Ricarda Huch

Michael Unger


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Nacht durch schlief er fest und tief und war am andern Morgen froh, sich klaren Blickes und Denkens bewußt zu sein. Zwar stellte er fest, daß er Rose Sarthorn überaus anziehend fand und sie lieben würde, wenn er frei wäre; da er es aber nicht war, wollte und konnte er sich daran genügen lassen, sich ihr freundschaftlich anzuschließen. Etwas anderes, urteilte er, sei in ihm vorgegangen, etwas, was im Grunde weit wichtiger wäre und ihn mit einer herrlichen Unruhe erfüllte; er fühlte sich verändert und gewachsen. Ja, jetzt waren Schleier vor seinen Augen zerrissen, jetzt erst löste sich das Traumgewölk der Kindheit ganz, das ihn so lange getragen hatte, und die Pfade der Erde lagen vor seinen Füßen. Er sah jetzt, daß der Kreis, in den er hineingeboren war, nicht die Welt, nicht das Schicksal, sondern etwas Zufälliges und Unvollkommenes war, und daß jenseits erst das Leben mit seinen Höhen und seinen Wundern begann, das Gefilde sich breitete, wo Seelen sich entfalten und reifen.

      In dem Bestreben, kühl und klar zu bleiben, denn er hielt es für das erste Erfordernis, sich nicht von den Ereignissen hinreißen zu lassen, legte er sich die Frage vor, warum denn diese Wandlung gerade jetzt eingetreten sei, verwies sie sich aber gleich darauf als töricht; denn einmal müsse das Samenkorn platzen und die Knospe aufbrechen, und ebenso genüge für die Menschenseele, wenn sie weit genug gediehen sei, ein Sonnenstrahl, ein gehörtes oder gelesenes Wort, irgendeine geistige Begegnung, an sich vielleicht nicht bedeutend, um das Bewußtsein des neuen Zustandes zu wecken. Es entging Verena nicht, daß Michael anders war als früher, anders blickte, anders ging und anders sprach; als sie ihn darauf anredete, lachte er und sagte rasch: »Ein Reif ist gesprungen.« Da er aber sah, daß sie ihn aufmerksam und mißtrauisch betrachtete, küßte er sie und sagte herzlich: »Du mußt nichts fürchten, es bedeutet nur Gutes.«

      Je häufiger er nun mit Rose zusammenkam und je lieber sie ihm wurde, desto glücklicher und seiner selbst sicherer fühlte er sich, dachte auch nicht daran, aus seiner Zuneigung ein Hehl zu machen. Doch war sein Wesen auffallender, als er selbst glaubte, und würde mehr befremdet haben, wenn nicht die Aufmerksamkeit durch etwas anderes abgelenkt worden wäre: es fand nämlich in dieser Zeit ein Wohltätigkeits-Basar statt, und bei solchen Gelegenheiten pflegten die weiblichen Angehörigen der Ungerschen Familie an der Spitze zu stehen.

      Es war seitdem von nichts anderem die Rede mehr; in den Sitzungen, die den Basar leiteten, wurde zunächst die Form, in der er sich darstellen sollte, beratschlagt, ob die Verkäuferinnen in Volkstracht, als Blumen oder als was sonst erscheinen sollten, und Malve und Verena bespöttelten die Vorschläge der übrigen Damen als einfältig und abgedroschen. Malvens Einfall, der Basar sollte unter dem Zeichen der weißen Farbe stehen, fand schließlich Anklang und gab den Ausschlag. Als Waldemar eines Morgens in der Zeitung las, eine sowohl durch Geist wie durch Schönheit bekannte Dame der hiesigen Gesellschaft hätte den zündenden Gedanken gehabt, den diesjährigen Wohltätigkeits-Basar zu einem Farbengemälde eigenster Art zu gestalten, indem sowohl die verkaufenden Damen wie die Waren in allen Schattierungen des Weißen erscheinen sollten, wurde er durch diese öffentliche Anerkennung seiner Frau in beste Laune versetzt und stellte ihr so viel Geld, wie sie wolle, zur Verfügung, damit sie anständig und ihrer Stellung gemäß auftreten könne.

      Die Malve war übrigens zu bequem und zu gleichgültig, um sich bei der Einrichtung des Basars im einzelnen noch weiter einzulassen; dies war vielmehr das Feld, wo Verena vorzüglich glänzte. Obschon sie sich über die Wichtigkeit lustig machte, mit der die Damen den Basar, als wäre er ein Feldzug oder eine Nordpolfahrt, behandelten, nahm sie selbst ihn doch ebenso ernst wie alle und hatte dazu noch den Ehrgeiz, alles zu beherrschen.

      Sie erreichte das auch in solchem Grade, daß das Haus von Damen und Herren gestürmt wurde, die ihren Rat und ihre Befehle, die Anordnung und Kleidung betreffend, entgegennahmen. Sogar Waldemar, obschon er über das Frauenwerk schalt und lachte, verriet einen gewissen Anteil, wie denn überhaupt die Sorge für das Getränk ganz den Herren übertragen wurde. Malve war unerschöpflich, mit anmutigem Witz von den Sitzungen zu erzählen, an denen sie, aber ohne sich einzumischen, teilnahm, worüber Verena ihre Empfindlichkeit oft kaum zurückhalten konnte; denn sie wirtschaftete nunmehr mit Ernst und Heftigkeit, da sie ja, wie sie sagte, die Verantwortung trüge, daß keine Dummheiten gemacht würden. Allerdings zeigte sie auch viel Geschick und Geschmack sowohl im Entwerfen von Kostümen und Dekorationen, wie im Dichten von Versen, die in die Schachteln und Umhüllungen des Zuckerwerks eingelegt wurden. In allem diesem wurde sie von Raphael unterstützt, während Rose, die dem ganzen Treiben mit höchster Verwunderung zusah, beschämt eingestand, daß sie zu solchen Dingen nicht zu gebrauchen sei. Gerade das hob Verenas Selbstgefühl und gute Laune, und sie bemerkte gelegentlich, es zeige sich wieder, daß die Künstler von Beruf an Fleiß und Tüchtigkeit wohl andere Menschen überragen möchten, daß ihnen aber meistens die geniale Hand fehlte, die im gegebenen Augenblicke ohne viel Besinnen aus unscheinbaren Mitteln etwas Reizendes hervorzaubere.

      Das einzige Verdienst hatte Rose, einen glücklichen Einfall für die Verkleidung von Malve und Verena zu haben; daß nämlich diese die Schneekönigin und Malve das Alter vorstellen sollte. Zur allgemeinen Überraschung war die Malve sogleich auf den Vorschlag eingegangen, zum Teil, weil sie Verständnis für die Gedanken hatte, die Rose über die Schönheit des Alters äußerte, zum Teil aber in der Überzeugung, die dauernde Blüte ihrer Jugend würde in solcher Fassung um so überzeugender leuchten.

      Da darauf bestanden wurde, daß Rose mitging, schnitt sie sich im letzten Augenblick aus einem billigen, stumpfweißen Stoffe ein hemdartig wallendes Gewand zurecht – denn es dürfe weder Zeit noch Geld kosten, sagte sie – und sah darin feierlich und lieblich aus, wenn sie auch inmitten der Pracht und Frauenschönheit verschwand. Michael schien sie die einzig Lebende unter lauter Drehpuppen zu sein, wie sie in Schaufenstern von Haarkünstlern oder Schneidern die Blicke anziehen. Er mußte sich Zwang antun, um mit den Damen seiner Bekanntschaft in den gewöhnlichen liebenswürdigen Formen zu verkehren, ja seine eigene Frau und seine Mutter hatten etwas Fremdes und beinahe Abstoßendes für ihn. Immer mußte er denken, wie falsch, kleinlich und lächerlich Rose der künstliche Feenzauber vorkäme; doch auf seine Frage, ob sie sich langweile, schien sie ehrlich erstaunt und behauptete, daß sie sich im Gegenteil herrlich unterhalte und viel Schönes an Licht- und Farbenwirkungen, Gesichtern und Gestalten sehe. Etwas enttäuscht äußerte sie sich über die Malve; denn sie sähe nach nichts anderem als nach einer stattlichen, noch immer schönen älteren Dame aus, während sie ihrer Meinung nach eine hehre, stille, tragische Erscheinung hätte werden sollen. »Es wäre besser gewesen, wenn sie sich von mir hätte anziehen lassen«, sagte sie bedauernd; »und wenn sie überhaupt anders wäre!« setzte Michael lachend hinzu. Rose errötete und sah ihn ein wenig unwillig an. »Ihre Mutter«, sagte sie, »war vielleicht weiser als ich, indem sie sich dem Stil angeschlossen hat, der hier nun einmal der herrschende ist.« Durchwegs bewundern müsse man aber Verena, deren Erscheinung vollkommen in den Rahmen des Bildes passe, da sie in keinem Zuge die reiche Dame verleugne und doch wiederum die Schneekönigin so glänzend verkörpere, daß ein Kind sie bei Namen nennen könne. »In ihren Augen«, sagte sie, »brennt die Sonne des Nordens, aber man fühlt, daß sie selber an dieser Glut nie warm werden und nie schmelzen kann.« Michael antwortete nicht darauf, und Rose bereute plötzlich, daß sie diese Bemerkung gemacht hatte, ohne sich selbst recht klarwerden zu können, warum.

      Verena vermißte ihren Mann nicht, so sehr war sie von Bewunderern umringt, die ihr als Veranstalterin, Malerin und Dichterin huldigen wollten. Auch hatte sie noch fortwährend aufzumerken, daß alles seinen rechten Gang ginge, und kam ihren Verpflichtungen mit einer Umsicht und Geistesgegenwart nach, welche die beteiligten Herren stets zu neuen schmeichelhaften Versicherungen anfeuerte. Häufig sah man auch Peter Unkenrode an ihrem Zelte, der wie ein Fürst ab und zu ging, bestrebt, den Strom seines Goldes gerecht zu verteilen und kein Fleckchen zu überschwemmen, keines ganz verschmachten zu lassen. Dennoch war nicht zu verkennen, daß er Verena auszeichnete, die darüber zugleich lächelte und triumphierte, je nachdem Arnold Meier oder ein anderer sie damit neckte.

      Arnold Meier pflegte bei solchen Anlässen nie zu fehlen, regte durch lustige Einfälle an und füllte namentlich die Pausen, die von Zeit zu Zeit zum Essen und Trinken gemacht wurden, mit witzigen Reden aus. Während an kleinen Tischen gefrühstückt wurde, die nahe genug beieinander standen, daß die Unterhaltung von einem zum anderen gehen konnte, schlug er an sein Glas, um eine