei er Magda verheißungsvoll anlächelte. Aber im Hof änderte auch er vollständig den Ton. „Na ja, das sind auch noch alte, enge Lokalitäten“, bemerkte er kalt und wegwerfend. „Sie sollten mal unsere Anlagen sehen.“
„In einem Nest wie Eschweiler,“ erwiderte Diederich, genau so verächtlich, „da ist es kein Kunststück. Reißen Sie [pg 203]mal hier den Häuserblock nieder!“ Und dann rief er im schärfsten Befehlston nach dem Maschinenmeister, damit er den neuen Holländer in Betrieb