wie ihm das spätere Kritiker einzureden suchten. Im Gegenteil, Sismondi sagt selbst ausdrücklich gleich im Buch II, Kapitel VI: "Um diesen Berechnungen mit größerer Leichtigkeit folgen zu können und zur Vereinfachung dieser Fragen haben wir bis jetzt vollständig von dem auswärtigen Handel abgesehen und angenommen, daß eine Nation ganz allein für sich dastehe; die menschliche Gesellschaft ist selbst diese einzeln dastehende Nation, und alles, was bei einer Nation ohne Handel wahr ist, ist ebenso wahr beim Menschengeschlecht." Mit anderen Worten: Sismondi stellte sein Problem genau unter denselben Voraussetzungen wie später Marx: indem er den ganzen Weltmarkt als eine ausschließlich kapitalistisch produzierende Gesellschaft betrachtete. Auf diese Voraussetzungen einigte er sich auch mit Ricardo: "Wir schieden beide", sagt er, "aus der Frage den Fall aus, in dem eine Nation mehr den Fremden verkaufte, als sie von ihnen kaufte und so für eine wachsende Produktion im Innern einen wachsenden Markt nach außen fand ... Wir haben nicht die Frage zu entscheiden, ob Wechselfälle eines Krieges oder der Politik einer Nation nicht neue Verbraucher verschaffen können: Man muß beweisen, daß sie sie sich selbst schafft, wenn sie ihre Produktion vermehrt." Hier hat Sismondi das Problem der Realisierung des Mehrwerts mit aller Schärfe so formuliert, wie es uns in der ganzen späteren Zeit in der Nationalökonomie entgegentritt. Ricardo behauptet nämlich in der Tat - darin folgt er, wie wir gesehen und noch sehen werden, den Fußtapfen Says -, daß die Produktion sich selbst ihren Absatz schaffe.
Die in der Kontroverse mit Sismondi von Ricardo formulierte These lautete:
"Nehmen wir hundert Landbebauer an, die tausend Sack Getreide produzieren, und hundert Wollenfabrikanten, die tausend Ellen Stoff herstellen; sehen wir von allen anderen Produkten ab, die den Menschen nützlich sind, von allen Zwischengliedern zwischen ihnen, und nehmen wir an, daß sie nur allein auf der Welt sind, so tauschen sie ihre tausend Ellen gegen ihre tausend Sack; nehmen wir die Produktivkräfte der Arbeit infolge der Fortschritte der Industrie als um ein Zehntel vermehrt an, so tauschen dieselben Menschen elfhundert Ellen gegen elfhundert Sack, und jeder von ihnen wird besser bekleidet und besser ernährt werden; ein neuer Fortschritt erhöht den Tausch auf zwölfhundert Ellen gegen zwölfhundert Sack und so fort: Das Anwachsen der Produktion vermehrt stets die Genüsse der Produzenten."86
Mit tiefer Beschämung muß man feststellen, daß die Deduktionen des großen Ricardo hier womöglich auf noch tieferem Niveau stehen als die des "schottischen Erzhumbugs" MacCulloch. Wir sind wieder eingeladen, als Zuschauer einem harmonischen und anmutigen Kontertanz zwischen "Ellen" und "Säcken" beizuwohnen, wobei just das, was bewiesen werden sollte: ihr Proportionalitätsverhältnis, einfach vorausgesetzt ist. Aber noch besser: Alle die Voraussetzungen des Problems, um die es sich handelte, sind dafür einfach weggelassen. Das Problem, der Gegenstand der Kontroverse - um es immer wieder festzuhalten - bestand darin: Wer ist Konsument und Abnehmer für den Überschuß an Produkten, der entsteht, wenn die Kapitalisten über den Verbrauch ihrer Arbeiter und ihren eigenen Verbrauch hinaus Waren herstellen, d.h., wenn sie einen Teil des Mehrwerts kapitalisieren und dazu verwenden, die Produktion zu erweitern, das Kapital zu vergrößern? Darauf antwortet Ricardo, indem er überhaupt auf Kapitalvergrößerung nicht mit einem Worte eingeht. Was er uns vormalt in den verschiedenen Etappen der Produktion, ist bloß stufenweise Erhöhung der Produktivität der Arbeit. Es werden nach seiner Annahme immer mit derselben Anzahl Arbeitskräfte erst tausend Sack Getreide und tausend Ellen Wollgewebe, dann elfhundert Sack und elfhundert Ellen, später zwölfhundert Sack und zwölfhundert Ellen produziert, und so mit Grazie fort. Ganz abgesehen von der langweiligen Vorstellung der soldatenmäßig gleichen Marschbewegung auf beiden Seiten und der Übereinstimmung selbst der Anzahl Gegenstände, die zum Austausch gelangen sollen, ist in dem ganzen Beispiel keine Rede von Kapitalerweiterung. Was wir hier immer vor Augen haben, ist nicht erweiterte Reproduktion, sondern einfache Reproduktion, bei der bloß die Masse Gebrauchswerte, nicht aber der Wert der gesellschaftlichen Gesamtprodukte anwächst. Da für den Austausch nicht die Menge Gebrauchswerte, sondern lediglich ihre Wertgröße in Betracht kommt, diese aber im Beispiele Ricardos immer die gleiche bleibt, so bewegt er sich eigentlich nicht vom Fleck, obwohl er sich den Anschein gibt, fortschreitende Erweiterung der Produktion zu analysieren. Endlich existieren bei Ricardo überhaupt die Kategorien der Reproduktion nicht, auf die es ankommt. MacCulloch läßt zuerst seine Kapitalisten ohne Mehrwert produzieren und von der Luft leben, aber er erkennt wenigstens die Existenz der Arbeiter und gibt ihren Verbrauch an. Bei Ricardo ist von Arbeitern nicht einmal die Rede, und die Unterscheidung von variablem Kapital und Mehrwert existiert überhaupt nicht. Demgegenüber will es wenig verschlagen, daß Ricardo, genau wie sein Schüler, von dem konstanten Kapital völlig absieht: Er will das Problem der Realisierung des Mehrwertes und der Kapitalerweiterung lösen, ohne mehr vorauszusetzen, als daß es ein gewisses Quantum Waren gibt, die gegenseitig ausgetauscht werden.
Sismondi gibt sich, ohne die gänzliche Verschiebung des Kampffeldes zu merken, redliche Mühe, die Phantasien seines berühmten Gastes und Widerparts, bei dessen Voraussetzungen man, wie er sich beklagt, "von Zeit und Raum absehen müsse, wie die deutschen Metaphysiker pflegen", auf die flache Erde zu projizieren und in ihren unsichtbaren Widersprüchen zu zergliedern. Er pfropft die Ricardosche Hypothese auf "die Gesellschaft in ihrer wirklichen Organisation mit Arbeitern ohne Eigentum, deren Lohn durch den Wettbewerb festgesetzt wird und die ihr Herr, wenn er ihrer nicht mehr bedarf, entlassen kann", denn -, bemerkt Sismondi so treffend wie bescheiden - "gerade auf diese wirtschaftliche Organisation stützen sich unsere Entwürfe". Und er deckt die mannigfachen Schwierigkeiten und Konflikte auf, mit denen die Fortschritte der Produktivität der Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen verknüpft sind. Er weist nach, daß die von Ricardo angenommenen Verschiebungen in der Arbeitstechnik gesellschaftlich zu der folgenden Alternative führen müssen: Entweder wird im Verhältnis zum Wachstum der Produktivität ein entsprechender Teil der Arbeiter entlassen, und dann erhalten wir auf der einen Seite einen Überschuß an Produkten, auf der anderen Seite Arbeitslosigkeit und Elend, also ein treues Bild der gegenwärtigen Gesellschaft, oder das überschüssige Produkt wird zur Erhaltung von Arbeitern in einem neuen Produktionszweige: der Luxusproduktion, verwendet. Hier angelangt, schwingt sich Sismondi zu einer entschiedenen Überlegenheit über Ricardo auf. Er erinnert sich plötzlich an die Existenz des konstanten Kapitals, und jetzt ist er es, der dem englischen Klassiker haarscharf auf den Leib rückt: "Um eine neue Manufaktur, eine Luxusmanufaktur zu begründen, bedarf es auch eines neuen Kapitals; Maschinen müssen gebaut, Rohstoffe bestellt werden, ein ferner Handel muß in Tätigkeit treten, denn die Reichen begnügen sich nicht gern mit den Genüssen, die in ihrer Nähe erzeugt werden. Wo finden wir nun dieses neue Kapital, das vielleicht viel erheblicher ist als dasjenige, was die Landwirtschaft verlangt? ... Unsere Luxusarbeiter sind noch lange nicht so weit, das Getreide unserer Landbebauer zu essen, die Kleider unserer Manufakturen zu tragen, sie sind noch nicht da, sie sind vielleicht noch nicht geboren, ihre Gewerbe sind noch nicht vorhanden, die Rohstoffe, die sie bearbeiten sollen, sind von Indien nicht angelangt, alle die, an die sie ihr Brot austeilen sollen, warten vergebens darauf." Sismondi berücksichtigt nun das konstante Kapital nicht bloß in der Luxusproduktion, sondern auch in der Landwirtschaft, und hält weiter Ricardo entgegen: "Man muß von der Zeit absehen, wenn man unterstellt, daß der Landbebauer, der durch eine Erfindung der Mechanik oder einer ländlichen Industrie die Produktivkraft seiner Arbeiter um ein Drittel vermehren kann, auch ein Kapital finden wird, das zur Vermehrung seiner Ausbeute um ein Drittel genügt, zur Vermehrung seiner Werkzeuge, seiner Ackergeräte, seines Viehstandes, seiner Speicher, und das Umlaufskapital, dessen er bedarf, um seine Einkünfte abzuwarten."
Hier bricht Sismondi mit der Fabel der klassischen Schule, als ob bei der Kapitalerweiterung der ganze Kapitalzuschuß ausschließlich in Löhnen, in variablem Kapital, verausgabt wäre, und trennt sich darin deutlich von der Ricardoschen Lehre - was ihn nebenbei nicht hinderte, drei Jahre später in der zweiten Auflage seiner "Nouveaux principes" alle die Schnitzer, die sich auf jene Lehre stützen, unbesehen passieren zu lassen. Der glatten Harmonielehre Ricardos gegenüber hebt Sismondi also zwei entscheidende Punkte hervor: einerseits die objektiven Schwierigkeiten des erweiterten Reproduktionsprozesses, der in der kapitalistischen Wirklichkeit durchaus nicht so hübsch glatt verläuft wie in der abstrusen Hypothese Ricardos, andererseits die Tatsache, daß jeder technische Fortschritt in der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit unter kapitalistischen