daß ich nichts sehen kann.“ Sie setzte sich im Bett auf und machte die Augen immer noch ganz fest zu, während sie auf das Läuten am anderen Ende der Leitung lauschte. Als sich eine Männerstimme meldete, verschlafen und mürrisch wegen der nächtlichen Störung, keuchte Sandra seinen Namen.
„Ted … oh, Ted! Ich habe ja solche Angst! Joel ist wieder einmal fortgegangen, um sich um eine Patientin zu kümmern … und ich verliere vor Angst beinahe den Verstand!“
Ted Lockharts Stimme verriet Belustigung.
„Wärst du nicht so eine Nutte gewesen, hättest du keine Angst im Dunklen! Dein schlechtes Gewissen macht Überstunden, meine Süße! Warum tust du nicht endlich, wozu dein Mann dich doch schon wiederholt aufgefordert hat? Nimm dir doch einfach ein Hausmädchen, dann brauchst du nachts nie mehr ganz allein im Haus zu sein.“
„Ach, Ted …!“ piepste Sandra mit ihrer Kinderstimme. Jetzt hatte sie keine Angst mehr, nachdem sie den Kontakt zu einem lebenden menschlichen Wesen hergestellt hatte. Auf diese Weise vermochte sie stets Gespenster zu verscheuchen. „Ted …! Gerade du weißt doch am allerbesten, warum ich kein Mädchen im Haus haben will!“ Jetzt verriet die Stimme des Mannes einen intimen Unterton.
„Kannst du nicht zu einer schnellen Nummer herkommen, Babydoll? Danach wirst du so müde sein, daß du nur noch schlafen wirst! Das kann ich dir versprechen.“
„Oh, Ted! Du weißt doch, daß ich es nicht riskieren kann, zu dir zu kommen“, sagte Sandra. Sie betrachtete dabei ihr eigenes Spiegelbild und bewunderte ihre prächtige Figur unter dem hauchdünnen Nachthemd. Vor allem die prallen Rundungen ihrer üppigen Brüste lösten tiefe Zufriedenheit bei Sandra aus. Unbewußt streichelte sie ihre Titten, während sie sich weiter mit Ted unterhielt. Lockhart stimmte gutmütig zu, so lange mit ihr zu sprechen, bis sie entweder einschlafen oder ihr Mann von seinem Krankenbesuch zurückkommen würde.
Dr. Penny gab der leidenden Patientin eine Spritze und forderte den Ehemann auf, seine Frau morgen ins Krankenhaus zu schaffen. Dann kehrte er zu seinem Wagen zurück und setzte sich hinters Steuer. Er drehte ganz automatisch den Zündschlüssel herum.
Plötzlich zuckte ein greller Feuerblitz auf. Intensive Hitze breitete sich unter lautem Prasseln aus.
Dr. Penny reagierte nicht bewußt, sondern nur ganz instinktiv. Seine Hände brannten, aber zunächst spürte er den Schmerz gar nicht. Seine Finger tasteten unter dem Lenkrad herum, als wollten sie die Ursache dieses überraschenden Feuers feststellen. Aber es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, bis Dr. Penny begriff, daß seine Hände von so etwas wie tropfendem, geschmolzenem Plastik versengt wurden. Da kam ihm jäh zum Bewußtsein, daß es sich hier nicht um ein gewöhnliches Feuer handelte. Nun reagierte er wiederum nur rein instinktiv, als er den Wagenschlag aufriß und sich ins Freie warf. Er zog Arme und Beine an, wälzte sich ein paarmal um seine eigene Achse und blieb erst ruhig liegen, als er glaubte, sich weit genug aus der Gefahrenzone entfernt zu haben. Dann kam er langsam auf die Knie und starrte auf das lodernde Inferno, das bis vor wenigen Augenblicken noch sein Wagen gewesen war. Eine erderschütternde Explosion wirbelte zerfetzte Wagenteile, darunter vor allem das Lenkrad und die Steuersäule unter einem sprühenden Funkenregen zum dunklen Nachthimmel empor. Verblüfft, ungläubig und momentan wie erstarrt betrachtete Dr. Penny dieses unbegreifliche Schauspiel.
Überall längs der Straße wurden nun Türen oder Fenster aufgerissen.
Dr. Penny hörte schließlich die Stimme von Mr. Johnson, der auf das lichterloh brennende Feuer zulief und dabei schrie: „Oh, mein Gott! Gott, der Allmächtige! Herrgott im Himmel … das ist ja der Doc!“
Dr. Penny stand ganz ruhig auf und ging auf den Mann zu, der aus weit aufgerissenen Augen die Überreste des Wagens anstarrte.
„Ich bin vollkommen in Ordnung, Mann“, sagte Dr. Penny. Das stimmte aber keineswegs. Er wußte, daß seine Hände bös verbrannt waren, aber im Moment war er nur unendlich dankbar, daß er selbst nicht von dieser Sprengladung zerfetzt und in Fragmenten durch die Luft geschleudert worden war … zusammen mit den Trümmern des Wagens, die immer noch funkensprühend und glühend herumflogen.
Etwa zur gleichen Zeit, als Sandra Penny endlich gähnend den Hörer aufgelegt hatte und wieder eingeschlafen war, wurde ihr Mann ins Madelaine Brandywine-Krankenhaus gefahren. Zwei Polizisten begleiteten ihn im Krankenwagen und notierten alle Antworten auf die vielen Fragen, die sie dem Arzt stellten.
Dr. Penny konnte nur immer wieder verneinend den Kopf schütteln.
„Nein, ich habe wirklich keine Ahnung, warum jemand diese Bombe in meinem Auto angebracht hat.“
Allein die Vorstellung kam ihm schon lächerlich vor, obwohl ihn seine schmerzenden Hände ständig daran erinnerten, daß tatsächlich ein Anschlag auf sein Leben verübt worden war.
Die beiden Beamten begleiteten ihn in den ruhigen Empfangsraum des Krankenhauses, das allgemein nur ‚Mad Hospital’ genannt wurde.
Die Telefonistin machte offensichtlich gerade Kaffeepause, denn der Raum war vollkommen leer.
Der Arzt bedankte sich bei den Polizisten und sagte ihnen, daß er entweder zu Hause oder hier im Krankenhaus, zu dessen Personal er selbst gehörte, jederzeit zu erreichen sei, falls man ihn benötigen sollte.
Einer der Polizisten sagte: „Ich glaube, Sie hätten sich von uns doch lieber ins Bethesda bringen lassen sollen, Doktor. Ich meine, ich weiß, daß dieses Krankenhaus hier auch vollkommen in Ordnung ist, nur … es ist eben doch ein Nervensanatorium, nicht wahr?“
„Wir sind hier für alle vorkommenden Fälle bestens gerüstet und ausgestattet“, sagte Dr. Penny. Dann ging er den hallenden Korridor entlang in die hellerleuchtete Unfallstation. Sekundenlang starrte er auf seine stark geröteten und angeschwollenen, von Blasen überzogenen Hände. Er schüttelte leicht den Kopf, und sein Blick huschte über die Batterie von Knöpfen auf dem Schreibtisch. Mit größter Anstrengung machte er den rechten Zeigefinger gerade, der schon ziemlich steif geworden war. Er zuckte heftig zusammen, als er nun auf einen der Knöpfe drückte. Seine Stimme aber klang sanft wie immer, als er zur diensthabenden Schwester, die sich über das Haustelefon meldete, sagte: „Hier spricht Dr. Penny, Miß Reynolds. Würden Sie mir bitte auf der Unfallstation assistieren?“
Zwei Blocks vom Johnson-Haus entfernt drückte sich eine ungewöhnlich große Gestalt unbeholfen in die tiefen Schatten der alten Weiden. Der Mann ließ seinen Blick nach allen Richtungen in die Dunkelheit huschen und unterdrückte mit größter Mühe einen Hustenanfall. Er zitterte am ganzen Leibe. Manchmal schluchzte er leise vor sich hin, dann fluchte er wieder. Bevor er endgültig weiterging, murmelte er in die vorgehaltene Hand: „Dieser gottverdammte Bastard hat noch einmal Glück gehabt!“ Seine kleinen Augen brannten, als er nun mit gesenkten Schultern auf die schäbige Pension zuging, wo er wohnte. Er bewegte sich mit stolpernden, zögernden Schritten. Einmal reckte er eine Faust zum Himmel, kicherte und stieß eine obszöne Drohung aus.
„Das nächste Mal, du lausiger Ficker …!“
3
Es war Hope Reynolds Gewohnheit, fast die ganze Nacht in ihrem Dienstzimmer im zweiten Stockwerk zu bleiben. Da das Madelaine-Brandywine-Hospital eine private Institution und in erster Linie für die Behandlung Geistesgestörter bestimmt war, kam es nur selten vor, daß die kleine Unfallstation im ersten Stockwerk benutzt wurde. Schwester Reynolds aber wollte ständig beschäftigt sein. Für sie gab es immer ein paar Akten in Ordnung zu bringen oder nach Patienten zu sehen, obwohl es während der Nachtschicht, die von dreiundzwanzig bis sieben Uhr dauerte, im allgemeinen sehr ruhig war.
Hope Reynolds gehörte nicht — wie die meisten ihrer jüngeren Kolleginnen — zu den Leuten, die ständig auf die Uhr blickten, aber in dieser Nacht hatte sie um Punkt zwei Uhr nach der Zeit gesehen. Hope liebte es, ein geregeltes Leben zu führen. Um zwei Uhr morgens pflegte sie fast stets in den Aufenthaltsraum der Schwestern zu gehen.
An diesem Augustmorgen um zwei Uhr drängte es sie ganz besonders dazu.
Während der letzten Minuten hatten sich