Гарриет Бичер-Стоу

Die 15 beliebtesten Kinderbücher in einem Band (Illustriert)


Скачать книгу

noch nie von der Alm heruntergekommen ihr Leben lang. Und das Heidi setzte hinzu: »Du solltest nur einmal erfahren, wie das ist, Peter.«

      Die beiden waren so fast oben angekommen, ohne daß der Peter ein einziges Wort gesagt hätte, und es war auch, als ob ihn ein tiefer Gedanke beschäftigte, daß er nicht einmal recht zuhören konnte wie sonst. Als sie nun bei der Hütte angekommen waren, stand der Peter still und sagte ein wenig störrisch: »Dann will ich noch lieber in die Schule gehen, als beim Öhi holen, was er gesagt hat.«

      Das Heidi war derselben Meinung und bestärkte den Peter ganz eifrig in seinem Vorsatz. Drinnen in der Stube saß die Mutter allein beim Flickwerk. Sie sagte, die Großmutter müsse die Tage im Bett bleiben, es sei zu kalt für sie, und dann sei ihr auch sonst nicht recht. Das war dem Heidi etwas Neues; sonst saß die Großmutter immer an ihrem Platz in der Ecke. Es rannte gleich zu ihr in die Kammer hinein. Sie lag ganz von dem grauen Tuche umwickelt in ihrem schmalen Bett mit der dünnen Decke.

      »Gott Lob und Dank!« sagte die Großmutter gleich, als sie das Heidi hereinspringen hörte. Sie hatte schon den ganzen Herbst durch eine geheime Angst im Herzen gehabt, die sie noch immer verfolgte, besonders wenn das Heidi eine Zeitlang nicht kam. Der Peter hatte berichtet, wie ein fremder Herr aus Frankfurt gekommen sei und immer mit auf die Weide komme und mit dem Heidi reden wolle, und die Großmutter meinte nicht anders, als der Herr sei gekommen, das Heidi wieder mit fortzunehmen. Wenn er auch nachher schon allein abreiste, so stieg die Angst doch immer wieder in ihr auf, es könnte irgendein Abgesandter von Frankfurt herkommen und das Kind wieder zurückholen. Das Heidi sprang zu dem Bett der Kranken hin und fragte sorglich: »Bist du stark krank, Großmutter?«

      »Nein, nein, Kind«, beruhigte die Alte, indem sie das Heidi liebevoll streichelte, »der Frost ist mir nur ein wenig in die Glieder gefahren.«

      »Wirst du dann auf der Stelle gesund, wenn es wieder warm ist?« fragte eindringlich das Heidi weiter.

      »Ja, ja, will's Gott, noch vorher, daß ich wieder an mein Spinnrad kann. Ich meinte schon heute, ich wolle es probieren, morgen wird's dann schon wieder gehen«, sagte die Großmutter in zuversichtlicher Weise, denn sie hatte schon gemerkt, daß das Kind erschrocken war.

      Ihre Worte beruhigten das Heidi, dem es sehr angst gewesen war, denn krank im Bett hatte es die Großmutter noch nie getroffen. Es betrachtete sie jetzt ein wenig verwundert, dann sagte es:

      »In Frankfurt legen sie einen Schal an zum Spazierengehen. Hast du etwa gemeint, man müsse ihn anlegen, wenn man ins Bett geht, Großmutter?«

      »Weißt du, Heidi«, entgegnete sie, »ich nehme den Schal so um im Bett, daß ich nicht friere. Ich bin so froh darüber, die Decke ist ein wenig dünn.«

      »Aber Großmutter«, fing das Heidi wieder an, »bei deinem Kopf geht es bergab, wo es ganz bergauf gehen sollte; so muß ein Bett nicht sein.«

      »Ich weiß schon, Kind, ich spüre es auch wohl«, und die Großmutter suchte auf dem Kissen, das wie ein dünnes Brett unter ihrem Kopfe lag, einen besseren Platz zu gewinnen. »Siehst du, das Kissen war nie besonders dick, und jetzt habe ich so viele Jahre darauf geschlafen, daß ich es ein wenig flachgelegen habe.«

      »O hätt ich nur in Frankfurt die Klara gefragt, ob ich nicht mein Bett mitnehmen könne«, sagte jetzt das Heidi. »Da hatte es drei große, dicke Kissen aufeinander, daß ich gar nicht schlafen konnte und immer weiter herunterrutschte, bis wo es flach war, und dann mußte ich wieder hinauf, weil man dort so schlafen muß. Könntest du so schlafen, Großmutter?«

      »Ja freilich, das macht warm, und man bekommt den Atem so gut, wenn man so hoch liegen kann mit dem Kopf«, sagte die Großmutter, ein wenig mühsam ihren Kopf aufrichtend, so wie um eine höhere Stelle zu finden. »Aber wir wollen jetzt nicht von dem reden, ich habe ja dem lieben Gott für so vieles zu danken, was andere Alte und Kranke nicht haben. Schon das gute Brötchen, das ich immer bekomme, und das schöne, warme Tuch hier und daß du so zu mir kommst, Heidi. Willst du mir auch wieder etwas lesen heute?«

      Das Heidi lief hinaus und holte das alte Liederbuch herbei. Nun suchte es ein schönes Lied nach dem andern, denn es kannte sie jetzt wohl, und es freute sich selbst, das alles wieder zu hören, es hatte ja seit vielen Tagen die Verse alle, die ihm lieb waren, nicht mehr gehört.

      Die Großmutter lag mit gefalteten Händen da, und auf ihrem Gesichte, das erst so bekümmert ausgesehen hatte, lag jetzt ein so freudiges Lächeln, als wäre ihr eben ein großes Glück zuteil geworden.

      Das Heidi hielt auf einmal inne.

      »Großmutter, bist du schon gesund geworden?« fragte es.

      »Es ist mir wohl, Heidi, es ist mir wohl geworden darüber. Lies es noch fertig, willst du?«

      Das Kind las sein Lied zu Ende, und als die letzten Worte kamen:

      »Wird mein Auge dunkler, trüber,

      Dann erleuchte meinen Geist,

      Daß ich fröhlich zieh' hinüber,

      Wie man nach der Heimat reist«,

      da wiederholte sie die Großmutter und dann noch einmal und noch einmal, und auf ihrem Gesicht lag jetzt eine große freudige Erwartung. Dem Heidi wurde so wohl dabei. Der ganze sonnige Tag seiner Heimkehr stieg vor ihm auf, und voller Freude rief es aus: »Großmutter, ich weiß schon, wie es ist, wenn man nach der Heimat reist.« Sie antwortete nichts, aber sie hatte die Worte wohl vernommen, und der Ausdruck, der dem Heidi so wohl getan hatte, blieb auf ihrem Gesicht.

      Nach einer Weile sagte das Kind wieder: »Jetzt wird's dunkel, Großmutter, ich muß heim; aber ich bin so froh, daß es dir jetzt wieder wohl ist.«

      Die Großmutter nahm die Hand des Kindes in die ihrige und hielt sie fest; dann sagte sie:

      »Ja, ich bin auch wieder so froh; wenn ich auch noch liegen bleiben muß, so ist es mir doch wohl. Siehst du, das weiß niemand, der es nicht erfahren hat, wie das ist, wenn man viele, viele Tage so ganz allein daliegt und hört kein Wort von einem andern Menschen und kann nichts sehen, nicht einen einzigen Sonnenstrahl. Dann kommen so schwere Gedanken über einen, daß man manchmal meint, es könne nie mehr Tag werden und man könne nicht mehr weiter. Aber wenn man dann einmal wieder die Worte hört, die du mir vorgelesen hast, so ist es, wie wenn einem ein Licht davon aufgehen würde im Herzen, an dem man sich wieder freuen kann.«

img_24

      Jetzt ließ die Großmutter die Hand des Kindes los, und nachdem es ihr gute Nacht gesagt, lief es in die Stube zurück und zog den Peter eilig hinaus, denn es war unterdessen Nacht geworden. Aber draußen stand der Mond am Himmel und schien hell auf den weißen Schnee, daß es war, als wolle der Tag schon wieder angehen. Der Peter zog seinen Schlitten zurecht, setzte sich vorn darauf, das Heidi hinter ihn, und fort schossen sie die Alm hinunter, nicht anders, als wären sie zwei Vögel, die durch die Lüfte sausen.

      Als später das Heidi auf seinem schönen, hohen Heubette hinter dem Ofen lag, da kam ihm die Großmutter wieder in den Sinn, wie sie so schlecht lag mit dem Kopfe, und dann mußte es an alles denken, was sie gesagt hatte, und an das Licht, das ihr die Worte im Herzen anzünden. Und es dachte: Wenn die Großmutter nur alle Tage die Worte hören könnte, dann würde es ihr jeden Tag einmal wohl. Aber es wußte, nun konnte eine ganze Woche, oder vielleicht auch zwei, vergehen, ehe es wieder zu ihr hinauf durfte. Das kam dem Heidi so traurig vor, daß es immer stärker nachsinnen mußte, was es nur machen könnte, daß die Großmutter die Worte jeden Tag zu hören bekäme. Auf einmal fiel ihm die Hilfe ein, und es war so froh darüber, daß es meinte, es könne gar nicht erwarten, daß der Morgen wiederkomme und es seinen Plan ausführen könne. Auf einmal setzte das Heidi sich wieder ganz gerade auf in seinem Bett, denn vor lauter Nachdenken hatte es ja sein Nachtgebet noch nicht zum lieben Gott hinaufgeschickt, und das wollte es doch nie mehr vergessen.

      Als es nun so recht von Herzen für sich und den Großvater und die Großmutter gebetet hatte, fiel es auf einmal in sein weiches Heu zurück und schlief ganz fest und friedlich bis zum hellen Morgen.