Ricarda Huch

Gesammelte Werke


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doch der nach menschlichen Begriffen ärgste Sünder von Gott erwählt sein und im nächsten Augenblick von der göttlichen Gnade ergriffen werden. Er war kein Organisator und kein Zuchtmeister; beides war Calvin. Calvin hatte in dieser Beziehung wie überhaupt viel mehr Ähnlichkeit mit Loyola als mit Luther, der das schöpferische Vermögen anregte, den Geist lockerte, das Herz erwärmte, wie Musik es tut. Loyola verbannte Musik und Gesang aus den Jesuitenschulen, wie Calvin die Bilder aus den Kirchen. Vielleicht konnte Calvin eben deshalb Loyola entgegenwirken, weil er ihm in mancher Hinsicht verwandt war. Beide waren, obwohl große Kirchenmänner und Religionsstifter, überwiegend rational, und dem Rationalismus gehörte die Zukunft, die die Phantasie hinter sich ließ. Auch in ihrer Auffassung von der Christusherrschaft waren sie einander ähnlich. Beide sahen in Christus einen Heerführer, dem die Auserwählten in unbedingtem Gehorsam bis zum Tode nachfolgen, kämpfend, erobernd. Das Heer der Calvinisten war wie das der Jesuiten an strenge religiös-moralische Vorschriften und an eine Askese gebunden, die in der Vermeidung weltlich-sinnlicher Genüsse bestand, deren Stil bei den Jesuiten süßlich-demütig, bei den Calvinisten stolz und herbe war.

      In einem Punkte, nämlich in der Beziehung seiner Kirche zum Staat, war Calvin den anderen protestantischen Kirchen überlegen. Als Franzose hatte er natürlicherweise immer Frankreich und die protestantische Kirche in Frankreich im Auge, und da diese einem katholischen, jede Abweichung unerbittlich niederzwingenden Staat gegenüberstand, war seine Kirche dem Staat gegenüber durchaus kämpferisch und ihre Selbständigkeit betonend eingestellt. Diese zu bewahren, ist ihm allerdings nicht in dem Grade, wie er es wünschte, gelungen; doch konnte er wenigstens eine Verschmelzung herstellen in der Weise, daß Mitglieder der Kirche einen Platz im Rat hatten, die Kirchenältesten aber aus dem Rat vom Rate gewählt wurden. Auch um das Recht der Exkommunikation, das heißt Sünder aus der Kirche auszustoßen, wurde lange gekämpft, bis Calvin es für die Kirche eroberte. Die Ältesten waren Laien, die im Kirchenregiment vertreten waren; insofern hat Calvin Luthers Lehre vom allgemeinen Priestertum wirklich eingeführt, was Luther unterlassen hatte. Wenn Luther sich in diesem Falle wie in anderen mit der Roheit der Deutschen entschuldigte, mochte er nicht ganz unrecht haben; in den kleinen eidgenössischen Republiken fand sich gewiß ein politisch und sittlich besser durchgebildetes Bürgertum als in den kleinen sächsischen Städten, mit denen Luther zu tun hatte.

      Ein starker, herrschbegieriger Wille findet immer Anhänger und Diener; immerhin bedurfte es mehrjähriger, hartnäckiger Kämpfe, bis sich das freie, fröhliche, lebenslustige Gemeinwesen Genf der Tyrannei des Fremden unterwarf, der sich auf eine Schar Fremder, französischer Emigranten, stützte. Mit Hilfe von Eindringlingen richtete der Flüchtling eine Diktatur auf, wie sie im Papsttum unbekannt gewesen war. Predigt, Warnung, Geldstrafen bis zur Einkerkerung, Folterung, Verbannung, Enthauptung und Verbrennung waren die Mittel, deren er sich dabei bediente; niemand stand zu hoch und nichts war zu gering, um der Überwachung und Regulierung zu entgehen. Nicht die geringste Abweichung von Calvins Lehre wurde geduldet, das harmloseste Zeichen auch von fast unbewußter Anhänglichkeit an den alten Glauben, etwa ein lateinisches Gebet, wurde streng geahndet; den Papst nicht für den Antichrist zu halten, hätte niemand wagen dürfen. Wie der Glaube, waren die Sitten dem Zwang unterstellt. Singen, Tanzen, Ballspiel, Würfelspiel waren verboten; eine Frau wurde eingekerkert und verbannt, weil sie ein leichtfertiges Lied gesungen hatte. Nicht nur Kritik an Calvins Lehre, sondern auch Kritik an seiner Person, Äußerungen über ihn, die der Ehrerbietung ermangelten, wurden streng bestraft. Seine Person war geheiligt. Ihm fehlte ganz der Humor, der Luther so anziehend und überlegen machte; Calvin sah sich selbst nie anders als in pathetisch-feierlicher Beleuchtung.

      Für die verlorenen Güter der Freiheit und der Breite des Lebens tauschte Genf Stärke, Macht und Einfluß auf das Ausland ein. Da, wo man seine vorzüglichen Bücher kannte, wo man seine glühenden Briefe las, gelangte Calvin bald zu hohem Ansehen. Zahlreiche junge Männer besuchten die von ihm nach dem Muster des Straßburger Gymnasium illustre gegründete Akademie, aus der später die Universität erwuchs, und hörten seine Vorträge. Durch diese wirkte er ungetrübt. Weil er systematischer war als Luther, konnte er besser eine feste, klare, eindeutige Überzeugung einpflanzen. Zu seinen Hörern gehörten Kaspar Olevianus, der den Heidelberger Katechismus im Anschluß an den Calvins verfaßte, und die Brüder Marnix von Ste. Aldegonde, die ihre bedeutende Kraft für die Befreiung der Niederlande einsetzen sollten.

      Der erste deutsche Fürst, der das Calvinische Bekenntnis annahm, war Friedrich III. von der Pfalz, den seine Frau Maria, Tochter Kasimirs von Brandenburg, zum Protestantismus bekehrt hatte. Seit dem Jahre 1559 besorgte die fromme Frau, der Teufel werde den Zwinglischen Samen zwischen ihren guten Weizen säen, und ihr Mann werde durch das subtile Gift verführt werden. Seine Liebe zu ihr und das Abraten befreundeter Fürsten brachte Friedrich nicht von dem Entschluß ab, sich zu Calvin zu bekennen, nachdem er sich von der Richtigkeit seiner Lehre überzeugt hatte. Es gefiel ihm, daß der Calvinismus den Greuel der Abgötterei, wie er sich ausdrückte, aus der Kirche rein ausgefegt habe, und daß man dem Verstand mehr Recht gebe, als Luther getan habe. Man solle wohl der menschlichen Vernunft nicht zu viel geben, darum aber doch nicht ein Esel sein oder bleiben; habe doch der Apostel Paulus zu seinen Corinthern gesagt: mit euch, als mit den Klugen rede ich, als wolle er sagen: nicht mit tollen Eseln. Die Betonung des Moralischen im Calvinismus zog ihn mehr an als die lutherische Mystik. Offenbar bestimmte ihn auch der französische Einfluß. Er war so sehr ein Freund Frankreichs, daß er wünschte, es möchte jederzeit ein Vertreter Frankreichs an den Reichstagen zugelassen werden, und die Wiedergewinnung der drei verlorenen Bistümer und der Stadt Metz, um die man sich damals bemühte, kümmerte ihn wenig. Befanden sich auch die Reformierten Frankreichs, die Hugenotten, im Kampf mit der Krone, so redeten sich die protestantischen Fürsten ein, das Blatt könne sich wenden, der König könne für den neuen Glauben gewonnen werden. Seiner tatkräftigen Natur sagte das heroische Leiden und Kämpfen der Hugenotten mehr zu als das tatenscheue Wesen der lutherischen Fürsten. Die Deutschen, sagte er, hätten bisher in Rosen gesessen, die anderen aber mitten im Blut, darum wären sie einiger, entschlossener, opferwilliger. Die Calvinisten in England, Schottland, den Niederlanden, der Schweiz erregten seine Bewunderung. Um der Religion willen zu kämpfen, erschien ihm natürlich und rühmlich. Seine Lage war gefährlich, weil der Calvinismus weder in die Augsburger Konfession noch in den Augsburger Religionsfrieden eingeschlossen, also eigentlich rechtlos war. Sowohl seine eigenen Untertanen wie der Kaiser, nach dem Tode Ferdinands war es sein Sohn, Maximilian II., haßten den Calvinismus als ein friedestörendes, drachengiftiges Element. Friedrich blieb inmitten aller Angriffe und Gefährdungen mit seiner Überzeugung unerschütterlich. Das Ketzergeschrei, sagte er, fechte ihn so wenig an, als wenn ihn eine Gans anpfeifen täte. Die anderen protestantischen Fürsten hatten Mitgefühl mit ihren unglücklichen Glaubensgenossen in Frankreich und den Niederlanden; aber ebenso stark war das Bewußtsein, daß es sich um eine Auflehnung von Untertanen gegen ihr rechtsmäßiges Oberhaupt handelte und daß sie im gleichen Falle Unterstützung ihrer Untertanen sehr übel aufnehmen würden. Sie beschränkten sich also darauf, Fürbitten für ihre Glaubensgenossen einzulegen, die natürlich nicht beachtet wurden, oder höchstens Geld, nicht viel, zur Anwerbung von Soldaten herzugeben. Friedrich III. kannte solche Bedenken nicht: in diesem Falle hatten ja die Untertanen den wahren Glauben, der König hatte den falschen, abgöttischen. Auch er konnte allerdings nicht geradezu mit der Tat für die Bedrängten eintreten; aber wenn er auf Umwegen dem Feinde, besonders Spanien, Schaden zufügen konnte, tat er es gern. So konfiszierte er einmal eine Summe Geld, die von Spanien aus durch die Pfalz an Alba gebracht werden sollte, und sein Lieblingssohn, Johann Casimir, teilte selbst dem Kaiser mit, daß er einen aus kaiserlichen Zeughäusern stammenden, für Alba bestimmten Pulvertransport angezündet habe. Allein er und sein Bruder Christoph hätten diese Handlung vorgenommen, »wie ich denn derselben gar keine Scheu trage«.

      Denn um diese Zeit war der Kampf zwischen Spanien und den Niederlanden offen ausgebrochen. Es war ein verhängnisvoller Gedanke Karls V., die Niederlande, sein burgundisches Erbe, seinem Sohne Philipp zuzuwenden. Er trennte den Burgundischen Kreis förmlich vom Reiche ab, nahm dadurch der Reichsregierung und den Reichskreisen die Möglichkeit der Einmischung und beraubte die Untertanen der einzigen Freiheit, die den Reichsangehörigen gegenüber dem jus reformandi des Landesherren blieb, nämlich mit ihrem Vermögen auszuwandern. Der feindliche Gegensatz, der die Völker Europas spaltete, kam dadurch im nordwestlichen Winkel