selbst wenn ich ein Bett gehabt hätte, denn solch ein Gewitter sieht man nicht jeden Wochentag, wahrhaftig nicht. Meiner Seel! wie der Wind dahinkreischte! Und alle Augenblicke kam ein solcher Lichtstrahl, daß er den weißen Wellenschaum auf eine halbe Meile ringsum erglänzen ließ. Dann sahen die Inseln wie staubig durch den Regen aus, und die Bäume hieben mit ihren Ästen wild um sich in den Wind; dann kam's Sch – Krach! – Bum – bum – bumblerumbumbum – und der Donner grollte und rollte und schwieg – dann fing dieselbe Geschichte wieder von vorn an und so weiter. Zuweilen spülten mich die Wellen fast vom Floß, aber ich hatte ja fast nichts an und gab nichts her.
Endlich ließ der Sturm nach, und sobald ich das erste Licht am Lande erblickte, weckte ich Jim und wir steuerten nach einem guten Versteckplatz für den Tag.
Nach dem Frühstück holte der König ein altes dreckiges Spiel Karten hervor, und er und der Herzog spielten »Sieben auf« zu fünf Cent das Spiel. Als sie dessen müde waren, steckte der Herzog seinen Arm in seinen Reisesack, holte daraus eine Anzahl kleiner gedruckter Anschlagzettel und las laut vor. Auf einem stand: »Der berühmte Dr. Armand de Montalban aus Paris wird einen Vortrag über Phrenologie halten in ... an ....« (Ort und Datum waren freigelassen) »Eintritt 10 Cents; Untersuchungen pro Person 25 Cents.« Der Herzog sagte: »Das bin ich selbst.« In einem andern Zettel war er »der weltberühmte Shakespeare-Tragöde, Garrick der Jüngere vom Drury-Lane-Theater, London.« In andern Zetteln hatte er eine Menge anderer Namen und that andere Wunderdinge, wie z.B. Wasser und Gold mit der Wünschelrute finden, Behexungen besprechen und dergleichen mehr. Nach einer Weile sagte er: »Aber die histrionische Muse ist meine Wonne. Habt Ihr je die Bretter betreten, Majestät?«
»Nein,« sprach der König.
»Dann, o gefallene Größe, sollst du es thun, eh du drei Tage älter bist,« rief der Herzog. »In dem ersten besten Städtchen, wo wir hinkommen, mieten wir eine Halle und produzieren das Schwertgefecht aus ›Richard III.‹ und die Balkonszene aus ›Romeo und Julie‹. Was sagst du dazu?«
»Ich bin dabei, bis an den Hals hinein, bei allem, wenn sich's nur zahlt, Sommerfett; aber viel verstehe ich nicht vom schauspielern, hab' auch nicht viel davon gesehen. Ich war zu klein, als mein Papa dergleichen in seinem Palaste hatte. Meinst du, daß du mir's beibringen kannst?«
»Leicht genug!«
»Wohl denn. Ich lechze schon nach was Frischem. Fangen wir nur gleich an!«
So erzählte ihm nun der Herzog ausführlich, wer Romeo war und wer Julie war, und da er selbst immer Romeo gespielt hätte, könnte der König Julie darstellen.
»Aber,« entgegnete dieser, »wenn Julie ein so junges Mädchen war, so würde mein abgeschälter Kopf und mein weißer Bart bei ihr doch wohl etwas altertümlich erscheinen.«
»Nein, sei unbesorgt; diesen Landkaffern wird das nicht auffallen. Und dann wirst du ja auch verkleidet, das macht einen großen Unterschied. Julie auf dem Balkon freut sich vor dem Schlafengehen des Mondscheins, sie hat ihr Nachtgewand und eine faltenreiche Nachthaube auf. Hier sind die Kostüme.«
Er holte zwei oder drei Kalikodinger hervor und sagte, das seien die mittelalterlichen Rüstungen für Richard III. und den andern Burschen – dann auch ein langes, weißes Nachthemd und eine faltige Nachthaube. Der König war's zufrieden; dann nahm der Herzog sein Buch und las die Rollen in großartigem Stil vor, dabei herumspringend und große Gebärden machend, um zu zeigen, wie gespielt werden müsse; dann gab er das Buch dem König zum Auswendiglernen.
Etwa drei Meilen flußab war ein kleines Städtchen, und nach Mittag sagte der Herzog, es sei ihm eine Idee gekommen, wie man auch bei Tage, ohne Gefahr für Jim fahren könne. Er wolle sich erlauben nach dem Städtchen zu gehen und alles besorgen. Der König erteilte sich selbst die gleiche Erlaubnis, um zu sehen, ob er dort nicht etwas profitables ausrichten könnte. Wir hatten keinen Kaffee mehr, Jim schlug daher vor, daß ich im Kanoe mitginge und welchen besorgte.
Als wir hinkamen, schien alles ausgestorben, als ob es Sonntag wäre. Wir fanden einen kranken Neger, der sich in einem Hofe sonnte. Er sagte uns, daß alle, die nicht zu jung, zu krank oder zu alt seien, bei einer Bußfeier wären, etwa zwei Meilen entfernt im Walde. Der König ließ sich die Richtung angeben, und beschloß hinzugehen, um aus der Gelegenheit zu machen, was sich machen ließ. Ich durfte mitgehen.
Der Herzog aber sagte, er müsse eine Druckerei ausfindig machen. Wir hatten dieselbe bald entdeckt. Es war ein kleiner Raum über einer Schreinerwerkstatt – Schreiner und Drucker waren alle fort, bei der Versammlung, doch war nichts verschlossen. Der Herzog zog den Rock aus und sagte, er sei jetzt in seinem Element; so schoben denn ich und der König ab und zur Versammlung.
In etwa einer halben Stunde kamen wir schweißtriefend dort an, es war ein schrecklich heißer Tag. Es mochten etwa tausend Menschen aus einem Umkreise von zwanzig Meilen dort sein. Der Wald war voller Wagen und Gespanne; die Pferde überall angebunden, aus den Wagentrögen fressend und stampfend, um die Fliegen abzuwehren. Da waren Zelte gemacht, aus Stangen mit Zweigen bedeckt, unter denen Limonade und Pfefferkuchen zum Verkauf waren, und Haufen von Wassermelonen, junger Mais und dergleichen.
Unter ähnlichen Zelten fand auch das Predigen statt,2 nur waren sie größer und faßten viele Menschen. Die Prediger standen auf hohen Brettergerüsten an einem Ende des Zeltes. Die Frauen hatten Hauben auf und waren in selbstgesponnene Zeuge gekleidet, einige in Gingham, die Jugend in Kaliko. Mehrere der Jünglinge waren barfuß und von den Kindern trugen viele nichts als ein gewöhnliches Hemde. Einige alte Frauen strickten und das junge Volk machte einander den Hof.
Im ersten Zelt, das wir besuchten, las der Prediger einen Choral vor. Er las immer zwei Zeilen, und dann stimmte die Versammlung an und sang sie. Jeder sang mit, und es tönte ordentlich ergreifend. Das Volk wurde immer wärmer und wärmer und sang lauter und lauter – gegen Ende des Liedes schluchzten einige, andere jauchzten. Dann begann der Prediger seine Predigt, und was für eine; er wandelte von einem Ende des Gerüsts zum andern, beugte sich weit vornüber – Körper und Arme waren in steter Bewegung – und brüllte die Worte mit aller Gewalt heraus. Von Zeit zu Zeit hielt er die geöffnete Bibel hoch empor und schwenkte mit derselben hin und her, wobei er ausrief: ›Das ist die eherne Schlange in der Wüste! Schauet her und lebet!‹ Und das Volk rief: ›Hosiannah – A–a–men!‹ In dieser Weise ging es fort, unter unaufhörlichem Geplärre der Menge. Zum Schluß forderte er die Anwesenden auf, sich auf die Bank der Bußfertigen zu begeben.
›Ihr reumütigen Kinder, tretet heraus und setzt euch auf die Bank der Bußfertigen, (Amen!) Kommet ihr Mühseligen und Beladenen, (Amen!) Kommet ihr Armen und Bedürftigen, in Schmach und Leid verzehrten; (A–a–men!) kommet, die ihr gebrochenen Herzens, die ihr verzagten Geistes seid! Kommet, die ihr in Sünde und Schmutz gewandelt seid; das reinigende Wasser quillt für euch, die Thür zum Himmel steht euch offen, – o, tretet ein und seid selig!‹ (A–a–men! Hosiannah, Hosiannah, Hallelujah!)
In diesem Tone gings weiter. Allenthalben erhoben sich nun Leute aus der Menge und drängten sich mit aller Gewalt hindurch bis zu der Bank der Bußfertigen, während ihnen die Thränen über die Backen liefen. Nachdem alle Büßer hier versammelt waren, sangen und jubilierten sie, daß ihnen schier der Atem ausging; manche gebärdeten sich ganz unsinnig und warfen sich in wilder Ekstase auf den mit Stroh bedeckten Boden.
Auf einmal packte es auch den König und er sprang auf das Gerüst. Der Prediger bat ihn, zum Volke zu reden, und er that es mit einer gewaltigen Stimme. Er sagte ihnen, er sei ein Pirat, wäre seit dreißig Jahren einer gewesen, fern im indischen Ozean. Seine Mannschaft sei im Frühling bei einem Kampfe sehr zusammengeschmolzen und er sei heimgekommen, um Rekruten zu sammeln; doch – dem Himmel sei Dank! – letzte Nacht sei er beraubt und ohne einen Cent vom Dampfboot ans Land gesetzt worden; er freue sich darüber, es wäre das Beste, was ihm je hätte zustoßen können; denn es hätte einen andern Menschen aus ihm gemacht, er sei zum erstenmal in seinem Leben glücklich. Arm wie er sei, wolle er jetzt seinen Weg zurückarbeiten