kann keinen großen systematischen Werth haben.
Es ist ferner ermittelt worden, daß der Grad der Asymmetrie der Windungen auf den beiden Seiten des menschlichen Gehirns großer individueller Variation unterliegt, und daß bei den Individuen der Buschmannrasse, welche bis jetzt untersucht worden sind, die Windungen und Furchen der beiden Hemisphären beträchtlich weniger compliciert und symmetrischer sind, als im Europäergehirn, während bei manchen Individuen des Schimpanse ihre Complexität und Asymmetrie auffallend wird. Dies ist besonders bei dem von Mr. Broca abgebildeten Gehirn eines jungen männlichen Schimpanse der Fall L'ordre des Primates, p. 165, Fig. 11).
Was ferner die Frage der absoluten Größe, betrifft, so ist ermittelt worden, daß die Verschiedenheit zwischen dem größten und kleinsten gesunden menschlichen Gehirn beträchtlicher ist als der Unterschied zwischen dem kleinsten gesunden menschlichen Gehirn und dem größten Schimpanse- oder Orang-Gehirn.
Übrigens besteht noch ein Umstand, in welchem die Gehirne des Orang und Schimpanse dem Gehirn des Menschen ähnlich sind, in dem sie aber von den niederen Affen abweichen: das ist das Vorhandensein zweier Corpora candicantia, die Cynomorpha haben nur eines. Angesichts dieser Thatsachen stehe ich nicht an, in diesem Jahre 1874 den Satz zu wiederholen und zu betonen, den ich im Jahre 1873 ausgesprochen habe:427
»Was also den Bau des Gehirns anlangt, so ist klar, daß der Mensch weniger vom Schimpanse und Orang verschieden ist, als diese selbst von den niedern Affen, und daß der Unterschied zwischen den Gehirnen des Schimpanse und des Menschen fast bedeutungslos ist, wenn man ihn mit dem zwischen dem Gehirn des Schimpanse und eines Lemurs vergleicht«.
In dem schon angezogenen Aufsatz leugnet Professor Bischoff nicht den zweiten Theil dieser Angabe; aber zunächst macht er die irrelevante Bemerkung, daß es nicht weiter wunderbar sei, wenn die Gehirne eines Orang und eines Lemur sehr verschieden sind; dann fährt er fort und behauptet: »Wenn man das Gehirn eines Menschen mit dem eines Orang, das Gehirn dieses mit dem eines Schimpanse, dieses mit dem eines Gorilla, dieses mit dem eines Ateles und so fort eines Hylobates, Semnopithecus, Cynocephalus, Cercopithecus, Macacus, Cebus, Callithrix, Lemur, Stenops, Hapale der Reihe nach vergleicht, so wird man nirgends einen größeren oder auch nur ähnlich großen Sprung in der Entwicklung der Windungen der Gehirne zweier neben einander stehender Glieder dieser Reihe finden, als er sich zwischen dem Gehirne des Menschen und des Orang oder Schimpanse findet.«
Hierauf erwidere ich erstens, daß diese Behauptung, mag sie nun richtig oder falsch sein, durchaus nichts mit dem in der »Stellung des Menschen« aufgestellten Satze zu thun hat, welcher sich nicht auf die Entwicklung der Windungen allein, sondern auf den Bau des ganzen Gehirns bezieht. Hätte sich Professor Bischoff die Mühe genommen, einen Blick auf p. 109 des kritisierten Buches zu werfen. so würde er factisch die folgende Stelle gefunden haben: »Und es ist ein merkwürdiger Umstand, daß, obgleich nach unserer gegenwärtigen Kenntnis ein wirklicher anatomischer Sprung in der Formenreihe der Affengehirne vorhanden ist, die durch diesen Sprung entstehende Lücke in der Reihe nicht zwischen dem Menschen und den menschenähnlichen Affen, sondern zwischen den niedrigeren und den niedersten Affen liegt, oder, mit anderen Worten, zwischen den Affen der alten und neuen Welt und den Lemuren. Bei jedem bis jetzt untersuchten Lemur ist das kleine Gehirn zum Theil von oben sichtbar, und sein hinterer Lappen mit dem eingeschlossenen hinteren Horn und Hippocampus minor ist mehr oder weniger rudimentär. Jeder Sahui, amerikanische Affe, Affe der alten Welt, Pavian oder Anthropoide hat dagegen sein kleines Gehirn hinten völlig von den Lappen des großen Gehirns bedeckt und besitzt ein großes hinteres Horn mit einem wohlentwickelten Hippocampus minor«.
Diese Angabe war eine völlig richtige Wiedergabe dessen, was zur Zeit, als sie gemacht wurde, bekannt war; durch die später erfolgte Entdeckung der relativ geringen Entwicklung der hinteren Lappen beim Siamang und dem Heulaffen erscheint sie mir auch nicht mehr als scheinbar abgeschwächt zu sein. Ungeachtet der ausnahmsweisen Kürze der hinteren Lappen in diesen beiden Species wird Niemand behaupten wollen, daß deren Gehirne auch nur im geringsten Grade dem der Lemuren sich nähern. Und wenn wir, anstatt Hapale aus ihrer natürlichen Stelle zu bringen, wie es Prof. Bischoff völlig unerklärlicher Weise that, die Reihe der von ihm ausgewählten und erwähnten Thiere wie folgt schreiben: Homo, Pithecus, Troglodytes, Hylobates, Semnopithecus, Cynocephalus, Cercopithecus, Macacus, Cebus, Callithrix, Hapale, Lemur, Stenops, so wage ich von Neuem zu versichern, daß der große Sprung in dieser Reihe zwischen Hapale und Lemur sich findet und daß dieser Sprung beträchtlich größer ist, als der zwischen irgend welchen zwei anderen Gliedern der Reihe. Professor Bischoff ignorirt die Thatsache, daß lange ehe er schrieb, Gratiolet die Trennung der Lemuren von den anderen Primaten factisch auf Grund der Verschiedenheit ihrer cerebralen Merkmale vorgeschlagen hatte, und daß Professor Flower im Verlaufe seiner Beschreibung des Gehirns des javanischen Lori die folgenden Bemerkungen gemacht hatte:428 »Und es ist besonders merkwürdig, daß in der Entwicklung der hinteren Lappen keine Annäherung an das Lemurengehirn mit kurzen Hemisphären bei denjenigen Affen stattfindet, welche, wie man gewöhnlich vermuthet, sich dieser Familie in anderen Beziehungen nähern, nämlich bei den niederen Formen der Gruppe der Platyrhinen«.
Soweit der Bau des erwachsenen Gehirns in Betracht kommt, rechtfertigen die sehr beträchtlichen Zusätze zu unserer Kenntnis, welche durch die Untersuchungen so vieler Beobachter während der letzten zehn Jahre gemacht worden sind, noch immer vollständig meine im Jahre 1863 gemachte Angabe. Es ist aber gesagt worden, daß selbst wenn man die Ähnlichkeit zwischen den erwachsenen Gehirnen des Menschen und der Affen zugiebt, sie nichtsdestoweniger in Wirklichkeit weit von einander verschieden sind, weil sie in der Art und Weise ihrer Entwicklung fundamentale Verschiedenheiten darbieten. Niemand würde bereiter sein, die Stärke dieses Argumentes zuzugeben, als ich, wenn derartige fundamentale Entwicklungsverschiedenheiten wirklich existierten. Ich leugne aber, daß sie existieren. Im Gegentheil besteht eine fundamentale Übereinstimmung in der Entwicklung des Gehirns bei dem Menschen und den Affen.
Von Gratiolet geht die Angabe aus, daß ein fundamentaler Unterschied in der Entwicklung des Gehirns der Affen und desjenigen des Menschen bestände, und zwar in Folgendem: es sollen bei den Affen die Furchen, welche zuerst auftreten, an der hinteren Gegend der Großhirn-Hemisphären gelegen sein, während beim menschlichen Fœtus die Furchen zuerst auf den Stirnlappen sichtbar werden.429
Diese allgemeine Angabe gründet sich auf zwei Beobachtungen, auf die eines beinahe zur Geburt reifen Gibbons, bei dem die hinteren Windungen »wohl entwickelt« waren, während die der Stirnlappen »kaum angedeutet« waren430 (a. a. O. p. 38), und auf die andere eines menschlichen Fœtus der 22. oder 23. Woche des Uterinlebens, bei welchem Gratiolet bemerkt, daß die Insel unbedeckt war, daß aber nichtsdestoweniger »des incisures sèment le lobe antérieur, une scissure peu profonde indique la séparation du lobe occipital, très-reduit, d'ailleurs, dès cette époque. Le reste de la surface cérébrale est encore absolument lisse«. (a. a. O. p. 83.)
Drei Ansichten dieses Gehirns sind auf Tafel XI, Figur 1, 2, 3 des angeführten Werkes mitgetheilt; sie geben die obere, seitliche und untere Ansicht der Hemisphäre, aber nicht die Innenansicht. Es ist der Beachtung werth, daß die Abbildung durchaus nicht zu Gratiolet's Beschreibung stimmt, insofern die Spalte (anterotemporale) auf der hinteren Hälfte der Hemisphärenfläche ausgeprägter ist, als irgend eine der auf der vorderen Hälfte unbestimmt angedeuteten. Wenn die Abbildung richtig ist, so rechtfertigt sie Gratiolet's Schluß in keiner Weise: »Il y a donc entre ces cerveaux (nämlich dem eines Callithrix und eines Gibbon) et celui du fœtus humain une différence fondamentale. Chez celui-ci, longtemps avant que les plis temporaux apparaissent, les plis frontaux essayent d'exister«. (a. a. O. p. 83.)
Seit Gratiolet's Zeit indessen ist die Entwicklung der Windungen und Furchen des Gehirns zum Gegenstande erneuter Untersuchungen gemacht worden von Schmidt, Bischoff, Pansch