Ricarda Huch

Gesammelte Werke


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Frau in Granada bestattet zu werden, wo er die ersten Tage des Glücks an ihrer Seite erlebt hatte; aber Philipp übertrug die Gebeine seiner Eltern in das von ihm gegründete Kloster Escorial. Kurz vor seinem Ende hatte er noch den Tod seiner Schwester Eleonore erleben müssen, die er geliebt und doch seinen politischen Plänen geopfert hatte. Einige Wochen nach ihm starb auch seine Schwester Maria, die kurz zuvor noch zu seiner Freude eingewilligt hatte, die Regentschaft in den Niederlanden wieder zu übernehmen.

      Es ist überliefert, daß der Kaiser, als er nach der Schlacht bei Mühlberg in Wittenberg weilte, mit seinem Gefolge die Stiftskirche besucht habe, und daß Alba am Grabe Luthers seinem Herrn geraten habe, die Gebeine des großen Ketzers herausreißen zu lassen. Das habe Karl abgelehnt mit den Worten, er führe Krieg mit den Lebenden, nicht mit den Toten. Diese beiden Mächtigsten ihrer Zeit, der vornehme Herr der großen Welt und der sächsische Bauer, wie Luther sich gern nannte, waren sich doch in manchen Punkten ähnlich. Beide hatten einen gebrechlichen Körper, den sie mit Willenskraft beherrschten, beide wurden in ihren späteren Jahren so oft von Krankheit heimgesucht, daß man von Pausen der Gesundheit sprechen könnte. Die Schwermut war bei Karl ein stetig begleitender Schatten, bei Luther verdichtete sie sich zu krampfhaften Anfällen. Hätte Luther nicht die Klöster zerstört, so würde es ihn vielleicht auch gelockt haben, sich dort vor der Welt zu verbergen. Menschen, die eine große Idee vertreten und eine schwere Verantwortung tragen, Kämpfer, die aus mancher Wunde bluten, mögen immer einige Züge gemeinsam haben. »Im Himmel, auf Erden und in der Hölle bekannt«, hat Luther in seinem Testament von sich gesagt. Er war sich seiner Majestät bewußt, so gut wie Karl V.; aber wie dieser deutete er nur selten auf den Stern auf seiner Brust.

      Allmählich wurde die Bühne leer, auf der so leidenschaftlich gerungen worden war; die Mitkämpfer auf beiden Seiten, die Zeugen der großen Epoche, verschwanden. Schon im Jahre 1539 war der erbitterte Feind Luthers, Herzog Georg von Sachsen, gestorben, einer der tüchtigsten unter den deutschen Fürsten, nachdem auch er sich, vom Unglück getroffen, in zweideutige Handlungen verwickelt hatte. Als sein ältester Sohn kinderlos starb, entschloß er sich dazu, den jüngeren zu verheiraten, obwohl er geisteskrank war, damit er, wenn doch vielleicht ein Sprößling erzielt würde, das Herzogtum nicht seinem protestantischen Bruder überlassen müßte. Da auch dieser Sohn bald nach der widernatürlichen Heirat starb, dachte er daran, sein Land dem Hause Habsburg zuzuwenden, wurde aber durch den Tod an der Ausführung des gewagten Planes verhindert.

      Martin Butzer begab sich, da er das Interim nicht annehmen wollte, nach England, um an der Hochschule von Cambridge Vorlesungen zu halten. Er hatte schon seit längerer Zeit Beziehungen zum Erzbischof Cranmer, verlebte nun fröhliche Stunden als dessen Gast, den englischen Freundeskreis durch deutsche Lieder und Gesänge erfreuend, an denen sie großes Wohlgefallen hatten. Der 60jährige Butzer war immer noch ein schöner Mann und gewann die Gunst der vornehmen englischen Damen; aber er vermißte die deutsche Wärme und die ganze deutsche Behaglichkeit, die zu schaffen Frau und Töchter ihm nach England folgten. Der junge König Eduard, der sich Butzers Schüler nannte, schenkte ihm Geld zu einem deutschen Ofen. Immer lebendig aufnehmend und erlebend studierte Butzer die öffentlichen Einrichtungen Englands, fand, daß Volksschulwesen, Gefängniswesen, Gesetzgebung, Ackerbau und Künste noch sehr im argen liegen und meinte, daß England besonders zur Industrie geeignet sei und durch sie groß werden könne. Seine erste Vorlesung über den Epheserbrief wurde von Professoren und Studenten aller Fakultäten besucht. Er starb im Jahre 1551 und wurde in der Kirche von Cambridge beigesetzt. Fünf Jahre später, als die katholische Maria zur Regierung gekommen war, wurden seine Gebeine aus dem Grabe gerissen und verbrannt. Sein Freund und Beschützer, der Erzbischof Cranmer, mußte lebend den Scheiterhaufen besteigen.

      Den Tod der Maria von England, seiner Schwiegertochter, erlebte Karl V. noch in San Yuste und begrub damit die Hoffnung, die ihn so sehr beglückt hatte, den alten Glauben in England wiederhergestellt zu sehen. Elisabeth, die Tochter der Anna Boleyn, war an den neuen gebunden, auf Grund dessen ihr Vater die Ehe mit ihrer Mutter hatte schließen können.

      Das Trauerspiel, wie Erasmus den Einbruch des Luthertums zu nennen pflegte, war beendet, die Spieler, die es aufgeführt hatten, waren versunken. Es waren keine Marionetten gewesen, die eine Hand am Drahte hin und her rückt; es waren Menschen von Fleisch und Blut, die die vom Schicksal ihnen zugelosten Rollen mit Worten ihres Herzens durchführten, mit ihren Irrtümern, ihrer Lust und ihren Schmerzen erfüllten und mit ihrem bitteren Tod besiegelten. Nun sie dahin waren, wurden ihre Namen Fluch oder Segen auf den Fahnen der neuen Generation. Es war ein Geschlecht, das in eine verworrene, nur notdürftig geschützte Welt eintrat, eine andere nicht kannte. Es gehörte einer Partei an, der es um so fester verschworen war, je weniger es die gegenseitigen Rechte untersuchte. Katholiken und Protestanten fingen an, sich zu hassen, fast ohne sich zu kennen. Je mehr sie aufhörten, sich mit Gründen zu bekämpfen, desto ungeduldiger zuckte ihre Hand nach den Schwertern.

       Inhaltsverzeichnis

      Ein spanischer Edelmann aus dem Hause, das durch verschiedene seiner Mitglieder fürstliches Ansehen erworben hat, Francisco Borja, war Stallmeister der Königin Isabella, der Gattin Karls V. Nach ihrem Tode war es seine Aufgabe, den Leichnam von Toledo nach Granada in die Gruft zu geleiten und dort zu beschwören, daß sie es sei. Bei der Eröffnung des Sarges, die zu diesem Zweck vorgenommen werden mußte, waren die edlen und lieblichen Züge Isabellas schon so zerstört, daß er sie nicht mehr erkennen konnte. Dieser Eindruck und der bald darauf erfolgende Tod seiner eignen geliebten Frau erschütterten ihn so, daß er sich, da seine Kinder ohnehin erwachsen waren, von der Welt schied und in den kürzlich von seinem Landsmann Loyola gegründeten Orden der Jesuiten eintrat. Die Borja waren mit der spanischen und der portugiesischen Dynastie verwandt und Francisco insbesondere bekannt und wohlgelitten. So wurde er, als er den Kaiser in San Yuste aufsuchte, freundlich empfangen; doch sagte der Kaiser, Freund des Althergebrachten und Feind aller Neuerungen, mißbilligend zu ihm, er begreife nicht, warum Francisco in den neuen Orden eingetreten sei, in dem es keine weißen Haare gebe, und der nicht im besten Rufe stehe. Die Jesuiten wurden nämlich von verschiedenen älteren Orden als Werkzeug des Satans und Vorläufer des Antichrist angegriffen, und Karl selbst hatte den übrigens verdienten Jesuiten Bobadilla wegen seiner Kritik des Interims aus dem Reiche verbannt. Borja erwiderte, daß jede Erscheinung an ihrer Quelle am besten sei und verteidigte außerdem den Orden mit so vielen Gründen, daß Karl milder über ihn zu denken begann.

      Der neue Orden, der anfänglich auf so viel Widerwillen der Katholiken stieß, hat der Kirche, die vor dem Ansturm der Protestanten erschreckt zurückwich und ihre zündenden Ideen nur mit abgestorbenen, entwerteten zu bestreiten wußte, neue Kraft und neues Leben zugeführt. Der mittelalterliche Klerus war ein sehr gesicherter Stand, so gesichert, daß er anfänglich die allgemeine Kritik und Abneigung kaum beachten zu müssen glaubte. Die Geistlichen fühlten sich unerschütterlich im Besitz. Als der ernstliche Angriff kam, hatten sie der Begeisterung und Glaubensinnigkeit der Evangelischen nichts Gleiches oder Stärkeres entgegenzusetzen. Das Bewußtsein, Fehler begangen zu haben, lähmte sie, viele stimmten heimlich oder laut in die Vorwürfe ein, die gegen sie erhoben wurden. Die Jesuiten brachten ihnen das reine Gewissen, sie hatten die Angriffslust der unverbrauchten Glaubenskraft, sie lehrten sie, mit neuem Geiste neue Wege einzuschlagen.

      Iñigo de Loyola ist bei seiner Schöpfung ebenso von seiner Eigenart und seinen persönlichen Erlebnissen ausgegangen wie Luther bei der seinigen. Sein Ehrgeiz, seine Abenteuerlust, seine visionäre Inbrunst, seine Lust an der Mechanisierung des Menschlichen haben sich in seiner Gründung gerade so verwirklicht, wie im Luthertum Luthers Gottinnigkeit, Luthers Sehnsucht nach Entbindung seiner geistigen Kräfte, Luthers Tiefsinn, seine Herrschsucht, seine geistige Freiheit, seine Überschätzung des Menschen. Will man den bedeutendsten und folgenreichsten Gegensatz bezeichnen, der zwischen beiden bestand, so ist es der, daß Luther die freie Betätigung der schaffenden Geisteskraft für ein Gut hielt, das alle Menschen ersehnen, und auf das alle Menschen ein Recht haben, während Loyola die Neigung des Menschen, sich alles Denken, Wählen und Verantworten abnehmen zu lassen, benützte, um aus den Menschen ein nutzbares Werkzeug, einen lebendigen Mechanismus zu machen. Er verglich