das Erben von Besitz und Eigenthum durchaus kein Übel. Denn ohne die Anhäufung von Capital könnten die Künste keine Fortschritte machen und es ist hauptsächlich durch die Kraft dieser geschehen, daß die civilisierten Rassen sich verbreitet haben und jetzt noch immer ihren Bezirk erweitern, so daß sie die Stelle der niedrigeren Rassen einnehmen. Auch stört die mäßige Anhäufung von Wohlstand den Proceß der Zuchtwahl durchaus nicht. Wenn ein armer Mensch reich wird, so beginnen seine Kinder den Handel oder ein Gewerbe, in welchem es des Kampfes genug giebt, so daß der an Körper und Geist Fähigere am besten fortkommt. Das Vorhandensein einer Menge gut unterrichteter Leute, welche nicht um ihr tägliches Brod zu arbeiten haben, ist in einem Grade bedeutungsvoll, welcher nicht überschätzt werden kann; denn alle intellectuelle Arbeit wird von ihnen verrichtet und von solcher Arbeit hängt der materielle Fortschritt jeglicher Art hauptsächlich ab, um andere und höhere Vortheile gar nicht zu erwähnen. Wird der Wohlstand sehr groß, so verwandelt er ohne Zweifel leicht die Menschen in unnütze Drohnen, aber ihre Zahl ist niemals groß auch tritt ein Eliminationsprocess in einem gewissen Grade hier ein, da wir täglich sehen, wie reiche Leute närrisch oder verschwenderisch werden und allen ihren Wohlstand vergeuden.
Primogenituren mit Familienfideicommissen sind ein directeres Übel, trotzdem es früher wegen der durch sie ermöglichten Bildung einer vorherrschenden Classe von großem Vortheil gewesen sein mag; denn irgend eine Regierung ist besser als Anarchie. Die meisten ältesten Söhne, mögen sie auch an Körper oder Geist schwach sein, heirathen, während die jüngeren Söhne, so überlegen sie auch in den ebengenannten Beziehungen sein mögen, nicht so allgemein heirathen. Auch können unwürdige älteste Söhne mit Familiengütern ihren Reichthum nicht verschwenden. Aber hier sind, wie in anderen Punkten, die Beziehungen des civilisierten Lebens so compliciert, daß noch andere compensatorische Hemmnisse eingreifen. Die Männer, welche durch Primogenitur reich sind, sind im Stande, Generation nach Generation sich die schöneren und reizvolleren Frauen zu wählen, und diese müssen allgemein an Körper gesund und an Geist lebendig sein. Den schlimmen Folgen einer beständigen Reinhaltung derselben Descendenzreihe ohne irgendwelche Wahl, welches dieselben auch sein mögen, wird stets von Männern von Rang vorgebeugt, welche ihre Macht und ihren Reichthum zu vergrößern wünschen; und dies bewirken sie dadurch, daß sie Erbinnen heirathen. Aber die Töchter von Eltern, welche nur einzige Kinder erzeugt haben, sind für sich schon wie Mr. Galton296 gezeigt hat, leicht steril. Daher werden beständig Adelsfamilien in der directen Linie aussterben, so daß ihr Reichthum in irgend eine Seitenlinie überfließt, unglücklicherweise wird aber diese Linie nicht durch Superiorität irgend welcher Art bestimmt.
Obgleich hiernach die Civilisation auf viele Weise die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl hemmt, so begünstigt dieselbe offenbar mittelst der verbesserten Nahrung und der Beseitigung von gelegentlichen Nothständen die bessere Entwicklung des Körpers. Dies läßt sich daraus schließen, daß, wo man auch den Vergleich angestellt haben mag, civilisierte Leute immer physisch kräftiger gefunden werden als Wilde.297 Sie scheinen auch gleiche Kraft der Ausdauer zu haben, wie sich in vielen abenteuerlichen Expeditionen herausgestellt hat. Selbst der große Luxus der Reichen kann nur in geringem Grade nachtheilig sein. Denn die wahrscheinliche Lebensdauer unserer Aristokratie ist auf allen Altersstufen und in beiden Geschlechtern sehr unbedeutend geringer als diejenige gesunder Engländer der niederen Classen.298
Wir wollen nun die intellectuellen Fähigkeiten allein betrachten. Wenn wir auf jeder Stufe der Gesellschaft die Glieder in zwei gleiche Massen theilten, von denen die eine diejenigen umfaßte, welche intellectuell höher begabt wären, die andere die ihnen untergeordneteren, so läßt sich kaum zweifeln, daß die erstere in allen Beschäftigungsweisen bessere Erfolge erzielen und eine größere Anzahl von Kindern aufbringen würde. Selbst in den niedrigsten Schichten des Lebens muß Geschick und Fähigkeit von irgendwelchem Vortheil sein, wenn auch, wegen der großen Arbeitstheilung, in vielen Thätigkeitszweigen nur von sehr geringem. Es wird daher bei civilisierten Nationen eine Neigung bestehen, daß die intellectuell Befähigten sowohl der Zahl nach als auch in Bezug auf den Maßstab der Intelligenz zunehmen. Doch möchte ich nicht behaupten, daß die Neigung nicht durch andere Momente mehr als ausgeglichen werden dürfte, wie z. B. durch die Vermehrung der Leichtsinnigen und Sorglosen; aber selbst für diese muß Geschicklichkeit von irgendwelchem Vortheil sein.
Ansichten wie den eben vorgetragenen ist oft entgegengehalten worden, daß die ausgezeichnetsten Leute, welche je gelebt haben, keine Nachkommen hinterlassen haben, um ihren großen Intellect zu vererben. Mr Galton bemerkt:299 »ich bedaure, nicht im Stande zu sein, die einfache Frage zu lösen, ob und in wie weit Männer und Frauen, welche Wunder des Genies waren, unfruchtbar sind. Ich habe indessen gezeigt, daß hervorragende Männer dies durchaus nicht sind«. Große Gesetzgeber, die Gründer segensreicher Religionen, große Philosophen und wissenschaftliche Entdecker unterstützen den Fortschritt der Menschheit in einem viel höheren Grade durch ihre Werke als durch das Hinterlassen einer zahlreichen Nachkommenschaft. Was die körperliche Structur betrifft, so ist es die Auswahl der unbedeutend besser begabten und die Beseitigung der ebenso unbedeutend weniger gut begabten Individuen und nicht die Erhaltung scharf markierter und seltener Anomalien, welche zur Verbesserung einer Species führt.300 Dasselbe wird auch für die intellectuellen Fähigkeiten der Fall sein. Es werden nämlich auch hier die in irgend etwas fähigeren Menschen auf jeder Stufe der Gesellschaft bessere Erfolge erzielen als die weniger fähigen, und, wenn sie nicht auf andere Weise daran gehindert werden, in Folge dessen stärker an Zahl zunehmen. Hat sich in irgend einer Nation die Höhe des Intellects und die Anzahl intellectueller Leute vermehrt, so können wir nach dem Gesetze der Abweichung vom Mittel, wie Mr. Galton gezeigt hat, erwarten, daß Wunder des Genies etwas häufiger als früher erscheinen werden.
In Bezug auf die moralischen Eigenschaften findet beständig eine gewisse Beseitigung der am schlechtesten Veranlagten statt, selbst bei den civiliertesten Nationen. Übelthäter werden hingerichtet oder auf lange Zeit gefangen gesetzt, so daß sie ihre schlechtesten Eigenschaften nicht in größerer Menge fortpflanzen können. Melancholische und geisteskranke Personen werden in Gewahrsam gehalten oder begehen Selbstmord. Heftige und streitsüchtige Leute finden oft ein blutiges Ende. Ruhelose Leute, welche keine stetige Beschäftigung ergreifen wollen – und dies Überbleibsel der Barbarei ist ein großes Hemmnis für die Civilisation301 – wandern nach neugegründeten Staaten aus, wo sie sich als nützliche Pioniere erweisen. Unmäßigkeit ist in so hohem Grade zerstörend, daß die wahrscheinliche Lebensdauer der Unmäßigen z. B. im Alter von dreißig, nur 13,8 Jahre beträgt, während sie für die Arbeiter auf dem Lande von demselben Alter in England 40,59 beträgt.302
Lüderliche Frauen haben wenig Kinder und lüderliche Männer heirathen selten; Beide leiden durch die Entwicklung constitutioneller Krankheiten. Bei der Zucht von domesticierten Thieren ist die Beseitigung derjenigen Individuen, welche, wenn sie auch der Zahl nach wenig sind, in irgendwelchem markierten Grade untergeordnet sind, ein durchaus nicht, bedeutungsloses Moment in Bezug auf den Erfolg. Dies gilt vorzüglich für die schädlichen Merkmale, welche in Folge von Rückschlag wieder aufzutreten neigen, wie z. B. schwarze Farbe bei Schafen; und auch beim Menschen können einige der schlechtesten Anlagen, welche gelegentlich ohne irgendwelche nachweisbare Ursache in Familien auftreten, vielleicht als Rückschlag auf einen wilden Zustand angesehen werden, von welchem wir durch nicht gar zu viele Generationen getrennt sind. Diese Ansicht scheint in der That durch die gewöhnliche Redensart anerkannt zu werden, daß derartige Leute die »schwarzen Schafe« der Familie seien.
Was einen erhöhten Maßstab der Moralität und eine vermehrte Anzahl ziemlich gut begabter Menschen betrifft, so scheint bei civilisierten Nationen die natürliche Zuchtwahl nur wenig zu bewirken, trotzdem die fundamentalen socialen Instincte ursprünglich hierdurch erlangt worden sind. Ich habe aber, als ich von den niederen Rassen handelte,