Heinrich Mann

Gesammelte Werke


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da.“

      „Na also.“

      „Ja, aber wissen wir, ob auch der Kaiser so denkt?“

      „Selbstverständlich! Fall Lück!“

      „Präzedenzfälle – hihi – sind ganz schön, aber wir wissen doch alle, daß der Kaiser ein origineller Denker und – hihi – impulsiv ist. Er läßt sich nicht gern vorgreifen. Wenn ich in der Zeitung schreiben wollte, daß Sie, Herr Doktor Heßling, Minister werden sollen, dann – hihi – werden Sie es gerade nicht.“

      „Jüdische Verdrehungen!“ rief Jadassohn. Der Redakteur entrüstete sich. „Ich schreibe anderthalb Spalten Stimmung an jedem hohen Kirchenfest. Der Posten aber, der kann auch wegen Mord angeklagt werden. Dann sind wir ’reingefallen.“

      Eine Stille folgte. Der Major legte nachdenklich den Bleistift aus der Hand. Diederich ergriff ihn. „Sind wir nationale Männer?“ Und er unterschrieb wuchtig. Da brach Begeisterung aus. Nothgroschen wollte gleich als Zweiter drankommen.

      „Aufs Telegraphenamt!“

      Diederich gab Auftrag, daß die Rechnung ihm morgen zugestellt werde, und man brach auf. Nothgroschen war auf einmal voll ausschweifender Hoffnungen. „Wenn ich die kaiserliche Antwort bringen kann, komme ich zu Scherl!“

      Der Major brüllte: „Wir wollen doch mal sehen, ob ich noch lange Wohltätigkeitsfeste arrangiere!“

      Pastor Zillich sah die Leute sich in seiner Kirche erdrücken und Heuteufel von der Menge gesteinigt. Kühnchen schwärmte von Blutbädern in den Straßen von Netzig. Jadassohn krähte: „Erlaubt sich vielleicht jemand einen Zweifel an meiner Kaisertreue?“ Und Diederich: „Der alte Buck soll sich hüten! Klüsing in Gausenfeld auch! Wir erwachen aus dem Schlummer!“

      Die Herren hielten sich alle sehr gerade, und manchmal schoß einer unvermutet ein Stück vorwärts. Mit ihren Stöcken strichen sie tosend über die herabgelassenen Rolläden, und im Takt voneinander unabhängig sangen sie die Wacht am Rhein. An der Ecke des Landgerichts stand ein Schutzmann, aber zu seinem Glück rührte er sich nicht. „Wollen Sie vielleicht etwas, Männeken?“ rief Nothgroschen, der aus Rand und Band war. „Wir telegraphieren an den Kaiser!“ Vor dem Postgebäude ward Pastor Zillich, der den schwächsten Magen hatte, von einem Unglück betroffen. Indes die anderen ihm seine Lage zu erleichtern suchten, klingelte Diederich den Beamten heraus und gab das Telegramm auf. Als der Beamte es gelesen hatte, betrachtete er Diederich zögernd – aber Diederich blitzte ihn so furchtbar an, daß er zurückschrak und seine Pflicht tat. Diederich inzwischen fuhr ohne Zweck fort, zu blitzen und steinern dazustehen: in der Haltung des Kaisers, wenn nun ein Flügeladjutant ihm die Heldentat des Postens meldete und der Chef des Zivilkabinetts ihm die Huldigungsdepesche überbrachte. Diederich fühlte den Helm auf seinem Kopf, er schlug gegen den Säbel an seiner Seite und sagte: „Ich bin sehr stark!“ Der Telegraphist hielt es für eine Reklamation und zählte ihm das kleine Geld nochmals vor. Diederich nahm es, trat an einen Tisch und warf einige Zeilen auf ein Papier. Dann steckte er es zu sich und kehrte zu den Herren zurück.

      Sie hatten für den Pastor eine Droschke beschafft, er fuhr soeben fort und winkte weinend aus dem Fenster, als sei es für ewig. Jadassohn bog beim Theater um eine Ecke, obwohl der Major ihm nachbrüllte, seine Wohnung sei doch ganz woanders. Plötzlich war dann auch der Major fort, und Diederich gelangte mit Nothgroschen [pg 169]allein in die Lutherstraße. Vor dem Walhalla-Theater war der Redakteur nicht mehr weiter zu bringen, mitten in der Nacht wollte er das „elektrische Wunder“ sehen, eine Dame, die dort Feuer sprühen sollte. Diederich mußte ihm ernstlich vorhalten, daß dies nicht die Stunde für solche Frivolitäten sei. Übrigens vergaß Nothgroschen das „elektrische Wunder“, sobald er das Haus der „Netziger Zeitung“ erblickte. „Aufhalten!“ schrie er. „Die Maschine aufhalten! Das Telegramm der nationalen Männer muß noch hinein!... Sie wollen es doch morgen früh in der Zeitung lesen“, sagte er zu einem vorübergehenden Nachtwächter. Da packte Diederich ihn fest am Arm.

      „Nicht nur dieses Telegramm“, sagte er, kurz und leise. „Ich habe noch ein anderes.“ Er zog ein Papier aus der Tasche. „Der Nachttelegraphist ist ein alter Bekannter von mir, er hat es mir anvertraut. Über diese Herkunft werden Sie mir strenge Diskretion versprechen, der Mann wäre sonst in seiner Stellung bedroht.“

      Da Nothgroschen sofort alles versprach, sagte Diederich, ohne das Papier dabei anzusehen:

      „Es ist an das Regimentskommando gerichtet und vom Obersten selbst dem Posten mitzuteilen, der heute den Arbeiter erschossen hat. Es lautet: Für Deinen auf dem Felde der Ehre vor dem inneren Feind bewiesenen Mut spreche ich Dir meine kaiserliche Anerkennung aus und ernenne Dich zum Gefreiten.... Überzeugen Sie sich“ – und Diederich reichte dem Redakteur das Papier hin. Aber Nothgroschen sah es nicht an, er starrte nur, wie entgeistert, auf Diederich, auf seine steinerne Haltung, den Schnurrbart, der ihm in die Augen stach, und die Augen, die blitzten.

      „Jetzt glaubte ich fast –“ stammelte Nothgroschen. „Sie haben so viel Ähnlichkeit mit – mit –.“

      IV.

      Diederich würde, wie in der besten Neuteutonenzeit, das Mittagessen verschlafen haben, aber die Rechnung vom Ratskeller kam, und sie war bedeutend genug, daß er aufstehen und ins Kontor gehen mußte. Ihm war sehr schlecht, und man machte ihm auch noch Unannehmlichkeiten, sogar die Familie. Die Schwestern verlangten ihr monatliches Toilettegeld, und als er erklärte, daß er es jetzt nicht habe, hielten sie ihm den alten Sötbier vor, der es immer gehabt habe. Diesem Versuch einer Auflehnung begegnete Diederich energisch. Mit rauher Katerstimme setzte er den Mädchen auseinander, sie würden sich noch an ganz andere Dinge gewöhnen müssen. Sötbier freilich, der habe immer nur hergegeben und die Fabrik heruntergewirtschaftet. „Wenn ich euch heute euren Anteil auszahlen sollte, würdet ihr euch verflucht wundern, wie wenig es wäre.“ Während er dies sagte, empfand er es als durchaus unberechtigt, daß er irgend einmal sollte gezwungen werden können, die beiden am Geschäft zu beteiligen. Man müßte das verhindern können, dachte er. Sie dagegen wurden auch noch herausfordernd. „Also wir können die Modistin nicht bezahlen, aber der Herr Doktor trinkt Sekt für hundertfünfzig Mark.“ Da ward Diederich furchtbar anzusehen. Seine Briefe erbrach man! Er wurde ausspioniert! Er war nicht der Herr im Hause, sondern ein Kommis, ein Neger, der für die Damen schuftete, damit sie den ganzen Tag faulenzen konnten! Er schrie und stampfte, daß die Gläser klirrten. Frau Heßling flehte wimmernd, die Schwestern widersprachen nur noch aus Angst, aber Diederich war im Zuge.

      „Was erlaubt ihr euch? Gänse wie ihr? Was wißt ihr, ob die hundertfünfzig Mark nicht eine glänzende Kapitalsanlage sind. Jawohl, Kapitalsanlage! Meint ihr, ich saufe mit den Idioten Sekt, wenn ich nichts von ihnen will? Davon wißt ihr hier in Netzig noch nichts, das ist der neue Kurs, es ist –“ Er hatte das Wort. „Großzügig ist es! Großzügig!“

      Und er warf die Tür hinter sich zu. Frau Heßling ging ihm vorsichtig nach, und als er im Wohnzimmer ins Sofa gesunken war, nahm sie seine Hand und sagte: „Mein lieber Sohn, ich bin mit dir.“ Dabei sah sie ihn an, als wollte sie „aus dem Herzen beten“. Diederich verlangte einen sauren Hering; und dann beklagte er sich zornig, wie schwer es sei, in Netzig den neuen Geist einzuführen. Wenigstens hier im Hause sollte man seine Kraft nicht untergraben! „Ich habe Großes mit euch vor, aber das überlaßt gefälligst meiner besseren Einsicht. Einer muß Herr sein. Unternehmungsgeist und Großzügigkeit gehören freilich dazu. Sötbier ist dabei nicht zu brauchen. Eine Weile lasse ich den Alten noch verschnaufen, dann wird er ausgeschifft.“

      Frau Heßling versicherte sanft, ihr lieber Sohn werde schon um seiner Mutter willen immer genau wissen, was er tun müsse – und dann begab Diederich sich ins Kontor und schrieb einen Brief an die Maschinenfabrik Büschli Co. in Eschweiler, um bei ihr einen „neuen Patent-Doppel-Holländer, System Maier“ zu bestellen. Er ließ den Brief offen daliegen und ging hinaus. Wie er zurückkam, stand Sötbier vor seinem Pult, und es war kein Zweifel, unter seinem grünen Augenschirm weinte er: es tropfte auf den Brief. „Sie müssen ihn noch mal abschreiben lassen“, sagte Diederich kühl. Da begann Sötbier:

      „Junger