stets bereit sind, einander zu helfen und sich für das allgemeine Beste zu opfern, wird über die meisten anderen Stämme den Sieg davontragen, und dies würde natürliche Zuchtwahl sein. Zu allen Zeiten haben über die ganze Erde einzelne Stämme andere verdrängt, und da die Moralität ein bedeutungsvolles Element bei ihrem Erfolg ist. so wird der Maßstab der Moralität sich zu erhöhen und die Zahl gut begabter Menschen überall zuzunehmen streben.
Es ist indessen sehr schwer, sich irgend ein Urtheil darüber zu bilden, warum ein besonderer Stamm und nicht ein anderer erfolgreich gewesen und in der Civilisationsstufe gestiegen ist. Viele Wilde sind noch in demselben Zustande, in welchem sie sich vor mehreren Jahrhunderten befanden, als sie entdeckt wurden. Wie Mr. Bagehot bemerkt hat, sind wir geneigt, den Fortschritt als das Normale im Leben der menschlichen Gesellschaft zu betrachten; aber die Geschichte widerlegt dies. Die Alten hatten nicht einmal diese Idee, ebensowenig wie die orientalischen Nationen sie heutigen Tages haben. Eine andere bedeutende Autorität, Sir Henry Maine, sagt:291 der »größte Theil der Menschheit hat niemals auch nur eine Spur eines Wunsches gezeigt, daß seine bürgerlichen Institutionen verbessert werden sollten«. Fortschritt scheint von vielen zusammenwirkenden günstigen Bedingungen abzuhängen, die viel zu compliciert sind, um hier einzeln verfolgt zu werden. Es ist aber oft bemerkt worden, daß ein kühles Klima, weil es zur Industrie und den verschiedenen Kunstfertigkeiten führt, zu jenem Zwecke äußerst günstig gewesen ist. Die Eskimos haben, von starrer Nothwendigkeit bedrückt, viele ingeniöse Erfindungen gemacht, aber ihr Klima ist zu rauh gewesen, um einen beständigen Fortschritt zu gestatten. Nomadisches Leben, mag es auf weiten Ebenen oder in den dichten Wäldern der Tropenländer oder den Seeküsten entlang geführt worden sein, ist in allen Fällen äußerst nachtheilig gewesen. Bei Beobachtung der barbarischen Einwohner des Feuerlandes drängte sich mir die Überzeugung auf, daß der Besitz irgendwelchen Eigenthums, ein fester Wohnsitz und die Verbindung vieler Familien unter einem Häuptlinge die unentbehrlichen Erfordernisse zur Civilisation sind. Derartige Gebräuche fordern fast mit Nothwendigkeit die Cultur des Bodens; und die ersten Fortschritte im Landbau, sind wahrscheinlich, wie ich an einem andern Orte gezeigt habe,292 das Resultat irgend eines Zufalls gewesen, wie beispielsweise, wenn die Samenkörner eines Fruchtbaumes auf einen Abraumhaufen fallen und eine ungewöhnlich schöne Varietät hervorbringen. Indessen ist das Problem des ersten Fortschritts der Wilden, nach ihrer Civilisation hin, vorläufig viel zu schwer, um gelöst zu werden.
Fußnote
285 Anthropological Review. May 1864, p. CLVIII.
286 Wenn die Glieder eines Stammes oder ganze Stämme in einen andern Stamm aufgegangen sind, so nehmen sie, wie Mr. Maine bemerkt (Ancient Law, 1861, p. 131), nach einiger Zeit an, daß sie Nachkommen derselben Voreltern wie die Glieder des letzteren seien.
287 Morlot, Soc. Vaud. Scienc. Nat. 1860, p. 294.
288 Beispiele habe ich in meinem »Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication«. 2. Aufl. Bd. II, p. 224 gegeben.
289 s. eine Reihe merkwürdiger Artikel »on Physics and Politics« in: Fortnightly Review. Nov. 1867, 1. Apr. 1868, 1. July 1869: seitdem separat erschienen.
290 Mr. Wallace führt Fälle hiervon an in seinen »Contributions to the Theory of Natural Selection«. 1870, p. 354.
291 Ancient Law. 1861, p. 22. Wegen Bagehot's Bemerkungen s. Fortnightly Review, 1. Apr. 1868, p. 452.
292 Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. I, p. 342, 343.
Natürliche Zuchtwahl in ihrem Einflüsse auf civilisierte Nationen. – Ich habe bis jetzt den Fortschritt des Menschen von einem früheren halbmenschlichen Zustand zu dem der jetzt lebenden Wilden betrachtet. Es dürfte aber doch der Mühe werth sein, einige Bemerkungen über die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl auf civilisierte Nationen hier noch hinzuzufügen. Es ist dieser Gegenstand von Mr. W. R. Greg293 recht gut erörtert worden, wie früher schon von Mr. Wallace und Mr. Galton.294 Die meisten meiner Bemerkungen sind von diesen drei Schriftstellern entnommen. Bei Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt und die, welche leben bleiben, zeigen gewöhnlich einen Zustand kräftiger Gesundheit. Auf der anderen Seite thun wir civilisierte Menschen alles nur Mögliche, um den Proceß dieser Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken; wir erlassen Armengesetze und unsere Ärzte strengen die größte Geschicklichkeit an, das Leben eines Jeden bis zum letzten Moment noch zu erhalten. Es ist Grund vorhanden, anzunehmen, daß die Impfung Tausende erhalten hat, welche in Folge ihrer schwachen Constitution früher den Pocken erlegen wären. Hierdurch geschieht es, daß auch die schwächeren Glieder der civilisierten Gesellschaft ihre Art fortpflanzen. Niemand, welcher der Zucht domesticierter Thiere seine Aufmerksamkeit gewidmet hat, wird daran zweifeln, daß dies für die Rasse des Menschen im höchsten Grade schädlich sein muß. Es ist überraschend, wie bald ein Mangel an Sorgfalt oder eine unrecht geleitete Sorgfalt zur Degeneration einer domesticierten Rasse führt, aber mit Ausnahme des den Menschen selbst betreffenden Falls ist wohl kaum ein Züchter so unwissend, daß er seine schlechtesten Thiere zur Nachzucht zuließe. Die Hülfe, welche wir dem Hülflosen zu widmen uns getrieben fühlen, ist hauptsächlich das Resultat des Instincts der Sympathie, welcher ursprünglich als ein Theil der socialen Instincte erlangt, aber später in der oben bezeichneten Art und Weise zarter gemacht und weiter verbreitet wurde. Auch könnten wir unsere Sympathie, wenn sie durch den Verstand hart bedrängt würde, nicht hemmen, ohne den edelsten Theil unserer Natur herabzusetzen. Der Chirurg kann sich abhärten, wenn er eine Operation ausführt, denn er weiß, daß er zum Besten seines Patienten handelt, aber wenn wir absichtlich den Schwachen und Hülflosen vernachlässigen sollten, so könnte es nur geschehen um den Preis einer aus einem vorliegenden überwältigenden Übel herzuleitenden großen Wohlthat. Wir müssen daher die ganz zweifellos schlechte Wirkung des Lebenbleibens und der Vermehrung der Schwachen ertragen; doch scheint wenigstens ein Hindernis für die beständige Wirksamkeit dieses Moments zu existieren, in dem Umstande nämlich, daß die schwächeren und untergeordneteren Glieder der Gesellschaft nicht so häufig wie die Gesunden heirathen; und dies Hemmnis könnte noch ganz außerordentlich verstärkt werden, trotzdem man es mehr hoffen als erwarten kann, wenn die an Körper und Geist Schwachen sich des Heirathens enthielten.
In jedem Lande, in welchem ein großes stehendes Heer gehalten wird, werden die tüchtigsten jungen Leute bei der Conscription genommen oder ausgehoben. Sie sind damit frühzeitigem Tode während eines Krieges ausgesetzt, werden oft zu Lastern verführt und sind verhindert, in der Blüthe ihres Lebens zu heirathen. Es werden andererseits die kleineren und schwächeren Männer von bedenklicher Constitution zu Hause gelassen, folglich haben diese viel mehr Aussicht, heirathen und ihre Art fortpflanzen zu können.295
Der Mensch häuft Besitzthum an und hinterläßt es seinen Kindern, so daß die Kinder der Reichen in dem Wettlauf nach Erfolg vor denen der Armen einen Vortheil voraus haben, unabhängig von körperlicher oder geistiger Überlegenheit. Andererseits treten die Kinder kurzlebiger Eltern, welche daher im Durchschnitt selbst von schwacher Gesundheit und geringer Lebenskraft sind, ihr Besitzthum früher an,