Ricarda Huch

Michael Unger


Скачать книгу

      Der Winter, der nun kam, verging schnell und angenehm; Michael litt nicht mehr unter dem Drucke, der ihm eine Zeitlang das Leben schwer gemacht hatte, und wie er fröhlicher und herzlicher war, war Verena weicher und zufriedener.

      »Wenn ich deine Liebe habe«, sagte sie einmal, »schweigt mein Ehrgeiz still, ja ich freue mich, nichts zu sein, wenn ich mich mit dir vergleiche, und dein Übergewicht wird meiner Liebe zum Sporn. Aber wenn du mich nicht liebtest! Es sind Dämonen in meiner Brust, die ich loslassen könnte, damit sie sich an dir versuchten.« Sie verband aber keine ernstliche Bedeutung mit solchen hingeworfenen Drohworten, vollends daß sich jemals etwas wie Eifersucht in ihr geregt hatte, ärgerte sie, und sie bestritt es sich selbst, da sie sich gleichsam dadurch herabgewürdigt zu haben glaubte. Wenn die anderen sich auf Roses Kommen im Frühling freuten, stimmte sie ein, aber es lag dann in ihrer Art, sich zu äußern, ein Wohlwollen fast wie einer Herrin, die von ihrer hübschen Magd spricht, deren Reize in einem unscheinbaren Kreise glänzen.

      Dies verlor sich indessen, sowie Rose kam, vor der stillen Macht und Überlegenheit ihrer Persönlichkeit. Es schien allen, als gehörte sie zur Familie, und sie besannen sich darauf, wie sie während des Winters gefehlt hatte. Am Tage nach ihrer Ankunft wurde ein festliches Abendessen veranstaltet, wozu zwar kein Fremder geladen war, aber doch Blumenschmuck und die feinsten und schönsten Geräte herbeigeschafft wurden, um der frohen Stimmung Ausdruck zu geben. Rose erschien viel heiterer als im Herbst und lachte häufiger und herzlicher, wodurch sich Raphael gelockt fühlte, das ganze Feuerwerk seiner bunten Späße zu entzünden. Sie sprach von einem Bilde, das sie zu malen vorhätte, welches das goldene Zeitalter vorstellen solle in der Art, daß sich allerhand wilde Tiere friedlich um ein Kind sammelten. Zu diesem Zwecke hatte sie Studien in einer fahrenden Menagerie gemacht, was Raphael tadelte, da ein genialer Künstler nicht malen müsse, was er gesehen hätte und was es wirklich gäbe, sondern die Fabelgestalten seiner zaubernden Phantasie. Beispielsweise entwarf er mit dem Bleistift allerlei drollige Wundertiere, so flink, nett und übermütig gezeichnet, daß Rose nicht nur ihr Vergnügen, sondern auch lebhafte Anerkennung äußerte. Raphaels gute Laune und seine Billigung ihrer Person nahm infolgedessen zu, vollends aber dadurch, daß sie auf seine Frage, ob sie nicht auch ein Kalb auf dem Bilde anbringen könnte, da er ein Modell von vollkommener Schönheit wüßte, mit schnellem Verständnis, daß es sich um einen Menschen handelte, einging, wodurch denn eine neue Quelle für Scherz und Gelächter eröffnet war.

      Für Michael blieb wenig Raum, sich Rose zu nähern, doch empfand er ihre Gegenwart mit ruhigem Wohlgefallen, das durch nichts gestört wurde. Spät am Abend, als er am offenen Fenster des Schlafzimmers stand, sah er Rose, die er schon im Bett vermutet hatte, auf der Freitreppe stehen, die Arme gegen den Mond gereckt, dessen fast vollendetes Rund zwischen den erst spärlich belaubten Bäumen ganz sichtbar war. Überrascht sah er die kindlich kräftige und sanfte Seitenlinie ihres zum Himmel erhobenen Gesichtes, ihren festen schlanken Hals und ihre schönen Hände, die im gelben Licht leuchteten, und er konnte sich nicht enthalten, leise zu fragen: »Sind Sie Nachtwandlerin oder beten Sie?« Sie ließ die Arme fallen, drehte sich langsam nach ihm um und sagte: »Ich bete«; und da er sie noch immer fragend ansah, fuhr sie fort: »Ich bete: Mond, bleicher Engel, schütze mich vor Tränen!«, worauf Michael vom Fenster zurücktrat, um Verena, die sich schon niedergelegt hatte, auf ihre Frage, mit wem er spreche, Bescheid zu geben.

      Da der folgende Tag ein Sonntag war, sagte Michael mit Bezug auf das gestrige Erlebnis scherzend zu Rose, sie ginge wohl nie zur Kirche, da sie ihre eigenen Götter habe. Allerdings, sagte sie, wäre sie nur als Kind einige Male zur Kirche gegangen, wovon sie keine deutliche Erinnerung hätte, auch hätte sie nie das Bedürfnis, zu beten, außer daß sie den Mond anriefe, wie er schon wisse, und wenn es irgendwo besonders schön wäre, niederkniete und betete: Mutter Erde, segne dein Kind! Es lag darin vieles, was Michael ganz neu war, und doch berührte es ihn nicht wie etwas Fremdes, vor allen Dingen aber empfand er, daß es Rose natürlich war und daß sie nicht anders hätte sein können. Es verursachte ihm gleichsam eine stolze Freude, daß er sie kannte und daß sie ihm gut gefiel, und er brachte den ganzen Tag in froher Bewegung zu. Am Abend bemächtigte sich seiner plötzlich eine tiefe Verstimmung. Verena fragte Rose, ob sie zu dem Friedenskinde auf dem Bilde, das sie plante, Marios Bild, an dem sie jetzt malte, benützen könnte, und Rose entgegnete, Mario, so reizvoll er wäre, entspräche nicht dem, was sie vorhätte, sie hätte auch schon einen kleinen Jungen im Sinne, den sie eingehend schilderte, ein Dorfkind, das sie im Sommer, den sie stets auf dem Lande zubrächte, malen wollte. Während die anderen Rose fragten, wie sie es auf dem Lande aushielte, wo jede Anregung fehlt, und Rose erstaunt erwiderte, sie hätte überall ungefähr gleichviel Anregung gefunden, auf dem Lande aber die reinste und fruchtbarste, und die anderen sich das nicht erklären konnten, verweilte Michael in Gedanken bei dem Kinde, das sie in begeisterten Ausdrücken beschrieben hatte, und eine Unruhe, die ihm selbst unerklärlich und peinlich war, bemächtigte sich seiner mehr und mehr. Es fiel ihm ein, daß es auch ihr eigenes Kind sein könnte, wenn wahr wäre, was man zuweilen über die Lebensweise von Künstlerinnen hörte, und wenn er den Gedanken auch gleich wieder verwarf, blieb doch etwas Bitteres in ihm zurück, das ihn störte und aufregte. Und als ob dadurch auf einmal alles Törichte und Verderbliche in ihm geweckt wäre, war ihm nun Raphaels harmloses Geplänkel mit ihr unerträglich, ebenso sehr, weil es ihm schien, sie ließe sich dabei im Grunde zu ihm herab, wie weil er es natürlich fand, daß der hübsche, talentvolle junge Mann ihr gefiele. Er stand, da ohnehin das Essen vorüber war, von seinem Platze auf und blätterte in Büchern auf einem Tische; als indessen seine Mutter, der seine Schweigsamkeit aufgefallen war, bemerkte, er sähe aus wie der Engel mit dem feurigen Schwert, der die Menschen aus dem Paradiese vertrieb, ging er kurzweg aus dem Zimmer und entschuldigte sich damit, daß er noch zu arbeiten hätte. Verena, die ihm nachgehen wollte, wies er mit einem zornigen Blick zurück, der sie in der Tat hätte erschrecken können; doch blieb sie nicht aus Furcht, sondern weil sie sich beleidigt fühlte, bei den übrigen.

      Michael ging schnell bis an das Ende des Gartens, wo beträchtlich tiefer als dieser ein Arm des Flusses, an dem die Stadt liegt, vorüberging. Der Kinder wegen war der Garten oben durch einen hölzernen Zaun abgeschlossen, doch konnte man durch eine Tür bis zum Flusse hinuntersteigen. Er war seit seiner Kindheit, wo die Gefahr und das Verbotene lockte, nicht dort unten gewesen, weil die Luft stockend und moderig war und der träge fließende Fluß, der stets allerlei Unrat mitschleppte, halb traurig, halb widerlich anzusehen war. Die Tür, noch durch aufgehäufte welke Blätter gehemmt, wollte sich kaum öffnen lassen.

      Er fragte sich beängstigt, warum er denn hierhergekommen sei, und wußte es selbst nicht zu sagen; es mochte ein dunkler Trieb gewesen sein, sich möglichst sicher zu verbergen. Auf der halben Höhe des Abhanges blieb er, an einen Baum gelehnt, stehen und starrte in das schwarze Wasser, denn das Land fiel zu steil hinein, als daß man am Ufer hätte stehen können. Etwas Fürchterliches engte ihm die Brust ein, von dem er mit Grauen fühlte, daß es inwendig in ihm war und die Seele seiner Seele anrühren und erwürgen konnte. Was war es? Gedanken und Bilder flogen so an ihm vorüber, daß er keiner deutlichen Vorstellung habhaft werden konnte.

      Auf einmal war es ihm, als ob das hohe prächtige Haus, das von dort aus, wo er stand, nicht zu sehen war, in Wirklichkeit versunken und verschwunden wäre, zerronnen wie ein Luftschloß, und als ob nun hier an dem trüben Fluß, unter dem tiefen Himmel und zwischen den mageren Bäumen die Welt wäre. Sein Vater, seine Mutter, seine Brüder, sein Kind sogar waren zufällige und nichtige Nebelbilder, er nur hatte schauderndes Dasein. Ja, hatte er in Wahrheit etwas gekannt und gelebt außer der schmutzigen Tiefe, über der er hing, und war nicht alles andere nur Traum und Erinnerung gewesen? Diese Einbildung, denn er fühlte, daß es eine solche war, hatte etwas so Gräßliches, daß er die Arme bewegte, wie um sie herunterzustürzen und ihr zu entrinnen. Gleichzeitig aber schien es ihm, als wäre doch etwas Lebendiges bei ihm: ein paar stille tröstende Götteraugen, die ihn ansahen. Er wußte, daß es Rose war, und eine große Sehnsucht überkam ihn, mit ihr in dieser Frühlingsdunkelheit allein zu sein. Er schloß die Augen und ließ sich langsam in einem unnennbaren Gefühl von Furcht und Wonne untergehen, bis er plötzlich Stimmen unterschied, die ihn vom Hause her riefen.

      Indem er erschrocken das Fremde und Schreckliche, das ihn dort unten gebannt hatte, abschüttelte, eilte er so schnell wie möglich in den vorderen