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NECROSTEAM


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Um den Hastur-Zwischenfall rankten sich immer noch viele Mythen und Legenden, aber eines war gewiss: Zwei gut bewaffnete Luftschiffe, ein Dutzend Ornithopter und drei Kompanien Bodentruppen waren nicht zurückgekehrt. Die Krone stellte die Angehörigen mit verdächtig vagen Mitteilungen und noch viel verdächtigeren, hohen Pensionen ruhig. Wenn sie hier, im Kern des britischen indischen Reiches etwas ähnliches vermutet hatten, dann …

      »Wir werden die Unterstützung der Einheimischen brauchen. Zumindest müssen wir unseren Rücken frei halten – eine Horde Stammeskrieger mit Zorn auf Briten ist das Letzte, was wir hier brauchen können. Shiara, ich will, dass du mit ihnen Kontakt aufnimmst, ihnen erklärst, warum wir keine Eroberer, Ausbeuter oder Missionare sind.«

      Sie schluckte. Erinnerungen an die Erzählungen ihrer Großmutter, aber auch an geflüsterte Gerüchte, Schauermärchen, von traumatisierten Abenteurern in Tavernen betrunken wiedergegebenen Erlebnissen kamen hoch. Zusammen mit den Bildern, die ihr Geist dazu gemalt hatte. Sie wollte protestieren, den Kopf schütteln, eine Alternative vorschlagen.

      Pence kam ihr zuvor.

      »Wir könnten auch einfach das Dorf überfliegen, zwei Brandbomben abwerfen und alles niederkartätschen, was aus den Löchern gekrochen kommt.«

      Das war keine Alternative, und sowohl der Captain als auch sie selbst funkelten ihn wütend an.

      »Das ist kein indisches Dorf, Commander. Das sind die Anderen – und niemand kann sie einfach niederkartätschen. Weder die Maharadschas noch die Krone haben jemals eine erfolgreiche Militärexpedition hierher geführt. Dutzende Missionare, Anglikaner wie Katholiken, sind hier entweder verschwunden oder vom Wahnsinn gezeichnet zurückgekehrt. Der Captain hat recht – wir brauchen zumindest ihre Duldung. Ich werde gehen.«

      Pence zuckte mit den Schultern.

      »Meinetwegen. Mein Adjutant wird sie begleiten.«

      Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er dessen Eingreifen zuvor nicht vergessen hatte – und auch nie vergessen würde.

      Dem Fähnrich hingegen war die Angst überdeutlich ins Gesicht geschrieben. Bleich und zitternd stand er da, der Jüngling, der mit drei, vier Jahren mehr auf dem Buckel wahrscheinlich sogar ansehnlich gewesen wäre. Schlussendlich nickte er gehorsam.

      »Anker vorbereiten!«

      »Aye, Captain!«

      Mit muskelbepackten, rußgeschwärzten Armen drückte Juri die beiden gewaltigen Hebel nach unten. Zischend strömte der Dampf aus den unentwegt befeuerten Kesseln in die Kompressionsröhren, von dort direkt in die dreifach gesicherte Druckkammer des Ankerwerfers. Zweihundert, dreihundert, vierhundert Atmosphären bauten sich auf.

      »Anker bereit, Captain!«

      Der Skipper nickt zufrieden.

      »Feuer!«

      Ein dritter, kleinerer Hebel, von Juri mit einem heftigen Ruck an sich gerissen, öffnete das Schlagventil. Auf achthundert Fuß pro Sekunde beschleunigt, vom Dampf zuerst durch das Rohr und dann in das Blätterwerk des Dschungels getrieben, raste die Ankerharpune dem Erdboden entgegen. Zwanzig Pfund gehärteter Stahl durchschlugen Blätter, ließen Äste in Tausende kleiner surrender Holzsplitter zerbersten, spalteten einen ganzen Baum und bohrten sich schließlich mehrere Fuß tief in das Erdreich. Eine kleine Sprengladung trieb die in der Spitze verborgenen Fixierstangen kreisförmig aus.

      Die Marauder lag vor Anker, und die schwere, eichengebeizte und mit den Insignien der Freihändler beschlagene Backbordtür ging auf. Juri ließ sorgfältig die Strickleiter bis zum Boden, ehe er Shiara kumpelhaft auf die Schulter klopfte.

      Es war Cusack, der als Erster hinabkletterte, mit einer Geschwindigkeit und Eleganz, die ihm Shiara nicht zugetraut hätte. Von den frühen Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne geküsst, mit dem aus dem dichten Grün aufsteigenden Dunst voll würziger, erdiger Gerüche in der Nase, ging es hinab. Mehr als achtzig Schritt vom Ankerpunkt neben einem der Baumriesen bis zu jenem Moment, in dem ihre Füße sanft in das weiche Unterholz sanken.

      Anerkennend nickte sie dem Fähnrich zu, dessen Bewegungen auch im Dickicht trittsicher, elegant, geschmeidig wirkten.

      »Jiu-Jiutsu? Judo? Oder irgendeine andere dieser fernöstlichen Kampfkünste, die derzeit so in Mode sind?«

      Er drehte sich kurz zu ihr um, verstand sofort, was sie meinte, schüttelte jedoch den Kopf.

      »Nein, Lieutenant, nur Preisboxen, auf der Akademie. Und … und … Fußball.«

      Cusack lief tatsächlich ein klein wenig rot an, als der das letzte Wort herausbrachte. Kein Wunder, dachte Shiara, und musste unwillkürlich grinsen. Fußball galt immer noch als Damensport, als reine Frauendomäne, als ausgesprochen unmännlich – die Feinfühligkeit und Eleganz zum Dribbeln war nun mal den Herren der Schöpfung nicht gegeben. Die wenigen Männerclubs, die es gab, wurden belächelt, verspottet.

      Er hatte Mumm, das musste sie ihm lassen. Und reichlich Neugier, wie sie gleich feststellen musste.

      »Sie sind wirklich Lord Lockerbys Tochter? Aber war er nicht …?«

      Zynisch grinste sie ihn an, während sie mit der Machete einen weiteren armdicken Strang von Schlingpflanzen beharkte.

      »Ja, Fähnrich. Er war verheiratet, mit Lady Elenor von Canterbury. Aber liiert war er mit meiner Mutter, während seiner Stationierung hier – und darüber hinaus. Und ich rede nicht von einer Konkubine oder Mätresse, wie es unsere parfümierten Verbündeten in Frankreich zelebrieren. Nach Hindu-Ritus waren sie sogar verheiratet

      Zweihundert Meter hatten sie noch vor sich. Sie kamen schneller voran, auch dank des erstaunlichen Geschicks des Fähnrichs. Aber nicht schnell genug, um das Gespräch vorzeitig zu beenden – die Neugier Cusacks war noch lange nicht befriedigt.

      »Aber wie …?«

      Shiara seufzte und schob sanft eine grün-braune, gefährlich giftig aussehende Schlange zur Seite, die von einem der Äste herabhing.

      »Um es in ihrem Fußball-Jargon zu sagen: Lady Elenor spielte für die andere Mannschaft. Ihre Haushälterin – nun, sie ist nicht wirklich ihre Haushälterin. Ich denke, wir können es bei Busenfreundin belassen, ohne unschicklich zu werden.«

      Selbst im Augenwinkel konnte sie erkennen, wie der junge Offizier rot anlief, als bei ihm der Groschen fiel.

      »Sie und mein Vater waren beste Freunde, von Kindheit an. Irgendwann, in ihrer Jugend, weihte sie ihn ein. Und er versprach, ihr zu helfen, das Geheimnis zu wahren – indem er sie heiratete, zwei Tage, bevor er nach Indien ging. Wo er meine Mutter traf – was Lady Elenor begeisterte. Sie waren beide glücklich, dem Protokoll war Genüge getan, das Tuscheln hinter ihrem Rücken wurde zumindest leiser.«

      Cusack nickte verständnisvoll, während er sich mit einem blütenweißen Seidentuch den Schweiß von der Stirn tropfte.

      »Das heißt, es war geplant, Sie zu legitimieren?«

      Shiara nickte grimmig.

      »Klar. Lady Elenor – Tante Elenor für mich – hatte selbst darauf gedrängt, noch bevor sie mich das erste Mal sah. Aber dann …«

      »… starb Ihr Vater in der Luftschlacht. Als sorgfältiger Offizier hatte er ein entsprechendes Testament aufgesetzt, aber ohne Debastardisierung ist es nutzlos. Und nun kann nur Ihre Majestät selbst Ihren Namen, Titel und Besitz wiederherstellen. Was wahrscheinlich trotz des Drängens der Lady von Canterbury abgelehnt oder verzögert wird. Unter fadenscheinigen Ausreden, weil niemand zugeben will, dass man keine braune Lady im Adel haben will.«

      Shiara blickte ihn verblüfft an. Ihr Respekt gegenüber dem Jüngling fand neue Nahrung.

      »Ganz genau. Sie scheinen zumindest schlauer als Ihr Vorgesetzter zu sein, das muss man Ihnen lassen.«

      Cusack schnaubte.

      »Selbst ein betrunkener Makake ist schlauer als mein Vorgesetzter. Wir sind da.«