Schätze sammeln und nicht für den folgenden Tag sorgen sollen. Seine glücklichsten Augenblicke waren die, wo er sich im Anschauen der schönen Wunderdinge der Natur verlor, wo er sich in die Fülle Gottes versenkte, wo er spielte und träumte. In der Musik pflegte er eine Kunst, die er der Theologie gleichsetzte, die keinen anderen Zweck habe als in überschwenglicher Gotteslust das Lob des Höchsten zu singen. Er befeuerte durch sein ganzes Wesen mehr den Glauben als den Willen, während Calvins Persönlichkeit seine Anhänger zur Tätigkeit reizte. Wesentlich unterschied er sich von Luther dadurch, daß er, aus einem Lande mit verhältnismäßig entwickelter Geldwirtschaft stammend, vom Zinsverbot nichts wissen wollte und dadurch das Erwerbsleben von einer sehr hindernden Schranke befreite. Bedenkt man das, so wird klar, warum in den Niederlanden, die auf Handel und Industrie angewiesen waren, nicht das Luthertum, sondern der Calvinismus eindrang. Nicht als hätten sie ihn ergriffen, weil er gegen das Zinsverbot war; aber es war nichts in ihm, was seine Aufnahme gehemmt hätte, sie spürten in seiner Betriebsamkeit, in seiner auf weltliche Frömmigkeit gerichteten Lehre etwas Verwandtes. Sie konnten als Calvinisten ihre ganze Kraft auf den Erwerb, auf kaufmännische oder gewerbliche Tätigkeit richten und sich zugleich als Auserwählte Gottes fühlen, wenn sie nur redlich und bescheiden waren. Sie dienten Gott damit, daß sie in ihrer Tätigkeit aufgingen und den Katholizismus bekämpften, der die Bettelei pflegte und beim Reichwerden auf Schleichwegen ein Auge zudrückte.
Das Luthertum eignete sich mehr für agrarische Länder, was nicht hinderte, daß auch in der Landwirtschaft der beginnende Kapitalismus sich auswirkte. Auch die Gutsherren strebten danach, ihre Einnahmen zu vermehren, und zwar nicht in Naturalien, sondern in Geld. Sie wendeten sich mehr dem Export von Vieh, Getreide und Wolle zu und zogen es deshalb vor, so viel Land wie möglich in Eigenbetrieb zu nehmen, anstatt Stücke davon an Bauern zu verpachten. Im Großbetrieb konnte mehr verdient werden. Die Folge war, daß sie die Bauern, denen sie Land verpachtet hatten, unter allerlei Vorwänden davonzudrängen suchten. Das sogenannte Bauernlegen fing schon im 15. Jahrhundert an und wurde rücksichtslos im sechzehnten betrieben. Die Landesherren, die wegen der Besteuerung ein anderes Interesse hatten und die hätten einschreiten können, begünstigten doch den Adel zu sehr, um ihm etwas in den Weg zu legen, wenn er sich bereichern wollte. Anfangs wurden klagende Bauern wohl von den Juristen am Reichskammergericht unterstützt, aber wie es zu gehen pflegt, hörte der Rechtsschutz auf im Maße, wie das Übergewicht der Unrechttuenden und die Machtlosigkeit der Unrechtleidenden sich als selbstverständliche Tatsache erwies. Vor dem Dreißigjährigen Kriege sollen in 50 Jahren 400 Bauern ausgekauft sein. Da die Gutsherren zur Bewirtschaftung der vergrößerten Güter abhängige Leute brauchten, wurde der Gesindezwang eingeführt, wurden die Dienste der Bauern als ungemessene betrachtet, wurden sie schließlich für leibeigen erklärt. Die willkürliche Verschlechterung der Lage des Bauernstandes fand am meisten im Nordosten Deutschlands statt, wo sie ursprünglich sehr günstig gewesen war. In Süddeutschland, wo es mehr Streubesitz, weniger große zusammenhängende Güter gab, erhielten sich noch kleine, persönlich freie Bauern; ebenso in Niedersachsen.
Als die geistlichen Güter nach Aufhebung der Klöster in die Rapuse gingen, wie Luther sich ausdrückte, das heißt größtenteils von Fürsten und Adel gerafft und zu weltlichen Zwecken vergeudet wurden, war er sehr bekümmert, und etwas wie Schuldgefühl regte sich in ihm. Er war sich bewußt, daß seine Drohungen und Warnungen der Gewinnsucht gegenüber nichts ausrichteten. Es muß die Welt bleiben, sagte er, und Satan der Welt Fürst. Ähnlich sagte der Jesuit Scherer: »Wir Prediger sein dem Wucher zu schwach, man läßt uns dawider schreien und schreiben, so lang wir wollen. Die Zuhörer kehren sich nicht daran, sondern fahren einen Weg wie den andern mit ihrem zinkes per zänkes ( cinque per cento) immer fort.« Ganz dem entsprechend bemerkte man von den Genuesen, daß sie »die Theologen singen und sagen lassen, aber nichtdestoweniger das Ihrige schaffen«. Die Freiheit der Wirtschaft war nicht mehr rückgängig zu machen, so sehr war sie mit allen Verhältnissen, mit der Zentralisierung der Fürstentümer, mit der Kriegführung, mit der Erweiterung der Welt durch die Entdeckung von Amerika, mit der entstehenden Weltwirtschaft verknüpft. Das siegreich den spanischen Krieg führende Holland ging in den neuen Formen der Geldwirtschaft voran. Die im Jahre 1602 in Holland gegründete Ostindische Compagnie, die das Monopol zum Handel mit Ostindien erhielt, war eine Aktiengesellschaft, deren Aktien ein Gegenstand der Spekulation wurden. Auch der Wirtschaft bemächtigte sich mit dem Geldwesen Rationalisierung und Abstraktion, wodurch sie immer verwickelter und unübersichtlicher wurde und sich von den einfachen Verhältnissen der Natur und damit von den göttlichen Geboten in der Kirche entfernte.
Faust
Mehrmals während des Mittelalters klopfte faustischer Geist an den Ring, der den Geist der Deutschen gebunden hielt. Erst war es Albertus Magnus, dann der Abt Trithemius, der dem Kaiser Maximilian seine frühverstorbene Gattin erscheinen ließ, dann Agrippa von Nettesheim, der einen Hund, Monsieur genannt, besaß, von dem man glaubte, daß er der Teufel sei. Kaum hatte Luther den Ring gelockert, trat Faust hervor; daher hat die Sage Luther und Faust seltsam miteinander verbunden und einander entgegengesetzt. Beide haben einen unheimlichen Begleiter, halb Freund halb Feind, von dem ein feuriger Schein ausgeht und über sie hin zuckt. Satan quält sie mit Disputationen und Anfechtungen, aber sie können ihn nicht loswerden; noch kurz vor seinem Tode meinte Luther, ganz Deutschland müsse frei von Teufeln sein, weil sich alle in Eisleben versammelt hätten. Die Sage läßt Faust in Wittenberg studieren und ein Haus besitzen, läßt Luther seinen Weg kreuzen. In einem wesentlichen Punkte zwar unterscheidet sich Faust von Luther, in seinem Drange, die Fülle der ausgebreiteten Welt an sich zu reißen, alle Länder zu bereisen, alle Genüsse der Erkenntnis und der Sinne einzutrinken. Luther hat zwar den Menschen der Erde zugewendet, aber doch nur, um das Irdische zu heiligen; er hat seinen Verstand gebraucht, aber zugleich nannte er ihn eine Hure, er wollte sich am Worte Gottes genügen lassen, wenn er auch zuweilen für das Gleichnis den Sinn setzte. In seinem Hinausstürmen in die morgenrote Erde, um die Wahrheit von den Dingen zu erfahren, nicht aus Büchern zu lesen oder von den Kanzeln predigen zu hören, ist Faust ein Sohn der Renaissance. Die Italiener hatten lange vor Luther die von der Kirche gesetzten Schranken überschritten, naiv, ohne an eine Trennung von ihr zu denken, als Nachkommen und Jünger der Griechen und Römer, denen kein Priester verwehrte, von der Natur zu lernen. Als nach dem Einbruch der Reformation den leichtlebenden Renaissance-Päpsten die Eiferer folgten, verschanzten sich die italienischen Denker wohl hinter katholischen Formeln und Gebräuchen, um nicht der Inquisition zu verfallen; aber ihr Glauben gehörte der Wissenschaft oder der Natur und jener Religion, die sie in die Herzen der Menschen gelegt habe. Ganz anders ist Faust; er hat einen ungestümen Drang nach Erkenntnis, aber er ist gläubig und leidet an dem Gegensatz seines Glaubens zu seiner wilden Genußsucht, der geistigen und der sinnlichen. Gott ist ihm gegenwärtig, wenn er sich auch von ihm lossagt. Er ist kein schlechtweg der Welt zugewendeter Heide, sondern ein lutherischer Deutscher, der ganz und gar an Gott und Gottes Wort orientiert ist. Der Teufel erklärt sich bereit, ihn überallhin zu führen, ihm alles zu zeigen und ihm alle Fragen zu beantworten, die sein nach Erkenntnis dürstender Geist ihm stellen wird; dagegen soll Faust sich verpflichten, Gott und allen Menschen feind zu sein. Das eine wie das andere fällt Faust schwer; denn er ist zu Liebe und Freundschaft geneigt und wäre fromm, wenn nicht Stolz und Vermessenheit ihn verderbt hätten. Den Pfaffen freilich ist er immer feind gewesen, Auferstehung der Toten und Jüngstes Gericht glaubt er nicht, »als er den Teufelspakt unterschrieb, war ihm zumute wie jenem Fürsten, der auf dem Reichstage 1530 sagte: Himmel hin, Himmel her, ich nehme hier das Meinige, mit dem ich mich erlustige, und lasse Himmel Himmel sein.« Ein solcher Leichtsinn ist aber bei Faust nur eine Anwandlung; er muß, wie das Faustbuch sagt, zuzeiten an den lebendigen Gott gedenken, der alles geschaffen hat, ein kleines Fünklein Liebe gegen Gott ist ihm geblieben und sogar eine zage Hoffnung, Gott könne sich seiner noch erbarmen. Wie der Teufel von Zeit zu Zeit Luther bedrängte und überzeugen wollte, daß kein Gott sei, so besuchte der gute Engel Faust, um ihn aus dem Banne des Teufels zu lösen und zu Gott zurückzuführen. Einem Theologen, der ihn bekehren will, sagt er: »Wie eine liebliche Predigt ist dies zuzuhören, wo die Wurzel meines Herzens nicht verdorrt wäre, daraus kein Saft zur Ergrünung Frucht tragen will.« Auch Luther kannte die entsetzlichen Augenblicke seelischer