rel="nofollow" href="#ulink_10846293-d716-5285-9c53-1e4229e0c27f">432 dessen Arbeit nicht bloß die neueste, sondern auch die vollständigste Abhandlung über den Gegenstand ist.
Die schließlichen Resultate dieser Untersuchungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1) Beim menschlichen Fœtus bildet sich die Sylvische Spalte im Laufe des dritten Monats des Uterinlebens. In dieser Zeit und im vierten Monat sind die Großhirn-Hemisphären glatt und abgerundet (mit Ausnahme der Sylvischen Vertiefung) und springen rückwärts weit über das kleine Gehirn vor.
2) Die eigentlich so genannten Furchen beginnen in dem Zeitraum zwischen dem Ende des vierten und dem Anfange des sechsten Monats des fœtalen Lebens zu erscheinen; Ecker hebt aber sorgfältig hervor, daß nicht bloß die Zeit, sondern auch die Reihenfolge ihres Auftretens beträchtlicher individueller Abänderung unterliegt. In keinem Falle indessen sind die Stirn- oder die Schläfenfurchen die frühesten.
In der That liegt die erste Furche, welche erscheint, auf der inneren Fläche der Hemisphäre (woher es ohne Zweifel kommt, daß Gratiolet, welcher diese Seite bei seinem Fœtus nicht untersucht zu haben scheint, dieselbe übersehen hat); es ist dies entweder die innere senkrechte (occipito-parietale) oder die Hippocampus Furche, da diese beiden dicht bei einander liegen und eventuell in einander laufen. Der Regel nach ist die Occipito-parietal-Furche die frühere von beiden.
3) In dem späteren Theile dieser Periode entwickelt sich eine andere Furche, die »postero-parietale« oder die Rolando'sche Spalte; ihr folgen im Laufe des sechsten Monats die anderen Hauptfurchen des Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptlappens. Es liegen indessen keine deutlichen Beweise vor, daß eine von diesen constant vor den andern erscheint; und es ist merkwürdig, daß an dem aus dieser Periode von Ecker beschriebenen und abgebildeten Gehirn (a. a. O. p. 212-13, Taf. II, Fig. 1, 2, 3, 4) die Antero-temporal-Furche (scissure parallèle), welche für das Affengehirn so charakteristisch ist, ebenso gut wenn nicht noch besser entwickelt ist, als die Rolando'sche Spalte, auch viel mehr markiert ist, als die eigentlichen frontalen Furchen.
Nimmt man alle Thatsachen wie sie jetzt stehen zusammen, so geht daraus hervor, daß die Reihenfolge des Auftretens der Furchen und Windungen im fœtalen menschlichen Gehirn in vollkommener Harmonie mit der allgemeinen Entwicklungslehre und mit der Ansicht steht, daß sich der Mensch aus irgend einer affenähnlichen Form entwickelt hat, obschon darüber kein Zweifel sein kann, daß diese Form in vielen Beziehungen von allen Gliedern der jetzt lebenden Ordnung der Primaten verschieden war.
C. E. von Baer hat uns vor einem halben Jahrhundert gelehrt, daß verwandte Thiere im Verlaufe ihrer Entwicklung zuerst die Merkmale der größeren Gruppen, zu denen sie gehören, annehmen und stufenweise diejenigen erhalten, welche sie innerhalb der Grenzen ihrer Familie, Gattung und Art einschließen; er hat gleichzeitig bewiesen, daß kein Entwicklungszustand eines höheren Thieres dem erwachsenen Zustand irgend eines niederen Thieres genau ähnlich ist. Es ist völlig correct zu sagen, daß ein Frosch den Zustand eines Fisches durchläuft, insofern auf einer Periode seines Lebens die Kaulquappe alle Charaktere eines Fisches hat und, wenn sie sich nicht weiter entwickelte, unter die Fische einzuordnen wäre. Es ist aber gleichermaßen wahr, daß eine Kaulquappe sehr verschieden von allen bekannten Fischen ist.
In gleicher Weise kann man ganz richtig sagen, daß das Gehirn eines menschlichen Fœtus vom fünften Monat nicht bloß das Gehirn eines Affen, sondern das eines Arctopithecus- oder Marmoset-ähnlichen Affen sei; denn seine Hemisphären mit ihren großen hinteren Lappen und mit keinen anderen Furchen als der Sylvischen und der Hippocampus-Furche bieten charakteristische Merkmale dar, welche nur in der Gruppe der Arctopithecus-artigen Primaten gefunden werden. Es ist aber gleichermaßen richtig, wie Gratiolet bemerkt, daß es mit seiner weit offenen Sylvischen Spalte vom Gehirn aller lebenden Marmosets abweicht. Ohne Zweifel würde es dem Gehirn eines älteren Fœtus eines Marmosets viel ähnlicher sein. Wir wissen aber durchaus nichts von der Entwicklung des Gehirns bei den Marmosets. In Bezug auf die eigentlichen Platyrhinen verdanken wir die einzige Beobachtung, die mir bekannt ist, Pansch, welcher an dem Gehirn eines fœtalen Cebus Apella außer der Sylvischen Spalte und der tiefen Hippocampus-Furche nur eine sehr seichte anterotemporale Furche (scissure parallèle Gratiolet's) fand.
Diese Thatsache nun, zusammengenommen mit dem Umstande, daß die anterotemporale Furche bei solchen Platyrhinen wie dem Saimiri vorhanden ist, welcher nur Spuren von Furchen auf der vorderen Hälfte der Außenseite der Großhirn-Hemisphären oder gar keine zeigt, bietet unzweifelhaft, so weit sie eben geht, einen gültigen Beleg zu Gunsten der Hypothese Gratiolet's dar, daß die hinteren Furchen in den Gehirnen der Platyrhinen vor den vorderen auftreten. Daraus folgt aber durchaus nicht, daß die Regel, welche für die Platyrhinen gilt, sich auch auf die Catarhinen erstrecke. Wir besitzen durchaus keinen Aufschluß über die Entwicklung des Gehirns bei den Cynomorpha, und in Bezug auf die Anthropomorpha nichts als die oben erwähnte Beschreibung des Gehirns eines der Geburt nahen Gibbons. Im jetzigen Augenblicke haben wir nicht den Schatten eines Beweises dafür, daß die Furchen eines Schimpanse- oder Orang-Gehirns nicht in derselben Reihenfolge auftreten wie die des Menschen.
Gratiolet eröffnet seine Vorrede mit dem Aphorismus: »II est dangereux dans les sciences de conclure trop vite«. Ich fürchte, er muß diesen gesunden Grundsatz zu der Zeit vergessen haben, als er im Texte seines Werkes bis zur Erörterung der Verschiedenheiten zwischen Menschen und Affen gekommen war. Ohne Zweifel würde der Verfasser eines der merkwürdigsten Beiträge zum richtigen Verständnis des Säugethiergehirns, welcher je veröffentlicht worden ist, der erste gewesen sein, das Unzureichende seiner Angaben zuzugeben, wenn er den Vortheil der vorgeschrittenen Untersuchungen erlebt hätte. Das Unglück ist, daß seine Schlußfolgerungen von Leuten als Argumente zu Gunsten des Obscurantismus verwendet werden, welche incompetent sind, ihre Begründung zu würdigen.433
Es ist aber wichtig, zu bemerken, daß – mag nun Gratiolet mit seiner Hypothese in Bezug auf die relative Reihenfolge des Erscheinens der Schläfen- und Stirnfurchen Recht oder Unrecht gehabt haben, – die Thatsache bleibt: daß, ehe sowohl Temporal- als Frontalfurchen erscheinen, das fœtale Gehirn des Menschen Charaktere darbietet, welche nur in der niedersten Gruppe der Primaten (mit Beiseitelassung der Lemuren) zu finden sind, und daß dies genau das ist, was wir zu erwarten haben, wenn der Mensch aus einer stufenweisen Modification der nämlichen Form hervorgegangen ist, wie der, von der die übrigen Primaten entsprungen sind.
Fußnote
423 Die Großhirnwindungen des Menschen mit Berücksichtigung ihrer Entwicklung bei dem Fœtus und ihrer Anordnung bei den Affen, in: Abhandl. der math.-physik. Klasse der Königl. Bayer. Akademie d. Wiss. Bd. X. 1870, p. 389.
424 Convolutions of the Human Cerebrum topographically considered. 1866. p. 12.
425 Bemerkungen, besonders über die Übergangswindungen am Schimpansegehirn, in: Proceed. Roy. Soc. Edinburgh, 1865-66.
426 Flower, On the Anatomy of Pithecia Monachus, in: Proceed. Zoolog. Soc. 1862.
427 Stellung des Menschen in der Natur. (Übers.) p. 115.
428 Transactions of the Zoological Society, Vol. V. 1862.
429 »Chez tous les singes, les plis postérieurs se développent les premiers; les plis antérieurs se développent plus tard, aussi la vertèbre occipitale et pariétale sont-elles relativement très-grandes chez le fœtus. L'Homme présente une exception remarquable quant à l'époque