stille zu halten! –
Dann berieten wir uns, was wir nun anfangen wollten, und fanden, daß es am geratensten sei, ruhig im Floß weiter zu treiben, bis wir uns einmal irgendwo ein Boot verschaffen – kaufen könnten. Auf meines Alten Art eins zu ›leihen‹, kam uns nicht in den Sinn, man hätte uns am Ende dabei abfassen können! –
Also vorwärts auf dem Floß und gute Miene zum bösen Spiel gemacht! Nach Einbruch der Dunkelheit setzten wir denn auch unsern Weg fort.
Wer bis jetzt vielleicht noch nicht fest geglaubt hat an das Unglück, welches das Anfassen einer Schlangenhaut bringt, der wird's nun unfehlbar thun, wenn er hört, wie es uns weiter ergangen!
Nirgends konnten wir eine Gelegenheit entdecken, uns ein Boot zu verschaffen, soviel wir auch ausspähten. Sonst begegnet man doch immer Flößen oder dergleichen, die ein übriges Boot haben und gerne abgeben, aber nein, wir sollten kein Glück haben! Die Nacht wurde schwärzer und schwärzer, es war beinahe so schlimm wie Nebel, man konnte die Hand kaum vor den Augen sehen, geschweige denn den Strom überblicken. Allmählich war's spät geworden und sehr still und da hören wir ein Dampfboot in der Entfernung heranbrausen. Wir zündeten unsre Laterne an, damit man uns sehen könne. Wir hörten das Schnauben und Keuchen der Maschine näher und näher, konnten aber erst etwas entdecken, als das Ungetüm schon ganz dicht bei uns war und wir merkten, daß es direkt auf uns lossteuerte. Das thun die großen Dampfer nun manchmal, um zu zeigen, wie geschickt sie im Lenken des Kolosses sind und wenn sie hart vorbeistreifen und das Rad ein Ruder faßt und abknackst, da streckt dann wohl der Steuermann lachend den Kopf heraus und meint wunder, welche Heldenthat er vollbracht. Wir dachten, sie wollten dies auch bei uns probieren und waren selbst voller Erwartung, wie es gelingen würde. Aber es kam näher und näher, furchtbar schnell und sah aus, wie eine dicke, pechschwarze Wolke mit kleinen Glühwürmchen gespickt. Und ehe wir uns nur besinnen konnten, glühten schon dicht über uns die weitoffenen Lucken des Maschinenraums wie feurige Schlünde, bereit, uns zu verschlingen. Man schrie uns zu, gellendes Pfeifen ertönte, Dampf zischte und qualmte, Jim wälzte sich von der einen, ich von der andern Seite über Bord und im selben Moment krachten und splitterten die Planken unseres Floßes, in Fetzen gerissen, auseinander.
Ich tauchte unter und suchte möglichst auf den Grund zu kommen, um das Rad des Dampfers, das über mich wegrauschte, nicht zu genieren. Eine Minute hab' ich's immer unter Wasser aushalten können, diesmal blieb ich wohl anderthalb, aber dann schoß ich auch nur so nach oben, sonst wäre ich im nächsten Moment geborsten. Als ich bis an die Schultern wieder an der Luft war, blies ich erst das Wasser aus den Nüstern und prustete und keuchte mich zurecht. Vom Dampfer konnte ich nichts mehr sehen in der gräßlichen Finsternis, hörte nur noch das Schnauben und Stampfen und fühlte die wilden Wellen. Sie hatten nach ein paar Sekunden Aufenthalt die Maschine wieder in Gang gesetzt und dampften nun davon, ohne sich weiter um das elende, kleine Floß zu kümmern.
Ich rief nach Jim, wieder und wieder, vergebens. Weiß Gott, was aus dem armen Kerl geworden! Eine Planke trieb gegen mich, die erfaßte ich und ließ mich eine Weile treiben, um zu ruhen und nach Jim auszuspähen. Ich konnte aber nichts entdecken, vielleicht war er doch dem Ufer zugeschwommen. Die Strömung trieb nach der linken Seite, so überließ ich mich derselben, in der Hoffnung, daß Jim es ebenso machte und so erreichte ich denn auch nach einiger Anstrengung sicher das Ufer.
Hier lief ich hin und her und schrie: Jim, Jim! Aber kein Jim war zu hören und zu sehen und endlich fiel ich totmüde und elend an einem Baum zu Boden und weinte mich in Schlaf – mir war gar so einsam und allein zu Mute! So öde – so verlassen von aller Welt!
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Siebzehntes Kapitel
Jim findet sich wieder. – Floß zurückgewonnen. – Neue Kameraden! – Der Herzog von Somerset. – Königliches Schicksal. – Eine Gebetsversammlung. – Der Wolf unter den Schafen. –
Als ich am andern Morgen erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel und ich brauchte ein paar Augenblicke, bis ich mich auf die Abenteuer der letzten Nacht besinnen konnte. Ich richtete mich auf und sah mich um, meinte, ich müsse Jims altes, treues, breites Gesicht irgendwo aus dem hohen Ufergras auftauchen sehen, aber nichts regte sich, – ich rief, ein-, zweimal, – alles blieb still. Da rappelte ich mich mühsam auf und schlich mich, elend, zerschlagen und ganz mutlos flußabwärts dem Ufer entlang. Das Wasser behielt ich scharf im Auge, vielleicht konnte ich doch wenigstens seine Leiche – ich meine Jims Leiche – entdecken und so Gewißheit darüber erlangen, was aus dem armen Kerl geworden war. Da ich nichts zu essen hatte, rebellierte mein Magen sehr gegen die weitere Entdeckungsreise am einsamen Fluß; dieser hätte mich weit lieber landeinwärts, bewohnten Gegenden zugetrieben. Ich aber konnte Jim nicht so ohne Weiteres aufgeben. Lange, lange schlenderte ich so hin, ohne das geringste zu entdecken. Ziemlich weit vor mir sah ich den Wald in scharfem Bogen bis zum Wasser hin reichen. Denk' ich, bis dahin gehst du noch und ist Jim dort auch nicht, so hat ihn richtig die Schlangenhaut ins Unglück gebracht. Entweder ist er dann ertrunken, oder aber am Ufer Leuten in die Hände gefallen, die den durchgebrannten Nigger in ihm erkannt und ihn festgenommen haben. So schlepp' ich mich denn noch weiter, immer auf den Wald zu. Das Ufer griff dort landzungenartig in den Fluß hinein, so daß man einen freien Ausblick auf das Wasser haben mußte. Endlich bin ich dort und schau mich um und – was seh' ich? Von Jim – nichts, aber – einen Teil von unsrem Floß, dem guten, alten Floß, und zwar den größeren, mit der Hütte drauf. Die war nun freilich etwas zusammengerissen, der Dampfer war haarscharf dran hin gestreift, aber sie stand doch noch und mit ein wenig Arbeit und Geduld ließ sich alles wieder in schönsten Stand setzen. Ich wußte gar nicht, wie mir war! Ordentlich schwach fühlt' ich mich vor Freude und mußte auf allen Vieren drauf zukriechen. Wie ich näher komm', seh' ich, daß das Ding sogar mit einem Seil am Ufer festgemacht ist und nicht, wie ich dachte, zufällig dort hängen geblieben war. Das macht mich stutzig! Vorsichtig kriech' ich näher und schiel' erst einmal durch einen Spalt in die Hütte hinein. Und richtig – leer war die nicht. In der einen dunklen Ecke lag's wie ein großer, schwarzer Klumpen zusammengeballt und jetzt regt es sich, – Arme und Beine und ein schwarzer Wollkopf hebt sich und – weiß Gott, ich glaub' ich hab' laut aufgeschrieen und dann muß ich geweint haben wie ein ganz kleines Kind, denn als ich dann wieder zu mir kam, hielt mich Jim in den Armen und mein Gesicht war ganz naß von Thränen und seines auch. Wer aber von uns beiden diese geweint hat, weiß ich nicht recht. – Dann setzten wir uns zusammen und ich sprudelte und stammelte alle meine Angst, meinen Kummer und meine Verzweiflung hervor, die mich diesen Morgen beim Aufwachen gepackt hatte. Dann erzählte Jim:
»Huck, Herzensjunge, weißt du, wie sein kommen Dampfer und sein kommen so ganz schrecklich nah, Jim denken, das Beste wäre, sich ins Wasser zu rollen, aber nix nach Seit' von Dampfer, wie du. Jim's thun un bleiben lang unten, kommen dann mal rauf, hören aber noch Schiff un gehen gleich wieder 'nunter. So noch mal un noch mal. Denken, wollen nix gleich fortschwimmen, wollen erst mal sehen nach gute, alte Floß. Un wie Jim dann wieder rauf kommen, Jim sehen dicke schwarze Schiffsklumpen schon weit weg un kleine, schwarze Klumpen hinter sich. Er schwimmen auf kleine, schwarze Klumpen zu, weil er denken, hollah, sein am Ende Floß, un richtig, wie er kommen hin, sein warraftig diese Stück Floß un sein alte gute Hütte noch da un gar nix viel fort. Jim also rein in Hütte un so – so froh.«
»Hast du mich denn gar nicht rufen hören, Jim?« frag' ich, »hab' da drüben am Ufer so schrecklich nach dir gebrüllt!«
»Jim gar nix hören, sein zu viel weit weg! Jim immer denken, Huck sein gewiß an Ufer mit Strömung, un die sein links; so Jim kommen auch links mit Floß un finden Huck dann am Morgen. Un so sein's dann auch gewesen!«
Ja, so war's gewesen, Gott sei Dank! Da waren wir drei denn wieder zusammen. Jim und das Floß und ich. Keine Schlangenhaut hatte uns was anhaben können; aber viel drüber reden thaten wir lieber nicht! Jim machte mir ein Frühstück zurecht und ich ließ mir's köstlich schmecken. Danach machten wir uns an die Ausbesserung