vornehmste Aufgabe. Der Verrat Moritzens und der Sieg der Protestanten machte alle seine bisherigen Erfolge zunichte. Vielleicht hätte er den Kampf noch einmal aufgenommen; aber er war durch und durch unheilbar krank, sein erschöpfter Körper versagte dem stolzen Geist den oft mit letzten Kräften geleisteten Gehorsam. Noch versuchte er, obwohl von Gichtanfällen gequält, das von den Franzosen geraubte Metz zurückzuerobern. Als allen klar wurde, daß die feste, gut verteidigte Stadt in der winterlichen Jahreszeit uneinnehmbar war, wollte er allein nicht nachgeben. Sein Leibarzt, der berühmte Vesalius, der ihn begleitete, sagte, sie alle und zuerst der Kaiser würden ihr Leben in dieser Festung lassen müssen. Nicht lange danach hatte ein Engländer Gelegenheit, ihn zu sehen: die geisterhafte Blässe seines Gesichtes verriet seine Krankheit, er hielt sich mit Mühe aufrecht. Nach dem Verlust vieler Zähne fiel der vorstehende Unterkiefer als häßlich auf; aber der energische Blick seiner Augen, die zugleich Anmut und Ernst ausdrückten, machte, daß man das Störende übersah. Der zusammengebrochene Kranke war mehr als je eine königliche Erscheinung.
Als Isabella, Karls Frau, noch lebte, hatten sich die beiden gelobt, in späteren Jahren sich in ein Kloster zurückzuziehen. Seltsamer Traum zweier Liebenden! War es, daß sie ihre Liebe als einen Raub an Gott betrachteten, den sie zurückerstatten müßten? Sollte dies Opfer ihnen die Gewißheit sichern, daß ihre Seelen in der jenseitigen Herrlichkeit auf ewig vereinigt würden? Oder hatte die spanische Johanna die schwermütige Sehnsucht nach Einsamkeit auf ihren Sohn übertragen? Als Isabella jung starb, zog er sich in ein Kloster zurück und dachte daran, es nicht mehr zu verlassen. Die Welt war ihm nach dem Erlöschen seines Lichtes dunkel geworden. Nur weil man ihm vorstellte, daß sein zwölfjähriger Sohn Philipp zu jung sei, um die Regierung zu übernehmen, kehrte er zu seinen Pflichten zurück. Inmitten der folgenschwersten Unterhandlungen und Kämpfe dachte er immer wieder an das wipfelumrauschte Kloster, den abendroten Garten des Friedens, den Vorhof des Himmels. Er bereitete alles zu diesem Ende vor, hoffte eine Zeitlang, ein im Glauben geeintes Reich seinem Sohne übergeben zu können. Als er in beidem gescheitert war und die Kraft nicht mehr fühlte, den Kampf von neuem zu beginnen, dankte er ab, um sich von der Welt zurückzuziehen. Wenn er vor den in Brüssel versammelten Ständen als den Grund, warum er seine Kronen niederlege, seine wankende Gesundheit anführte, sagte er die Wahrheit. Er fühlte den Abend; nun wollte er die Sonne zwischen den Zypressen eines Klostergartens untergehen sehen. Als die Geschäfte erledigt waren, wurde die Reise nach Spanien angetreten, zwei seiner Schwestern, Eleonore, die verwitwete Königin von Frankreich, und Maria, die verwitwete Königin von Ungarn, folgten ihm. Er hatte sich zur letzten Zuflucht das Hieronymiten-Kloster San Yuste in Estremadura ausgewählt; es lag in einem fruchtbaren Tal voll von Blumen und Früchten, aber auch umbraust von Gewittern und Stürmen. Angefügt an das Kloster hatte er sich einen kleinen Palast erbauen lassen, den er mit einigen Begleitern und etwaigen vornehmen Gästen bewohnte. Die Mehrzahl der Dienerschaft war im nächsten Dorfe untergebracht. Die Mönche, die der Ankunft ihres erhabenen Gefährten mit Ungeduld entgegengesehen hatten, waren, wie es scheint, etwas einfältige, gutartige Leute, die den Kaiser sehr gelangweilt hätten, wenn er auf sie allein angewiesen gewesen wäre. Da das nicht der Fall war, ging er gern und freundlich mit ihnen um. Sein hauptsächlicher Verkehr waren sein Kammerherr Don Luis Quixada, ein vornehmer Herr von altem Schlage, redlich, fromm und unwandelbar treu, dem er seinen Sohn von der schönen Regensburgerin Barbara Blomberg, Don Juan d'Austria, zur Erziehung übergeben hatte, ferner sein Arzt, ein junger Niederländer, und Wilhelm von Male, ein Gelehrter von natürlich schlichtem Wesen, gleichfalls Niederländer, mit dem er allerlei literarische Dinge zu besprechen pflegte. Gern hatte er auch den italienischen Mechaniker Torriano von Cremona um sich, der seine Uhren betreute und wunderliche Automaten verfertigte, wie zum Beispiel fliegende Vögel und eine nach dem Takt ihres Tamburins tanzende Dame. Wie einst der große Albert um ähnlicher Wunderwerke willen, sollen auch der Kaiser und sein Künstler den erschreckten Mönchen zauberverdächtig erschienen sein. Von seiner Einsiedelei aus verfolgte der Kaiser, denn er konnte doch nicht anders als Kaiser bleiben, mit lebhafter Teilnahme die Ereignisse der großen Welt. Briefe, Depeschen, Boten kamen und gingen. Er konnte in die heftigste Erregung geraten, wenn die Dinge anders gerieten, als er sich gedacht hatte; aber er pflegte sich bald zu beruhigen und folgte gern dem regelmäßigen Tageslaufe, wie er sich in dem kleinen Bezirk gebildet hatte. Seine Umgebung und seine Gewohnheiten waren einfach; aber er hatte schöne flandrische Tapeten mitgebracht und Gemälde, die er anzuschauen liebte, besonders solche von Tizian. Er beteiligte sich an den gottesdienstlichen Übungen der Mönche und stimmte selbst in ihren Gesang ein; er war so musikalisch, daß er sofort hörte, wer schlecht oder falsch sang. Neben der Musik waren Tiere und Blumen seine liebste Unterhaltung. Wie Luther in seinen letzten Jahren still den Pflanzen und Tieren auf dem Gut seiner Frau zusah und an die Schweine, die sie züchtete, träumerisch tiefsinnige Betrachtungen knüpfte, so freute den Kaiser nichts so sehr, als unter den Orangen und Kastanien und zwischen den Blumenbeeten von San Yuste, die er selbst angelegt hatte, umherzuwandeln und dem Plätschern des Springbrunnens zuzuhören.
In diesen Jahren mehrte sich die lutherische Ketzerei in Spanien. Sowohl in Spanien wie in Italien fehlte die allgemeine Grundlage für die Reformation, wie sie in Deutschland bestanden hatte: der Gegensatz von Papst und Kaiser, die finanzielle Ausbeutung durch die Kurie, die Ablenkung der hohen Geistlichen von ihren eigentlichen Aufgaben durch fürstliche Stellung, die Verweltlichung und Verwilderung des Klerus. Unter den Königen Ferdinand und Isabella und dem großen Kardinal Ximenes war in Spanien bereits eine Reformation vollzogen; es besaß seitdem sowohl gelehrte und gebildete, wie fromme und in jeder Hinsicht tüchtige Geistliche, und der geeinte und gefestigte Staat hatte sich eine weitgehende Selbständigkeit gegenüber der Kirche gesichert. Das Luthertum wendete sich in beiden Ländern, Italien und Spanien, an das religiöse Denken und Fühlen einzelner Persönlichkeiten, und an solchen fehlte es nicht. Es ist merkwürdig, daß mehrmals italienische Geistliche, die nach Deutschland kamen, um den neuen Glauben zu bekämpfen und sich mit Eifer dieser Aufgabe widmeten, sich von seiner Wahrheit überzeugten, so jener Vergerio, der Luther in Wittenberg aufsuchte, um ihn zum Besuch des Konzils aufzufordern, so die Spanier Augustin Cazalla und Domingo de Guzman. Die Schnelligkeit, mit der durch ihre Anregung in Sevilla und Valladolid das Luthertum sich unter Menschen aller Schichten ausbreitete, läßt schließen, daß es ganz Spanien ergriffen hätte, wenn nicht von der wohleingerichteten Inquisition sofort die ersten Keime erdrückt wären. Als Karl von dem Übertritt der ihm bekannten und von ihm geschätzten Priester unterrichtet worden war, feuerte er seine Tochter Juana, die während ihres Bruders Abwesenheit die Regierung führte, Philipp selbst und die Inquisition an, unnachgiebig die Ketzerei auszurotten, bevor sie um sich greifen könne. Er war gegen das Luthertum, das er nicht hatte überwinden können, ebenso leidenschaftlich erbittert, wie Luther gegen das Papsttum, wenn er seinen Haß auch weniger grob äußerte. Persönlich war der Kaiser sehr gutmütig; auch wenn er mit Recht zürnte, verzieh und vergaß er schnell, und in seinem Testament sorgte er väterlich für den letzten Küchenjungen unter seiner Dienerschaft. Mit Kummer sah er die nichts Gutes verheißende Anlage seines Enkels Carlos, der ihn besuchen durfte; wie anders, hübsch, gewandt, aufgeweckt, war sein Sohn Juan, der mit den Pflegeeltern nach Yuste kam! Aber den Vorschlag, diesen begabten Sohn in die Erbfolge einzureihen, wies er mit Entrüstung zurück.
Karls niederländischer Arzt machte die Bemerkung, daß Leute, deren Säfte verdorben seien, oft gesund erschienen, um dann plötzlich zusammenzubrechen. Der Kaiser wurde zwar zusehends schwächer und litt unter vorübergehenden Verstimmungen; aber im ganzen war er heiter und zufrieden und bereitete sich auf einen langen Aufenthalt im Kloster vor. Sein Feind war die unordentliche habsburgische Eßlust, wie der Beichtvater einer österreichischen Prinzessin es ausdrückte. In dieser Beziehung halfen bei Karl keine Warnungen: er konnte nicht aufhören, sich an den Aalen, Forellen und Austern zu delektieren, mit denen die Anhänglichkeit der Familie und der Granden ihn versorgte. Oft und oft langten Maultiere an, die mit den Dingen, die er liebte, beladen waren; bald waren es Katzen oder Papageien, bald Leckereien. Im Februar des Jahres 1557 war er fröhlich in Yuste eingezogen; an einem der letzten Augusttage 1558 saß er angegriffen und etwas fiebernd auf einer Altane, die die Sonne beschien. Er bedurfte immer irgendeiner Wärmequelle; war es nicht die Sonne, mußte es ein Feuer im Kamin oder die mit Eiderdaunen wattierte Jacke sein, die seine Tochter ihm geschenkt hatte. Nun saß er in der Sonne und betrachtete lange ein Bild der Kaiserin, die vor zwanzig Jahren gestorben und die ihm das Liebste auf Erden