Ricarda Huch

Michael Unger


Скачать книгу

so sehr überstieg, daß ihm eine Art oberhirtlicher Stellung bereitwillig von jedermann eingeräumt wurde. Arnold Meier, der sozialdemokratische Neigungen hatte und nur Geist gelten ließ, machte diesen mit Vorliebe zur Zielscheibe seiner Witze und wurde darin von der Malve unterstützt; denn Geld imponierte ihr nicht, solange sie selbst reichlich davon hatte. Er nannte Peter Unkenrode das goldene Kalb, was besonders dann eine gewisse Berechtigung zu haben schien, wenn man ihn bei öffentlichen Gelegenheiten sich gravitätisch bewegen sah, als trüge er einen massiven Heiligenschein aus purem Golde auf seinem Kopfe mit dem rötlichblonden Haar, den steifen, glänzenden Augen und der glattgespannten Haut. Aus den unzähligen Späßen, die in bezug darauf gemacht wurden, bildete sich ein Kranz von Legenden, wobei für die Eingeweihten der vorzüglichste Reiz darin bestand, daß ihre Bedeutung vor Waldemar verborgen bleiben mußte, da ihn solche Pietätlosigkeit in die bedrohlichste Wut versetzt haben würde.

      Als an einem hohen Feiertage für gut befunden wurde, daß die ganze Familie zur Kirche ginge, schilderte Arnold Meier vor dem Aufbruch und selbstverständlich in Abwesenheit des Vaters, wie Prediger und Gemeinde es anstellten, beim Gottesdienste unter den gebräuchlichen Zeremonien doch eigentlich dem goldenen Kalbe die Ehre zu geben, welches das auch wohl wüßte und das verstohlene Verbeugen und Handaufheben, womit es angebetet würde, mit ebenso heimlichem Nicken und Blinzeln annähme. Auch würden, behauptete er, die herkömmlichen Kirchenlieder geschickt um ein unmerkliches abgeändert, wie denn anstatt des bekannten Verses: »Wie groß ist des Allmächtgen Güte, Ist der ein Mensch, den sie nicht rührt« gesungen würde:

      Wie groß ist unsres Kalbs Vermögen,

       Ist der ein Mensch, den das nicht rührt?

       Der frech in feuerfesten Trögen

       Den Zins erstickt, der ihm gebührt?

      Unterwegs, nachdem sich Arnold Meier verabschiedet hatte, konnten die Malve und Raphael kaum ihre Lachlust unterdrücken, und in der Kirche brachten die listigen Blicke, welche die Malve von Zeit zu Zeit auf Herrn Peter Unkenrode warf, selbst Michael aus der Fassung. Da er vollkommen der Meinung seines Vaters war, daß Ehrbarkeit der Haltung in der Kirche den gebildeten Menschen bezeichne, ärgerte ihn der törichte Schabernack, an dem er sonst von Herzen gern teilgenommen hätte, nicht nur, weil er überhaupt gern lachte, sondern weil er auch nicht umhin konnte, Peter Unkenrode lächerlich zu finden. Die Selbstverständlichkeit, mit der er sich seines Reichtums wegen eine ungemeine Wichtigkeit beimaß, sein salbungsvolles Moralisieren, das im Grunde auf eine Verherrlichung aller Eigenschaften, durch die man zu Wohlstand gelangen, und auf strafende Verwerfung aller, durch die man davon einbüßen kann, herauskam, hätte er so gut wie Arnold Meier verspotten können. Doch hielt er aus Rücksicht auf seinen Vater an sich und machte namentlich nicht mehr gemeine Sache mit jenem, seit er wußte, aus welcher Quelle sich die Freundschaft mit seiner Mutter und die Abneigung des Vaters entwickelt hatte.

      Die schmerzliche Entrüstung über seine Mutter indessen hielt nicht lange an, deren unbegreifliche Neigung sie ihm vielmehr merkwürdig und rührend machte. Wie hatte die schöne Frau sich in dies Männchen vergaffen können, dessen Gesicht in lebhafter Bewegung etwas Affenartiges bekam, und an dem höchstens die geistreich blitzenden Augen und die von wohlklingender Stimme getragene Beredsamkeit allenfalls anziehend wirken konnten. Er lebte als Privatgelehrter von einem kleinen ererbten Vermögen, das ihm kein glänzendes Auftreten ermöglichte; auch suchte er durch ungepflegtes Äußere von den Durchschnittsherren der Gesellschaft abzustechen. Malvens Unfolgerichtigkeit nun, mit der sie seine ärmliche Kleidung als künstlerische Nachlässigkeit rühmte, während sie sonst über jede Abweichung von Eleganz und Mode spottete, belustigte Michael. Wie sie sich, ohne es selbst zu wissen, in allen Dingen Arnolds Geschmack und Urteil fügte, in der Einrichtung des Hauses kindliche Versuche machte, seine Ideen über Hauskunst auszuführen, und in den Büchern blätterte, die er empfahl, wenn es freilich auch nur Tändelei blieb, gerade das, was ihn hätte erbittern sollen, weil es seinen Vater erbitterte, machte sie ihm lieber. Er suchte zu vermitteln, wo es anging, ohne daß er den Schein freundlicher Gesinnung für Arnold Meier auf sich zog, von dem er sich nach wie vor mit Abneigung fernhielt. Die dunkle Kraft, die seine Kinderseele an seinen Vater gebunden hatte, klang immer in ihm nach, auch als eigenes Unterscheiden und Wählen ihr das Gegengewicht zu halten begannen, und beherrschte seine Haltung im Leben. Wie er, seinem Geschmack und Wunsch entgegen, sich hatte bestimmen lassen, in seines Vaters Geschäft einzutreten, der seinen Liebling ganz in sein Leben und seine Tätigkeit einzuverleiben strebte, hielt er sich auch bei jeder Meinungsverschiedenheit auf Waldemars Seite, so daß er, selbst wenn er der Gegenpartei beistimmte, seinen Äußerungen doch das Gepräge des Standpunktes gab, den sein Gefühl ein für allemal eingenommen hatte.

      Die Malve stützte sich in ähnlicher Weise auf ihren zweiten Sohn Raphael, den sie von Anfang an zärtlicher geliebt hatte als den erstgeborenen, hauptsächlich wohl, weil sie inzwischen um einige Jahre älter geworden und eher geneigt war, sich einmal mit etwas anderem als mit sich selbst zu beschäftigen. Auch war Raphael lebhafter und unterhaltender, als Michael gewesen war, und wußte sich mit immer wechselnden Einfällen und drolligen Launen einzuschmeicheln. Äußerlich glich er seinen Eltern nicht ausgesprochen, doch war er deswegen nicht weniger hübsch; sein lockiges braunes Haar, seine zärtlichen Augen, sein voller Mund mit dem runden Kinn wurden von der Malve überschwenglich gepriesen. Sie bestimmte ihn, da es ausgemacht war, daß Michael Kaufmann würde, zum Künstler, worauf er auch selbst mit raschem Verständnis einging, so daß er schon als Knabe von jedermann wie ein angehender Apollo behandelt wurde, obwohl durchaus nicht einzusehen war, warum. Als Arnold Meiers gelehriger Schüler und mit großer Beweglichkeit des Geistes ausgestattet, lernte er früh Verse machen und über Poesie, Kunst und alles Erdenkliche fließend reden, ja er verriet auch ein hübsches Talent zum Zeichnen und Malen. Was an einem andern gerügt worden wäre, Nachlässigkeiten und Ausschweifungen in der Schule, wurden ihm als aufblühende künstlerische Talente angerechnet und beseligten die Malve, die seine Untaten wie witzige Anekdoten allerliebst wiederzuerzählen wußte.

      Als Michael etwa zwanzig Jahre alt war, wurde noch ein Nachkömmling geboren, der den Namen Gabriel erhielt. Es hatte nämlich Arnold Meier den kleinen Michael, der auf den Namen seines Großvaters getauft worden war, scherzweise den Erzengel genannt, was sich erhielt, da sein schönes dunkles Gesicht gut dazu paßte und den Anlaß gab, daß der zweite Sohn den Namen Raphael bekam. Es wurde gleich damals in Aussicht genommen, daß, wenn sich noch ein dritter Erzengel einstellen sollte, er Gabriel heißen müßte, und die Malve malte sich damals gern aus, wie er äußerlich und innerlich beschaffen sein müßte, um zu den beiden anderen zu passen. Da er nun aber kam, als sie längst aufgehört hatte, an ihn zu denken, erregte ihr seine Ankunft weniger Freude als Verdruß, den sie nur, weil sie zu gutartiger Natur war, und besonders weil sie ja nicht nötig hatte, sich um ihn zu bekümmern, nicht an ihm ausließ. Es kam dazu, daß der kleine Gabriel nicht eben häßlich und kränklich, aber doch im Vergleiche zu den älteren Brüdern dürftig war und ein verschlossenes, abstoßendes Wesen hatte, womit man nichts anzufangen wußte. Auch Waldemar, obwohl stets freundlich und liebevoll gegen den Jüngsten, war doch zu schwerfällig geworden, um sich so viel und eingehend mit ihm abzugeben, wie er mit Michael getan hatte, und so blieb der Kleine den Dienstboten überlassen. Nachdem Michael geheiratet hatte, pflegte die Malve zu ihm und seiner Frau zu sagen: »Ihr müßt mir den Gefallen tun, das kleine Zeug für eures auszugeben, denn einer Matrone im weißen Haar, wie ich bin, steht es schlecht an«; wobei sie besonders anmutig lächelte, wohl wissend, daß sie unter den weißen Haaren noch das weiche verführerische Gesicht hatte, dem man nicht böse sein konnte. Verena nahm sich des kleinen Schwagers anfänglich nur aus Pflichtgefühl an, da er aber schon in einem Alter war, wo vernünftiger Einfluß statthaben konnte, entdeckte sie außerordentliche Begabung und Lust zum Erziehungswesen in sich und betätigte dasselbe zum allgemeinen Erstaunen und Vergnügen an dem vernachlässigten Kinde. Da Gabriel zu Kinderspielen keine Lust hatte und am allerwenigsten zu lärmenden Kinderspielen, hielt er sich gänzlich zu Verena und wurde altklug oder, wie die Malve sagte, herzlich unausstehlich. Verena wußte, daß ihre Schwiegermutter sich über ihr erzieherisches Walten belustigte, ließ sich aber dadurch nicht irremachen; denn sie mißbilligte im Innern das nachlässige Gehenlassen, das in Malvens Umkreise herrschte, und fühlte einen heißen Drang, Leben zu bilden; irgendwohin mußte sie die große Schönheit schreiben, die sie als Antlitz ihrer Seele