wir zahllose Beispiele dieser Form der Überlieferung antreffen, – so in den Fällen, wo Sporne, besondere Federn oder brillante Farben, welche von den männlichen Vögeln zum Kämpfen oder zum Schmuck erlangt worden sind, in einem unvollkommenen oder rudimentären Zustand den Weibchen überliefert worden sind.
Daß männliche Säugethiere functionell unvollkommene Milchdrüsen besitzen, ist in manchen Beziehungen ganz besonders merkwürdig. Die Monotremen haben die ordentlichen milchabsondernden Drüsen mit Öffnungen, aber ohne Zitzen; und da diese Thiere factisch am Anfange der ganzen Säugethierreihe stehen, so ist es wahrscheinlich, daß die Urerzeuger dieser Classe in gleicher Weise die milchabsondernden Drüsen, aber keine Zitzen besessen haben. Diese Folgerung wird noch durch das unterstützt, was wir von ihrer Entwicklungsweise wissen; denn Professor Turner theilt mir nach der Autorität von Kölliker und Langer mit, daß beim Embryo die Milchdrüsen deutlich nachgewiesen werden können, noch ehe die Warzen auch nur im geringsten sichtbar sind; und die Entwicklung nach einander auftretender Theile am Individuum stellt im Allgemeinen die Entwicklung nach einander auftretender Geschöpfe in derselben Descendenzreihe dar oder stimmt mit dieser überein. Die Marsupialien weichen von den Monotremen durch den Besitz von Zitzen ab, so daß diese Organe wahrscheinlich von den Marsupialien zuerst erlangt wurden, nachdem sie von den Monotremen sich abgezweigt und sich über dieselben erhoben hatten, worauf sie dann den placentalen Säugethieren überliefert wurden.350 Niemand wird annehmen, daß die Marsupialien noch zwitterhaft blieben, nachdem sie ihren gegenwärtigen Bau annäherungsweise erreicht hatten. Wie haben wir es nun dann zu erklären, daß männliche Säugethiere Milchdrüsen besitzen? Es ist möglich, daß sie zuerst bei den Weibchen sich entwickelt und dann auf die Männchen vererbt haben; aber nach dem Folgenden ist dies kaum wahrscheinlich.
Eine andere Ansicht wäre, zu vermuthen, daß lange, nachdem die Urerzeuger der ganzen Säugethierclasse aufgehört hatten, Zwitter zu sein, beide Geschlechter Milch abgesondert und damit ihre Jungen ernährt hätten, und daß, was die Marsupialien betrifft, beide Geschlechter die Jungen in der marsupialen Tasche getragen hätten. Dies wird nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen, wenn wir uns erinnern, daß die Männchen jetztlebender Nadelfische ( Syngnathus) die Eier der Weibchen in ihre abdominalen Taschen aufnehmen, sie ausbrüten und, wie Manche annehmen, später die Jungen ernähren,351 – daß ferner gewisse andere männliche Fische die Eier innerhalb ihres Mundes oder der Kiemenhöhle ausbrüten, – daß gewisse männliche Kröten die rosenkranzförmigen Schnüre von Eiern von ihren Weibchen abnehmen und sie um ihre eigenen Schenkel herumwickeln und dort behalten, bis die Kaulquappen geboren worden sind, – daß ferner gewisse männliche Vögel die Pflicht des Brütens ganz auf sich nehmen und daß männliche Tauben ebenso gut wie die weiblichen ihre Nestlinge mit einer Absonderung aus ihrem Kropfe ernähren. Die oben angegebene Vermuthung kam mir aber zuerst, als ich sah, daß die Milchdrüsen bei männlichen Säugethieren so viel vollkommener entwickelt sind als die Rudimente jener anderen accessorischen Theile des Fortpflanzungssystem, welche sich in dem einen Geschlechte finden, trotzdem sie eigentlich dem anderen angehören. Die Milchdrüsen und Zitzen können in der Form, wie sie bei männlichen Säugethieren existieren, in der That kaum rudimentär genannt werden, sie sind einfach nicht vollständig entwickelt und nicht functionell thätig. Sie werden unter dem Einflusse gewisser Krankheiten sympathisch mit afficiert, ganz wie dieselben Organe beim Weibchen. Bei der Geburt und zur Zeit der Pubertät sondern sie oft einige wenige Tropfen Milch ab; diese letztere Thatsache kam in dem merkwürdigen, früher erwähnten Falle vor, wo ein junger Mann zwei Paar Milchdrüsen besaß. Man hat Fälle kennen gelernt, wo sie gelegentlich beim Menschen und anderen Säugethieren in der Reifeperiode so wohl entwickelt waren, daß sie eine reichliche Menge von Milch absonderten. Wenn wir nun annehmen, daß während einer frühen lange dauernden Periode die männlichen Säugethiere ihre Weibchen bei der Ernährung ihrer Nachkommen unterstützten352 und daß später aus irgend einer Ursache (z. B. wenn eine kleinere Zahl von Jungen hervorgebracht wurde) die Männchen aufhörten, diese Hülfe zu leisten, so würde Nichtgebrauch der Organe während des Reifezustands dazu führen, daß sie unthätig würden; und nach zwei bekannten Principien der Vererbung würde dieser Zustand der Unthätigkeit wahrscheinlich auf die Männchen im entsprechenden Alter der Reife vererbt werden. Aber auf einer früheren Altersstufe würden diese Organe unafficiert bleiben, so daß sie bei den Jungen beider Geschlechter gleichmäßig wohl entwickelt sein würden.
Schluß. – Die beste Definition der Weiterentwicklung oder des Fortschritts in der organischen Stufenleiter, welche je gegeben worden ist, ist die von Karl Ernst von Baer gegebene, daß dieselbe auf dem Betrag der Differenzierung und Specialisierung der verschiedenen Theile eines und desselben Wesens beruht, wenn es, wie ich geneigt sein würde hinzuzufügen, zur Reife gelangt ist. Da nun Organismen mittelst der natürlichen Zuchtwahl langsam verschiedenartigen Richtungen des Lebens angepaßt worden sind, so werden ihre Theile in Folge des durch die Theilung der physiologischen Arbeit erlangten Vortheils immer mehr und mehr für verschiedene Functionen differenziert und specialisiert worden sein. Ein und derselbe Theil scheint oft zuerst für den einen Zweck und dann lange Zeit später für irgend einen andern und völlig verschiedenen Zweck modificiert worden zu sein; und hierdurch sind alle Theile mehr oder weniger compliciert gemacht worden. Aber jeder Organismus wird noch immer den allgemeinen Typus des Baues seines Urerzeugers, von dem er ursprünglich herrührte, beibehalten. In Übereinstimmung mit dieser Ansicht scheint, wenn wir die geologischen Zeugnisse berücksichtigen, die Organisation im Ganzen auf der Erde in langsamen und unterbrochenen Schritten vorgeschritten zu sein. In dem großen Unterreiche der Wirbelthiere hat sie im Menschen gegipfelt. Es darf indessen nicht angenommen werden, daß Gruppen organischer Wesen fortwährend unterdrückt werden und verschwinden, sobald sie andern und vollkommeneren Gruppen Entstehung gegeben haben. Wenn auch die Letzteren über ihre Vorgänger gesiegt haben, so brauchen sie doch nicht für alle Stellen in dem Haushalte der Natur besser angepaßt gewesen zu sein. Einige alte Formen sind allem Anscheine nach leben geblieben, weil sie geschützte Orte bewohnten, wo sie keiner sehr scharfen Concurrenz ausgesetzt waren; und diese unterstützen uns oft bei der Construction unserer Genealogien dadurch, daß sie uns ein leidliches Bild früherer und sonst verloren gegangener Bildungen geben. Wir dürfen aber nicht in den Irrthum verfallen, die jetzt lebenden Glieder irgend einer niedrig organisierten Gruppe als vollkommene Repräsentanten ihrer alten Urerzeuger zu betrachten.
Die ältesten Urerzeuger im Unterreiche der Wirbelthiere, auf welche wir im Stande sind, einen, wenn auch nur undeutlichen Blick zu werfen, bestanden, wie es scheint, aus einer Gruppe von Seethieren,353 welche den Larven der jetzt lebenden Ascidien ähnlich waren. Diese Thiere ließen wahrscheinlich eine Gruppe von Fischen entstehen, welche gleich niedrig wie der Lanzettfisch organisiert waren; und aus diesen müssen sich die ganoiden und andere dem Lepidosiren ähnliche Fische entwickelt haben. Von derartigen Fischen führt uns ein nur sehr kleiner Schritt zu den Amphibien. Wir haben gesehen, daß Vögel und Reptilien einst innig mit einander verbunden waren und die Monotremen bringen jetzt in einem unbedeutenden Grade die Säugethiere mit den Reptilien in Verbindung. Für jetzt kann aber Niemand sagen, durch welche Descendenzreihe die drei höheren und verwandten Classen, nämlich Säugethiere, Vögel und Reptilien, von den beiden niederen Wirbelthierclassen, nämlich Amphibien und Fischen, abzuleiten sind. Innerhalb der Classe der Säugethiere sind die einzelnen Schritte nicht schwer zu verfolgen, welche von den alten Monotremen zu den alten Marsupialien führen und von diesen zu den frühen Urerzeugern der plancentalen Säugethiere. Wir können auf diese Weise bis zu den Lemuriden aufsteigen, und der Zwischenraum zwischen diesen bis zu den Simiaden ist nicht groß. Die Simiaden zweigten sich dann in zwei große Stämme ab, die neuweltlichen und die altweltlichen Affen, und aus den letzteren ging in einer frühen Zeit der Mensch, das Wunder und der Ruhm des Weltalls, hervor.
Wir haben auf diese Weise dem Menschen einen Stammbaum von wunderbarer Länge gegeben, man könnte aber meinen nicht einen Stammbaum von edler Beschaffenheit. Es ist oft bemerkt worden, daß die Welt sich lange auf die Ankunft des Menschen vorbereitet zu haben scheint; und dies