Ricarda Huch

Gesammelte Werke


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Irrtum durch Darstellung der Wahrheit zu bekämpfen, bemühten sie sich durchzuführen. Bei den Nachfolgern der Begründer der Gesellschaft waren die bedeutenden Eigenschaften und die religiöse Wärme nicht mehr so allgemein, sie mußten sich oft mit der Maske des liebevollen, sanften und tugendhaften Heiligen aushelfen. Ohnehin war den Schülern nicht nur die Gesinnung, sondern auch das Benehmen bis auf die Haltung des Kopfes, die Richtung des Blickes, die Bewegung der Hände vorgeschrieben; schon ihre äußere Erscheinung sollte zur Erbauung dienen. Bei diesem Zwang, sich gottselig zu gebärden, mußte den Jesuiten eine Heuchelei zur zweiten Natur werden, der gegenüber die massive Grobheit und das naive Darauflosleben der Protestanten erquickend wirkte. Etwas Künstliches, Übertriebenes, Süßliches drang mehr und mehr in die katholische Kirche überhaupt ein. Nicht allein, aber zum großen Teil war der Jesuitismus schuld daran, daß der reformierte, nachmittelalterliche Katholizismus sehr von dem des Mittelalters abwich. Weitherzig, großartig hatte die mittelalterliche Kirche das germanische Heidentum in sich aufgenommen, die menschliche Schwäche nicht nur geduldet, sondern sich weise eingeordnet. Freude und Übermut, ja Ausschweifung durfte schwärmen und überschäumen, um von der heiligenden Macht der Kirche wieder gereinigt und geweiht zu werden. Die Irrenden wurden verfolgt und verbrannt; aber nur wenn sie sich ausdrücklich von der Kirche lossagten und gegen sie wandten. Die nach der höchsten christlichen Vollkommenheit streben wollten, konnten sich in Klöstern von der Welt scheiden und wurden von der Welt verehrt; aber auch in den Klöstern konnten Kunst und Wissenschaft und fröhliches, gemütliches Leben sich entfalten. Im Gegensatz zu der Sittenlosigkeit, die das Bedürfnis der Reformation hervorgerufen hatte, hielten sowohl Protestanten wie Jesuiten auf Sittenstrenge, die bei den Reformierten oft ans Sauertöpfische und Finstere, bei den Jesuiten ans Zimperliche, Versteckte grenzte. Es kam dazu, daß die Jesuiten als Fremde für die Neigung des deutschen Volkes, auf unschuldige Art mit dem Heiligen zu spielen, der es in den Mysterien und bei Festlichkeiten sich hingab, wenig Verständnis hatten. Schon der Umstand, daß über ein Jahrzehnt nach der Gründung des Ordens verging, ehe deutschsprechende Jesuiten nach Deutschland kamen, zeigt, wie durchaus die Bewegung eine fremde war. Das Christentum überhaupt war aus dem Süden nach Deutschland gekommen, die großen Erfrischungen des mittelalterlichen Glaubenslebens aus Frankreich, Italien, Spanien. Diesmal kam die Neubelebung aus Spanien und brachte mit sich die Eigentümlichkeit dieses Landes: Fanatismus, Inbrunst, Heroismus und eine seltsame Mischung von Sinnlichkeit und Verstandesschärfe. Die Sinnlichkeit äußerte sich darin, wie das Göttliche den Sinnen nahegebracht wurde; wenn in den Exerzitien etwa das Höllenfeuer oder die äußere Schönheit des Heilands ausgemalt wurde, so steht das in bedeutsamem Gegensatz zu dem Spruch, den Luther liebte, von dem, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und was Gott denen zubereitet habe, die ihn lieben. Die Marienverehrung bekam einen neuen Aufschwung dadurch, daß die Jesuiten sie zu ihrer Patronin wählten, sie als die holdseligste aller Frauen verehrten; aber es kam in diesen lieblichen Kult etwas Überhitztes. In alle kirchlichen Betätigungen schlich sich etwas Gespreiztes, Krampfhaftes. Die Figuren der Heiligen in den Kirchen und auf den Kirchen glichen geschickten Schauspielern mit pathetischen Gebärden in wirbelnden Gewändern, die leere oder lüsterne, jedenfalls ganz weltliche Seelen verhüllen. Formvolles und auf das Äußerliche gerichtetes Wesen war den Italienern und Spaniern natürlich, nicht den Deutschen. Loyola wünschte, daß die Jesuiten Redeübungen in den großen Ruinen Roms veranstalteten, um klangvoll und großartig sprechen zu lernen. Man begreift, daß von Zeitgenossen der Protestantismus als germanisches Christentum bezeichnet wurde. Es war, als habe das Luthertum die Innerlichkeit aus der Kirche herausgelöst und ihr die äußere Form und Gebärde gelassen. Auch darin sprach sich das aus, daß Loyola als wesentlichen Gegensatz zum Luthertum die Freiheit des Willens und die Notwendigkeit der guten Werke lehrte. Luther kam es darauf an, die Menschen auf die Allmacht Gottes und seine Gnade hinzuweisen, Loyola wollte seine Anhänger zu energischem Handeln fortreißen. Auch Luther hat ungeheure Tatkraft gezeigt; dennoch war er mehr ein Mann des Glaubens als des Willens und scheute oft vor dem Handeln zurück, das den Menschen so leicht in Schuld verwickelt. »Wenn ihr stille wäret, so wäre euch geholfen.« Für die Erhaltung und namentlich für die Ausbreitung des Protestantismus war es gut, daß gleichzeitig mit Loyola ein Romane auftrat, der dem vorwärtsdrängenden Jesuitismus entgegenwirkte, Calvin.

       Inhaltsverzeichnis

      Loyola ist 10 Jahre nach Luther, Calvin 16 Jahre nach Loyola geboren; die beiden letzteren scheinen ins Leben gerufen, um die Wirksamkeit des jeweiligen Vorläufers aufzuheben oder auszugleichen. Beide, Loyola und Calvin, waren nichtdeutschen Ursprungs und nichtdeutsch von Charakter, haben aber stark auf Deutschland, Calvin hat überhaupt stärker auf germanische als auf romanische Länder gewirkt. Doch hat Calvin, der Nordfranzose war, entscheidende Einwirkungen in Deutschland und von Deutschen erfahren. Als er ein Jüngling war, hatte das Luthertum bereits Anhänger in Frankreich gefunden, vorher schon war im Anschluß an den Humanismus das Bibelstudium in Aufnahme gekommen. Man nimmt an, daß ein Deutscher, Michael Wolmar aus Rottweil, der in Bourges Lehrer des Griechischen war, ihn beeinflußt habe, aber etwas Gewisses ist darüber nicht bekannt; Calvin selbst spricht von einer plötzlichen Bekehrung. Nachdem ein Versuch, in Paris für den neuen Glauben zu wirken, gescheitert war, verließ er Frankreich und kam auf dem Wege nach Basel durch Genf, wo er, um ein Predigeramt zu übernehmen, festgehalten wurde. Von dort vertrieben, fand er Zuflucht in Straßburg und schloß sich sehr an Martin Butzer, dem er in mancher Beziehung ähnlich war; Luther mochte Butzers Betriebsamkeit nicht leiden.

      Calvin stand dem Protestantismus anders gegenüber als Luther und auch als Zwingli, die das Neue ins Leben riefen; er fand etwas Fertiges vor und hatte es leichter, ein System zu bilden; doch entsprach es auch seiner Geistesart. Seine Institutio christiana ist ein berühmt gewordenes Lehrbuch des evangelischen Glaubens, das er später erweiterte, das sich durch Klarheit und Prägnanz auszeichnet und heute wie damals von Theologen bewundert wird. Wie Luther war Calvin ein Meister des Wortes, sowohl in lateinischer wie in französischer Sprache; aber nicht wie Luther ein Dichter. Er bewunderte Luther, hatte Ehrfurcht vor ihm und Verständnis für ihn, vielleicht von Butzer beeinflußt, war aber an Persönlichkeit und Geist ganz von Luther verschieden. Wie fest und sicher Luther auch die Linien seines Glaubens zog, sah er doch, das Sinnliche und Übersinnliche zugleich erfassend, das Schwankende, Vielseitige, Tiefgründige aller Dinge, die Rätsel und Untiefen des Daseins und der menschlichen Seele. Für Calvin, der überwiegend mit dem Verstand sah, war alles klar und durchsichtig. Luther glaubte wie Calvin, daß Gott einen Teil der Menschen zum Heil, einen anderen zum Verderben ausgewählt habe, ohne deren Verdienst oder Verschulden, aus seinem allmächtigen und unergründlichen Willen, begriff aber das Gefährliche dieser Ansicht, dem er dadurch zu begegnen suchte, daß er den Grübelnden riet, sich zu den zum Heil Erwählten zu zählen; übrigens hielt er es für richtiger, nicht bei diesem uns unzugänglichen Geheimnis Gottes zu verweilen. Calvin rückte die Prädestination in den Vordergrund seiner Lehre; für ihn fielen die Auserwählten Gottes zusammen mit den Gliedern seiner Kirche, so wie der Wille Christi, des einzigen Herrn der Kirche, zusammenfiel mit dem Willen der jeweiligen irdischen Leiter derselben, zunächst mit dem seinigen. Um seine in Genf, das ihn reuig zurückrief, begründete Kirche einem Kreise von Erwählten gleichstellen zu können, führte er eine strenge Kirchenzucht ein, derart, daß kein Sünder in ihr geduldet wurde. Aus zuverlässigen Gemeindegliedern gewählte Älteste hatten das Recht und die Pflicht der Überwachung, unbelehrbare Sünder wurden aus der Kirche ausgestoßen. In der Versinnlichung des Göttlichen näherte sich Calvin den Wiedertäufern und den Jesuiten. Die Katholiken waren logisch, wenn sie alle, die dem Papst gehorchten und sich treu zur Kirche hielten, als Gotteskinder bezeichneten, die sichtbare Kirche der unsichtbaren gleichsetzend; wie aber konnte ein Evangelischer, dem eine Ahnung von der Unergründlichkeit der Wege Gottes aufgegangen ist, sich anmaßen, der Verwalter seiner grauenvollen Geheimnisse zu sein? Gerade die strenge Calvinische Kirchenzucht haben viele lutherische Geistliche bewundert, und Luther selbst hat sich viel mit dem Problem beschäftigt, wie eine Gemeinde von wahren Christen heranzuziehen sei; aber in seinem Sinne war Glaube zu sehr mit Freiwilligkeit, also mit Gnade verbunden, Religion zu sehr von Moral verschieden, als daß er ein Züchten von Heiligen, wie Calvin es wollte, hätte unternehmen mögen. Luther hatte, obwohl er den