Waldemar Unger und Malve Santen beneidet, als sie mit großem Aufwand im Dome Hochzeit hielten? Dennoch konnte niemand ihnen etwas Böses nachsagen, als dem Manne, daß er ein Fremder war, nämlich aus Spanien eingewandert, wenn auch von deutschen Vorfahren, die sich dort niedergelassen, abstammend, und dem Mädchen etwa, daß es eitel und gefallsüchtig sei, freilich nicht mehr als jede andere Schöne. Manch ein Gutmütiger, der sich des herrlichen Paares freute, das zum Altar schritt, schüttelte bedenklich den Kopf und fragte: Wird ihre Zeit bald um sein? Hat es noch niemals nachts an ihre Fenster geklopft oder in ihre Träume gegrinst, um sich zu verkündigen? Denn man konnte es ihrem dreisten Dahinschreiten ansehen, daß sie nicht dem Worte Gottes zu folgen gewohnt waren, sondern der rollenden Fortuna, die der Sage nach ein blaues Irrlicht in den Locken trägt, womit sie die Unbedachten, die ihr trauen, in Sumpf und Untergang lockt.
Waldemars Erscheinung war immerhin erbaulicher als die ihre; denn sein Gesicht war durch die natürlichen Formen sowohl wie im unbewußten Ausdruck ernst, ja melancholisch, und obgleich er niemals über die göttlichen Dinge nachgedacht hatte, pflegte er doch unwillkürlich in der Kirche, wie überhaupt bei feierlichen Anlässen eine Würde anzunehmen, die seinem Wesen nahelag und ihm wohl stand. Sie dagegen ging wie eine junge Königin zur Krönung und ließ ihre Augen frei über die Menge gleiten, mit dem Lächeln der Herrscherin, die sich freut, daß ihre Untertanen zahlreich zur Huldigung erschienen sind. Es verursachte ihr ein angenehmes Lustgefühl, ihr seidenes Kleid im Gehen rascheln zu hören und sich bewußt zu sein, daß an ihrem anmutig gerundeten Gesichte unter den glänzend schwarzen Haaren, an ihrer hohen, schlanken und vollen Gestalt nicht der kleinste Fehler war, und daß der Mann an ihrer Seite ebenfalls schön, stattlich und tadellos in Erscheinung und Kleidung war, wie sie selber.
Sie wußte, daß es üblich für Bräute war, sich am Hochzeitstage ernst und gerührt zu gebärden, aber sie gedachte nichts davon mitzumachen, weil sie gewohnt war, am meisten zu gefallen, wenn sie sich gehenließ, und weil sie stolz darauf war, keinerlei Weichmütigkeit und Beängstigung irgendwelcher Art zu empfinden. Sie konnte in ihrer Hochzeit nichts anderes als ein Freudenfest sehen, wie sie überhaupt, der Liebling des Glückes, von den Kümmernissen und Bedenken der anderen Menschen nichts wußte und wissen wollte. Nicht einmal die Tränen der Liebe, in denen auch fröhliche und glückliche Mädchen gern schwelgen, hatte sie kennengelernt. Nachdem sie mehrere Freier abgewiesen hatte, war Waldemar Unger in ihrer Vaterstadt erschienen, schöner und eigenartiger als alle ihr bekannten jungen Leute, und deshalb, wie sie nicht zweifelte, bestimmt, ihr anzugehören. Ehe sie einander vorgestellt waren, hatten ihre Herzen sich schon verbündet, und da er wohlhabend und willens war, mit ihrem Vater, der ein bedeutendes Speditionsgeschäft hatte, in Verbindung zu treten, standen ihren Wünschen keine Hindernisse entgegen.
Auch in der Folge sah man die Malve immer stattlich, glatt und lächelnd im Schimmer gewählter Pracht. Sie wirkte niemals überladen und ihre heitere Liebenswürdigkeit niemals albern oder langweilig; denn die feinen, tief schwarzen Augenbrauen zogen sich in ausdrucksvoller Linie, wie von Schmerz gehoben in ihre Stirn, so daß es aussah, auch wenn sie lustig war, als träumte dort ein Weh oder ein trauriges Sinnen. Man wußte, daß zahlreiche Verehrer in ihr Haus kamen, doch verlautete nie etwas Übles, was füglich ihrer kühlen Natur zugeschrieben werden konnte, die sich nicht einmal dem erstgeborenen Kinde gegenüber mit Hingebung äußerte. Das war Michael, nach dessen Geburt sein Vater das Krankenbett der Malve mit Smaragden und Rubinen behängte, um ihr seine Dankbarkeit kenntlich zu machen, die nicht nur in Gesellschaft als die Schönste und Witzigste glänzte, sondern ihm auch einen gesunden Knaben geboren hatte und in ihrem Wochenbette so bezaubernd war wie im Festsaale. Ihr gefiel es wohl, wenn man sie mitsamt dem Jungen bewunderte, der ihr glänzend schwarzes Haar und ihre Augen mit den geheimnisvollen Brauen, übrigens aber die edelkräftigen, südlichen Züge des Vaters hatte; aber sie gab sich nicht sonderlich mit ihm ab, da Kinder sie leicht ermüdeten. Die Mutterliebe spielte keine Rolle in seiner Kindheit, jedoch die großen, schwarzen, von schweren Lidern etwas gedeckten Augen seines Vaters schienen warm und unerschütterlich wie die Sonne darüber. Für ihn brannte sein Herz in einer geraden Flamme der Anbetung, die jeder Gedanke, jedes Leid und jede Freude nähren mußte. Sein Vater war die gute Macht, die über seinem Kinderkopf einen zauberhaften Sonderhimmel sich wölben und wohltätig scheinende Sterne daran auf- und niedergehen ließ. Zwar störte auch Malve seinen und ihren eigenen Frieden nicht durch Schelten und Zanken, aber sie hatte doch zuweilen ein scharfes Verbot, irgendeinen schneidenden Ton, wohingegen des Vaters Liebe, die ewig gleiche, die einzig unveränderliche blieb, die Leben und Wonne verlieh auch in bitteren Augenblicken. Für ihn und durch ihn zu sterben war, solange Michael Kind war, die höchste Lust, die er sich vorzustellen vermochte. Gerade daß Waldemar meist ernsthaft und schweigsam war, machte ihn so hehr und unantastbar und sein Lachen und Augenglänzen, wenn er mit Michael spielte, so hinreißend. Je älter indessen Michael wurde, desto weniger wußte sein Vater sich mit ihm zu beschäftigen, besonders daß er auf die vielen Fragen, die er stellte, als er anfing zu lernen und nachzudenken, nicht einging, empfand er als Mangel. In dieser Zeit gewann die Malve an Bedeutung für ihn, die es liebte, mit ihm zu plaudern und zu phantasieren und sich von ihm allerlei, was er gehört oder gesehen hatte, erzählen zu lassen. Abtrünnig wurde er aber seinem Vater deswegen nicht, sondern er schrieb dessen Unempfänglichkeit einem Kummer zu, an dem er litte und der ihn verschlossen gemacht hätte, welches Kummers Grund ausfindig zu machen auch nicht schwer war, nachdem er einmal darauf zu merken angefangen hatte. Es konnte ihm nicht entgehen, daß zwischen seinen Eltern die Liebe und Gemeinschaft nicht bestand, durch welche Kinder zunächst alle Menschen und vorzüglich die, welche ihnen nahestehen, verbunden glauben, wie auch nicht, daß seine Mutter an diesem unnatürlichen Verhältnis schuld war. Er sah, daß sein Vater unablässig arbeitete und mit dem Gelde, das er verdiente, schöne Kleider, Schmuckgegenstände, Zierat für das Haus, Leckereien und Kostbarkeiten kaufte, um sie der Malve zu schenken, und daß sie es wie etwas ihr Gebührendes mit kühlem Danke hinnahm, häufig auch belachte und bespöttelte, wenn es ihrem Geschmack nicht entsprach, und nie den Versuch machte, seine Aufmerksamkeit in irgendeiner Weise zu erwidern. Gegen alle Menschen, die im Hause verkehrten, war sie wärmer als gegen ihn, und das Urteil des Gleichgültigsten und Unbedeutendsten war ihr wichtiger als seines, ja wenn sie sich nicht zuweilen geradezu feindselig gegen ihn betrug, lag es nur an ihrem Hang zur Behaglichkeit und ihrer angeborenen gefälligen Liebenswürdigkeit. Dies zu beobachten machte Michael stets größeren Schmerz, je mehr der Liebreiz seiner Mutter und namentlich ihre anmutige Laune ihn fesselten und er sich der Treulosigkeit an seinem Vater schuldig fühlte.
Er war etwa fünfzehn Jahre alt, als er durch seinen Bruder Raphael, der alles Heimliche und Verbotene auszuspüren wußte, erfuhr, seine Mutter habe in den ersten Jahren ihrer Ehe eine Leidenschaft zu einem anderen Manne gehabt, wodurch denn die Spannung zwischen ihr und ihrem Manne genügend erklärt war. Michael konnte sich schwer vorstellen, daß die schöne, ruhige, selbstzufriedene Frau einmal mit Liebesschmerzen sollte gekämpft haben, vollends erstaunlich und eigentlich empörend aber war es ihm, daß der Gegenstand ihrer Neigung ein kleiner häßlicher Jude namens Arnold Meier war, der als treuer Hausfreund mit seinen frühesten Erinnerungen verknüpft war. Die Malve hatte es so einzurichten gewußt, daß der geliebte Mann ihr wenigstens als Freund erhalten blieb und aus der Härte der Entsagung ein Verhältnis erwuchs, das allmählich dazu beitrug, die Gemütlichkeit des Hauses zu erhöhen; denn auch Waldemar, obwohl er seine in der Verschiedenheit der Naturen und in den Umständen doppelt begründete Abneigung nie überwand, gewöhnte sich mit der Zeit an den unausbleiblichen Besucher, der alle Lücken ausfüllte, alle toten Stellen belebte und die nüchternste Stimmung würzte. Michael indessen hatte ihn, seit er denken konnte, verabscheut, ursprünglich aus keinem anderen Grunde, als weil er seines Vaters Gesinnung fühlte und seine Mutter, wie es ihm schien aus Trotz, den zudringlichen Menschen durch offenes Vertrauen begünstigte. Später unterstützte er seinen Widerwillen auch durch Gründe: Arnolds hin und her fahrende Lebhaftigkeit erschien seinem ruhigen Temperament unmännlich, und seine prahlerische Vielwisserei kam ihm wie ein aus hundert bunten zusammengebettelten Läppchen gefertigtes Kleid vor, das ein gediegener Mann sich zu tragen schämte. Dennoch wurde er immer häufiger in die harmlose Munterkeit, die zwischen Arnold Meier, seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder herrschte, hineingezogen. Gegenstand der Scherze waren nicht selten Geschäftsfreunde seines Vaters, ihm in seiner Kindheit geheiligte Personen, deren Schwächen ihm aber, wie er größer wurde, doch auch nicht