während die dritte Descendenzlinie so bedeutend modificiert sein könnte, daß sie den Rang einer bestimmten Unterfamilie oder selbst Ordnung verdiente. Aber in diesem Falle ist es fast sicher, daß die dritte Linie noch immer in Folge der Vererbung zahlreiche kleine Punkte der Übereinstimmung mit den andern beiden Linien darbieten würde. Hier würde denn nun die für jetzt unlösliche Schwierigkeit eintreten, wie viel Gewicht wir in unsern Classificationen auf scharf ausgesprochene Verschiedenheiten in einigen wenigen Punkten, d. h. auf die Größe der eingetretenen Modification legen sollen und wie viel auf eine nahe Übereinstimmung in zahlreichen bedeutungslosen Punkten als Andeutung der Descendenzreihe oder der Genealogie. Den wenigen, aber starken Verschiedenheiten großes Gewicht beizulegen, ist der nächstliegende und vielleicht auch der sicherste Weg, obgleich es correcter zu sein scheint, den vielen kleinen Übereinstimmungen große Aufmerksamkeit zu widmen, da sie eine wirkliche natürliche Classification geben.
Um uns in Bezug auf den Menschen ein Urtheil über diesen Punkt zu bilden, müssen wir einen Blick auf die Classification der Simiaden werfen. Diese Familie wird fast von allen Zoologen in die Gruppe der Catarhinen oder Affen der alten Welt und in die Gruppe der Platyrhinen oder Affen der neuen Welt getheilt. Die erstere ist in ihren sämmtlichen Gliedern, wie schon ihr Name ausdrückt, durch die eigentümliche Structur ihrer Nasenlöcher und durch den Besitz von vier falschen Backzähnen in jeder Kinnlade charakterisiert; die letztere, welche zwei sehr verschiedene Untergruppen enthält umfaßt Formen, welche sämmtlich durch verschieden gebaute Nasenlöcher und durch den Besitz von sechs falschen Backzähnen in jeder Kinnlade charakterisiert sind. Es lassen sich noch einige andere kleinere Verschiedenheiten anführen. Der Mensch gehört nun ohne Frage rücksichtlich seiner Bezahnung, des Baues seiner Nasenlöcher und in einigen anderen Beziehungen zu der Abtheilung der Catarhinen oder der altweltlichen Formen, und den Platyrhinen gleicht er nicht mehr als die Catarhinen in irgend welchen Merkmalen, mit Ausnahme einiger weniger von nicht besonderer Bedeutung und offenbar von einer adaptiven Natur. Es würde daher gegen alle Wahrscheinlichkeit sein, wollte man annehmen, daß irgend eine alte Species der neuweltlichen Gruppe variiert und dadurch ein menschenähnliches Wesen mit allen den distinctiven Merkmalen, welche der altweltlichen Abtheilung eigen sind, hervorgebracht habe, wobei sie gleichzeitig auch ihre sämmtlichen eigenen Unterscheidungsmerkmale verloren haben müßte. Es läßt sich folglich kaum irgend bezweifeln, daß der Mensch ein Zweig des altweltlichen Simiadenstammes ist und daß er von einem genealogischen Gesichtspunkte aus in die Abtheilung der Catarhinen einzuordnen ist.333
Die anthropomorphen Affen, nämlich der Gorilla, Schimpanse, Orang und Hylobates, werden von den meisten Zoologen als eine besondere Untergruppe von den übrigen Affen der alten Welt getrennt. Es ist mir wohl bekannt, daß Gratiolet unter Bezugnahme auf die Bildung des Gehirns das Vorhandensein dieser Untergruppe nicht zugiebt, und sie ist auch ohne Zweifel eine unterbrochene. So ist der Orang, wie Mr. St. George Mivart bemerkt,334 »eine der eigenthümlichsten »und aberrantesten Formen, die sich in der ganzen Ordnung finden läßt«. Die übrigen, nicht anthropomorphen Affen der alten Welt werden ferner von einigen Zoologen in zwei oder drei kleinere Untergruppen getheilt. Die Gattung Semnopithecus mit ihrem eigenthümlich zusammengesetzten Magen bildet den Typus der einen dieser Untergruppen. Es scheint aber aus den wunderbaren Entdeckungen Mr. Gaudry's in Griechenland hervorzugehen, daß dort während der Miocenperiode eine Form existierte, welche Semnopithecus und Macacus verband, und dies erläutert wahrscheinlich die Art und Weise, in welcher die andern und höheren Gruppen einst mit einander zusammenhingen.
Wird zugegeben, daß die anthropomorphen Affen eine natürliche Untergruppe bilden, so kann man auch schließen, daß irgend ein altes Glied dieser anthropomorphen Untergruppe dem Menschen Entstehung gegeben habe. Denn der Mensch stimmt mit ihnen nicht bloß in allen denjenigen Merkmalen überein, welche er mit der ganzen Gruppe der Catarhinen in Gemeinschaft besitzt, sondern auch in anderen eigenthümlichen Charakteren, so in der Abwesenheit eines Schwanzes und der Gesäßschwielen und in der ganzen äußeren Erscheinung. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ein Glied einer der anderen niederen Untergruppen durch das Gesetz analoger Abänderungen ein menschenähnliches Geschöpf, welches den höheren anthropomorphen Affen in so vielen Beziehungen gleicht, hätte entstehen lassen können. Ohne Zweifel ist der Mensch im Vergleich mit den meisten seiner Verwandten einem außerordentlichen Betrage von Modification unterlegen, und zwar hauptsächlich in Folge seines bedeutend entwickelten Gehirns und seiner aufrechten Stellung. Nichtsdestoweniger dürfen wir nicht vergessen, daß er nur »eine der verschiedenen exceptionellen »Formen der Primaten ist«.335
Jeder Naturforscher, welcher an das Princip der Entwicklung glaubt, wird zugeben, daß die beiden Hauptabtheilungen der Simiaden, nämlich die catarhinen und platyrhinen Affen mit ihren Untergruppen, sämmtlich von einem äußerst weit zurückliegenden alten Urerzeuger ausgegangen sind. Die frühen Nachkommen dieses Urerzeugers werden, ehe sie in irgend einem beträchtlichen Grade von einander abgewichen waren, noch immer eine einzige natürliche Gruppe gebildet haben; aber einige dieser Arten oder dieser beginnenden Gattungen werden bereits angefangen haben, durch ihre divergierenden Merkmale die künftigen Unterscheidungszeichen der beiden Abtheilungen der Catarhinen und Platyrhinen anzudeuten. Es werden daher die Glieder dieser angenommenen alten Gruppe weder in ihrer Bezahnung noch in der Natur ihrer Nasenlöcher so gleichförmig gewesen sein, wie es auf der einen Seite die jetzt lebenden catarhinen, auf der andern die jetzt lebenden platyrhinen Affen sind, sondern sie werden in dieser Beziehung den verwandten Lemuriden geglichen haben, welche in der Form ihrer Schnauze336 bedeutend und in Bezug auf ihre Bezahnung in einem ganz außerordentlichen Grade von einander abweichen.
Die catarhinen und platyrhinen Affen stimmen in einer Menge von Merkmalen mit einander überein, wie sich schon aus dem Umstande ergiebt, daß sie ohne Frage in eine und dieselbe Ordnung gestellt werden. Die vielerlei Charaktere, welche sie in Gemeinschaft besitzen, können kaum von so vielen verschiedenen Species unabhängig erlangt worden sein, es müssen also diese Merkmale vererbt sein. Aber eine alte Form, welche Charaktere besaß, von denen viele den catarhinen und platyrhinen Affen gemeinsam eigen sind, von denen andere in einem intermediären Zustande und einige wenige in einer von den gegenwärtig in beiden Gruppen vorhandenen vielleicht ganz verschiedenen Weise vorhanden waren, würde unzweifelhaft, wenn sie ein Zoolog zu bestimmen hätte, als ein Affe bezeichnet werden. Und da der Mensch von dem genealogischen Standpunkte aus zu dem Stamme der catarhinen oder altweltlichen Formen gehört, so müssen wir schließen, wie sehr sich auch unser Stolz gegen diesen Schluß empören mag, daß unsere früheren Urerzeuger wahrscheinlich in dieser Weise bezeichnet worden wären.337 Wir dürfen aber nicht in den Irrthum verfallen, etwa anzunehmen, daß der frühere Urerzeuger des ganzen Stammes der Simiaden, mit Einschluß des Menschen, mit irgend einem jetzt existierenden Affen identisch oder ihm auch nur sehr ähnlich gewesen sei.
Über die Geburtsstätte und das Alter des Menschen. – Wir werden natürlich darauf geführt zu untersuchen, wo die Geburtsstätte des Menschen gewesen ist, d. h. auf derjenigen Stufe seiner Descendenzreihe, wo unsere Urerzeuger von dem Stamme der Catarhinen sich abzweigten. Die Thatsache, daß sie zu diesem Stamme gehörten, zeigt ganz entschieden, daß sie die alte Welt bewohnten, aber weder Australien noch irgend eine oceanische Insel, wie wir aus den Gesetzen der geographischen Verbreitung schließen können. In jeder großen Region der Erde sind die dort lebenden Säugethiere nahe mit den ausgestorbenen Arten derselben Region verwandt. Es ist daher wahrscheinlich, daß Afrika früher von jetzt ausgestorbenen Affen bewohnt wurde, welche dem Gorilla und dem Schimpanse nahe verwandt waren; und da diese beiden Species jetzt die nächsten Verwandten des Menschen sind, so ist es noch etwas wahrscheinlicher, daß unsere frühen Urerzeuger auf dem afrikanischen Festlande lebten. Es ist aber ganz unnütz, über diesen Gegenstand Speculationen anzustellen; denn zwei oder drei anthropomorphe Affen, einer fast so groß wie der Mensch, nämlich der Dryopithecus338 von Lartet.