Ricarda Huch

Gesammelte Werke


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erlitten. Es war ein unaufhaltsamer Niedergang.

      Die Duldung der Neugläubigen erstreckte sich nur auf die Anhänger der Augsburger Konfession; alle anderen Sekten, auch die Calvinisten, waren davon ausgeschlossen. Eine weit schlimmere Beschränkung der nunmehr erreichten freien Religionsübung war, daß sie nur die Stände, also die Regierungen, nicht die Untertanen betraf. Doch wurde den Untertanen, die vom Glauben des Landesherrn abwichen, gestattet, mit ihrer Habe auszuwandern; einzig der burgundische Kreis, die Stammlande des Kaisers, wurden davon ausgeschlossen. Die heikelste Frage betraf die geistlichen Fürstentümer und Stifte, um die so viel Streit bereits entbrannt war. Wenn es den Prälaten, die zum evangelischen Glauben übertraten, freistand, das Gebiet, das sie als gewählte Fürsten auf Lebenszeit regierten, in ein erbliches, ihnen gehöriges Fürstentum zu verwandeln, so war anzunehmen, daß dem Beispiel des Hochmeisters Albrecht von Preußen noch mancher folgen würde, sei es aus eigenem Antrieb oder auf das Drängen der Untertanen. Da der Reichstag sich über diesen Punkt aufzulösen drohte, verkündigte Ferdinand mit Einwilligung der Stände den sogenannten geistlichen Vorbehalt, daß ein geistlicher Reichsstand, der zum neuen Glauben übertrete, seines Amtes entsetzt werde. Damit war, wenn der Vorbehalt in Anerkennung blieb, der Ausbreitung des Protestantismus eine Schranke gesetzt. Die Reichsritterschaft war in den Frieden inbegriffen. Für die Städte wurde bestimmt, daß, wo beide Religionen in Übung gewesen wären, beide bleiben sollten; keine sollte das Recht haben, die andere abzuschaffen. Am Reichsgericht wurden protestantische Beisitzer zugelassen.

      Nach vierunddreißigjährigem Ringen hatte sich der neue Glauben das Recht des Daseins im Reich erkämpft. Wenn auch der Papst den Augsburger Frieden nicht anerkannte, wenn auch die Feindseligkeit und das Mißtrauen der Parteien nicht überwunden waren, so bestand nun doch eine Grundlage für das Zusammenwirken beider und für eine neue Gestaltung des öffentlichen Lebens. Wurde die christliche Freundlichkeit, die den Ständen zum Gebrauch empfohlen wurde, auch nicht immer innegehalten, es machte sich doch geltend, daß zwischen den Fürsten, welche Konfession sie auch bekannten, etwas Gemeinsames war, namentlich der Gegensatz zum Kaiser. Der Augsburger Friede war denn auch mehr ein Sieg der Fürsten als ein Sieg des neuen Glaubens. Die Fürsten gewannen, da sie die Religion des Territoriums bestimmten, an Gewalt über die Untertanen, und die Macht über die Kirche, die die protestantischen Fürsten als oberste Bischöfe erhielten, wurde den katholischen zum Vorbild, dem sie mit Erfolg nacheiferten. Der Grundsatz, daß der Fürst die Religion des Landes zu bestimmen habe, in die lateinische Formel cujus regio ejus religio gefaßt, wirkte sich naturgemäß zum Schaden der Bevölkerung aus. Denen, die nicht in der Lage waren auszuwandern, und die wenigsten waren es, blieb nichts übrig, als sich den Überzeugungen und Launen ihrer Landesherren anzubequemen, was einen verderblichen Einfluß auf ihren Charakter ausüben mußte. Daß Unkatholische, außer wenn sie einer Sekte angehörten, nicht verbrannt wurden, war für das Volk der einzige Zuwachs an Glaubensfreiheit, den sie vor der Vergangenheit voraushatten, immerhin ein unschätzbarer. In der Carolina, dem durch Karl V. eingeführten neuen Reichsgesetzbuch, ist der Artikel über den Ketzerprozeß nicht mehr enthalten. Der Übergang des Absolutismus von der Kirche auf den Staat hatte begonnen; erst im Staat vollendete er sich, da ja, wenn auch die Fürsten und namentlich die Kaiser sich zu Vollstreckern der kirchlichen Gebote gemacht hatten, doch auch ein Gegensatz zwischen Staat und Kirche bestanden und beiden Mächten eine Beschränkung auferlegt hatte. Einstweilen jedoch war der fürstlichen Regierungsgewalt noch eine Schranke durch die Landstände gesetzt; dieser sich zu entledigen war das nächste Bestreben.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Schatten werden lang, die Herzen der ergrauten Kämpfer ermatten. Jeder Mensch ist eine Welt, mit jedem, wenn er stirbt, bricht eine Welt zusammen. Oft ist es eine kleine, fast eine Spielzeugwelt, wie ein Kind sie sich aufbaut, zuweilen aber umfaßt sie viele, die heimatlos werden, wenn sie sich auflöst. Wenn der kühle Hauch aus dem Jenseits den wirkenden Menschen anrührt, ein geisterhafter Ton an sein Herz klopft, ein fremder Schauder über ihn hinläuft, wird auch der Glückliche zum Mittelpunkt einer Tragödie. Es ist immer ein Weltuntergang, es ist immer der Sturz einer Hoffnung, der Verzicht auf etwas Gewolltes, der Zusammenstoß eines Ewigkeitswillens mit dem Nichts. Es ist ein Abschied vielleicht von vielen Schmerzen; aber wenn es nicht der Abschied von zärtlich Geliebten ist, so ist es der Abschied von den holden allverbreiteten Elementen, der Luft und dem Licht, von der eigenen Tatenfülle und der verheißenden Zukunft. Endet nicht ein einzelner, sondern eine Generation, so ist das Versinken einer Welt auffälliger. Andere Götter, andere Ziele kann eine Generation mit sich bringen. Die Zeitgenossen Luthers, die zwischen 1480 und 1500 Geborenen, waren erfüllt von der Idee der Reformation des Reiches und der Kirche, auf die seit Jahrzehnten alles zugespitzt war. Sie hatten das Glück, daß große Gedanken im Schwange waren, für die sie ihre Kraft einsetzen konnten. Im Kampfe bildeten sich Überzeugungen, die sich auf das Höchste bezogen, wozu Menschen sich erheben können: Gott und die Beziehungen des Menschen zu Gott. Es ist zweifellos wahr, daß die Kirche und die Kleriker im 15. Jahrhundert und im Beginn des 16. sich in tiefem Verfall befanden; aber Tatsache ist es auch, daß unter den Priestern eine große Menge tüchtiger, gewissenhafter, begabter Männer sich befanden. Alle Reformatoren und viele bedeutende Männer, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts hervortraten, waren katholische Geistliche, die mit Ernst und Hingebung sich um die Erneuerung der Kirche und des öffentlichen Lebens bemühten. Noch einmal wurde das gesamte Leben der Nation überwiegend von Geistlichen bestimmt, und noch nie hatte das geistige Leben der Nation so mächtig in die Welt ausgestrahlt. Dies, daß es sich um die höchsten Fragen handelte, die die Menschen bewegen, verlieh ihrem Kampfe einen so stolzen Schwung und eine so schneidende Tragik. Freunde waffneten sich gegen Freunde, Brüder gegen Brüder; zugleich die Treue gegen Gott und gegen die Menschen zu halten, schien oft unmöglich. Die weltlichen Interessen waren mit den idealen so verflochten, daß die Gewissen sich selten unverletzt aus der Verstrickung reißen konnten. In diesem Streit, wo jeder alles einsetzte und alles erwartete, wo in selbstlose Opferbereitschaft sich höchst weltliche Begierden mischten, konnte kaum einer die Seele unverworren und unbefleckt erhalten.

      Der große Gegenkämpfer Luthers war keiner von den Päpsten, deren Herz im Grunde unbeteiligt war, wenn man den nur kurze Zeit regierenden Hadrian VI. ausnimmt, sondern Karl V., der, wenn auch wesentlich staatsmännisch begabt und interessiert, doch auch ein überzeugter, frommer Katholik war. Seine Beziehung zu den überirdischen Mächten war verknüpft mit den eindrucksvollen Gebräuchen der katholischen Kirche. In Augenblicken der Erschütterung war es ihm Bedürfnis, vor einem Marienbilde oder einem Kruzifix zu knien und zu beten. Der reichste und mächtigste Fürst des Abendlandes sparte wie ein schlecht bezahlter kleiner Beamter mit seinen Kleidern und gab sich in den von Musik und Weihrauch erfüllten Gewölben der Kirchen den Ahnungen einer seligen Welt hin. Die Messe, die Bilder, die Klöster, gerade das, was die Protestanten verwarfen, brachten ihn schon hier auf Erden in Berührung mit dem Reich Gottes, das er als die Heimat seiner Seele betrachtete. Es wird erzählt, Karl habe niemals in seiner Gegenwart die Protestanten ihren Glauben verfechten lassen, weil er gefürchtet habe, ihre gewandten und gelehrten Begründungen könnten seine Überzeugung erschüttern. Da das Luthertum bei einigen seiner Schwestern, die ihm nahestanden, Eingang gefunden hatte, scheint es nicht unmöglich, daß auch er Verständnis dafür gehabt haben könnte. Noch mehr gibt es zu denken, daß diejenigen spanischen Geistlichen, die das Evangelium ergriffen und verbreiteten, solange das neben der Inquisition möglich war, Begleiter Karls und von ihm hoch geschätzt waren. Es ist also anzunehmen, daß ihre Art, das Göttliche aufzufassen, ihm vorzugsweise zusagte, und daß er ihren Gedankengängen gefolgt wäre, wenn er nicht von vornherein zum Gegenteil entschlossen gewesen wäre. Karl war darin Luther ähnlich, daß er von Natur konservativ war; womöglich hielt er fest am Althergebrachten. Dazu kam, daß die alte Kirche, die sein Gemüt befriedigte, mit der Verfassung des Reiches verbunden war. Er war und wollte sein Kaiser im alten Sinne, die Leuchte und Stütze der Christenheit neben dem Papst, Dominus mundi. Wie die Hohenstaufen scheute er sich nicht, Päpste zu bekriegen, aber wie sie dachte er nicht daran, das Papsttum zu verwerfen. Wie sein Großvater Maximilian und die Kaiser des Mittelalters hegte er als Krönung seiner Taten den Plan eines Kreuzzuges gegen die Ungläubigen. Um ihn auszuführen, war