hin und begann zu schluchzen.
„Es ist mir egal … es ist mir egal … es ist mir egal!“ sagte sie wieder und immer wieder. „Lola war immer ihr Liebling! Ich bin froh, daß ihre Hochzeit ein Skandal wurde.“ „Sie sind ein ungezogenes, garstiges kleines Ding. Sie brauchen keine psychologische Fürsorge. Was Sie brauchen, ist eine gehörige Tracht Prügel.“
Das Mädchen brach mitten im Schluchzen ab und starrte ihn an.
„Sie wollen mich also wirklich nicht ins Krankenhaus stecken? Sie wollen nicht mein Gehimklempner sein?“
„Wenn sich’s irgendwie vermeiden läßt.“
„Dann werde ich’s tun!“ drohtet sie verdrossen. „Das nächste Mal werde ich mich wirklich umbringen! Dann werde ich nicht nur so tun! Sie werden schon sehen!“
Dr. Brandywine lehnte sich seufzend zurück und betrachtete dieses verwöhnte Kind. Er wußte, daß er sich auf gefährlich dünnem Eis bewegte, denn er wußte aus Erfahrung, daß sich diese Jugendlichen manchmal tatsächlich dazu hinreißen ließen, ihre zunächst gar nicht ernst gemeinten Drohungen doch noch zu verwirklichen. Aber er hatte sich dafür entschieden, das Risiko einzugehen und dieses Mädchen wieder nach Hause zu schicken. Er wollte über dieses Mädchen mit Dr. Royal sprechen, der sich besser darauf verstand, mit solchen Mädchen wie Brenda umzugehen. Trotz ihrer Jugend erinnerte Brenda ihn irgendwie an seine verstorbene Frau Madelaine. Deshalb traute er sich, der sich ansonsten recht gut mit jungen Leuten verstand, in diesem Falle kein objektives Urteil zu. Also entließ er Brenda und läutete nach Dr. Royal.
Während er auf den Kollegen wartete, rief er im Hause von Dr. Penny an und sprach mit Sandra. Sie teilte ihm mit, daß ihr Mann ein leichtes Beruhigungsmittel eingenommen hatte und im Moment schlief. Außerdem erfuhr er von ihr, daß die Polizei dagewesen war. Die Bombe war offensichtlich von einem Experten oder einem sehr erfahrenen Amateur installiert worden. Die Stimme der jungen Frau erinnerte Dr. Brandywine an ein verschrecktes, verängstigtes Kind. Er legte den Hörer wieder auf und verließ die Praxis, weil er nicht über Sandra nachdenken wollte. Diese Stimme konnte sehr leicht nur geschauspielert sein, wie er sehr wohl wußte. Oder Sandra könnte Angst haben, weil sie selbst den Killer ihres Mannes angeheuert hatte … für einen Job, der schiefgegangen war. Aber es war zu leicht, auf Krankenhaus-Klatsch zu hören. Das Personal mochte Sandra genausowenig, wie es ihren Mann liebte und bewunderte. Es ärgerte den Direktor, daß er sich dazu hinreißen ließ, in diese menschliche und doch unmenschliche Neigung zu verfallen, auf bequeme Weise nach einem Sündenbock zu suchen. Um Joel Pennys willen hoffte Brandywine, daß Sandra nichts mit dem Anschlag auf das Leben ihres Mannes zu tun hatte.
Als Brandywine in sein Büro zurückkehrte, begrüßte er seinen Psychiater-Kollegen herzlicher als sonst. Sie fanden engeren Kontakt als je zuvor, weil sie einen gemeinsamen Feind hatten … den unbekannten Attentäter. Das Band wurde noch weiter gefestigt, als Dr. Brandywine unumwunden zugab, daß er Royals Meinung über dieses Mädchen Brenda brauchte.
5
Miles Brandywine war in Atlanta als Sohn eines Zahnarztes geboren worden. Er war von kleinauf dazu erzogen worden, daß man sich in dieser Welt mannhaft behaupten mußte, wenn man seinen Lebensunterhalt bestreiten wollte. Als sein Vater starb, hatte Miles gerade die High school abgeschlossen. Er und seine Mutter erfuhren zu ihrem Erstaunen, daß sie ein Vermögen geerbt hatten. Trotzdem war Miles entschlossen, die einmal eingeschlagene Laufbahn auch fortzusetzen. Nach zwei Jahren Militärdienst begann er sein Medizinstudium, und schon während des ersten Jahres entdeckte er sein Interesse für Psychologie. Seine Mutter hatte inzwischen das halbe ererbte Vermögen durchgebracht und wurde von den Ärzten in Atlanta für hoffnungslos geisteskrank gehalten. Ihr Tod bestärkte den jungen Miles in seiner Entschlossenheit, mehr über den menschlichen Geist zu erfahren. Nach Abschluß seines Medizinstudiums arbeitete er drei Jahre in New Yorks Bellevue-Hospital für Geisteskranke. Seinen Doktortitel erwarb er in der Schweiz. 1967 wurde ihm eine Partnerschaft bei der Colfax Clinic angeboten. Dr. Rutherford Smith war damals leitender Direktor. Er hatte die Absicht, das Krankenhaus in ein Nervensanatorium umzuwandeln.
Kurz nachdem Miles nach East St. Louis gekommen war, lernte er Madelaine Colfax, die Tochter des Klinik-Gründers, kennen.
Madelaine war attraktiv, jung und sichtlich interessiert an dem neuen Psychologen, der nun in der Klinik arbeiten wollte, die ihr Vater gegründet hatte. Als das Krankenhaus unbedingt einen neuen Gebäudeflügel brauchte, stellte Madelaine das Geld dafür gern zur Verfügung. Sie setzte sich auch dafür ein, aus dem Krankenhaus ein Nervensanatorium zu machen.
Etwa ein Jahr lang herrschten zwischen Madelaine und Miles freundschaftliche Beziehungen. Da man Madelaine ihr wirkliches Alter nicht ansehen konnte, störte es Miles nicht weiter, als er erfuhr, daß sie zehn Jahre älter war, als sie vorgab. Jedenfalls war es für ihn kein Grund, sie nicht zu heiraten.
Manchmal blickte Miles auf dieses eine Jahr, das er mit Madelaine verbracht hatte, zurück und schüttelte beinahe verwundert den Kopf. Erstens konnte er noch immer nicht so recht daran glauben, daß er so blind gewesen sein sollte. Zweitens fiel es ihm noch immer ein bißchen schwer, daran zu glauben, daß Madelaine sich überhaupt nichts aus ihm gemacht hatte.
Dr. Smith und Madelaine hatten zusammen im Wagen gesessen, der über die Klippe gerast war. Beide waren auf der Stelle tot gewesen. Damals hatte Miles nicht sonderlich darüber nachgedacht. Seine Frau und Dr. Smith waren oft zusammengewesen. Sie waren seit ihrer Kindheit eng befreundet gewesen, und Dr. Smiths Frau war eine Kusine von Madelaine gewesen. Die Brandywines hatten nur wenig Gelegenheit für gesellschaftlichen Verkehr gehabt, aber wenn sie doch einmal ein bißchen freie Zeit gehabt hatten, dann hatten sie sie fast immer mit den Smiths zusammen verbracht. Miles hatte den Eindruck gehabt, daß beide Paare eine ausgezeichnete Beziehung zueinander hatten. Erst eine Woche nach Madelaines Tod hatte Miles von Smiths Frau erfahren, daß Madelaine und Smith schon vor Smiths Verheiratung eine Affäre miteinander begonnen hatten, die auch später fortgesetzt worden war.
Noch heute schoß Miles das Blut ins Gesicht, wenn er sich an jenes Gespräch mit Dorothy Smith erinnerte. Sie hatte ihn beinahe verächtlich angesehen und ihn einen Schwächling genannt. Dann hatte sie bitter aufgelacht und hinzugefügt: „Mir brauchst du doch nichts vorzumachen, Miles. Ich habe immer gewußt, was mit den beiden los war. Madelaine war eine Nutte, und sie dachte gar nicht daran, sich von einer Kleinigkeit wie von einer Ehe stören zu lassen. Ich war schwanger. Deshalb heiratete ich Rutherford. Damals hatten heißblütige junge Mädchen eben noch nicht die Pille, weißt du? Und meine Eltern dachten gar nicht daran, Rutherford zu erlauben, Madelaine zu heiraten, nachdem er mich geschwängert hatte. Rutherford und ich bekamen weitere Kinder … und Madelaine hat Rutherford bei jeder nur denkbaren Gelegenheit weiter gefickt. Ich habe genau wie du einfach so getan, als wäre alles in Ordnung.“
„Aber ich habe doch gar nicht gewußt, daß etwas nicht in Ordnung war!“ hatte er protestiert.
„So dumm und naiv konntest du doch gar nicht gewesen sein!“ hatte sie geantwortet.
„Ich habe einfach nie an so etwas gedacht.“
„Herrgott, du warst doch ganz gewiß kein Kind mehr, als du Madelaine geheiratet hast, auch wenn sie zehn Jahre älter war als du! Sag mir jetzt bloß nicht, daß du nicht vor deiner Ehe schon einen Haufen Mädchen gebumst hattest! Und sag mir jetzt bloß nicht, daß du all diese Forschungen über menschliches Verhalten getrieben hast und danach immer noch glauben konntest, daß Madelaine eine Unschuld vom Lande ist!“
Damals hatte Miles dann Dorothy Smith gesagt, daß er ihre Anschuldigungen nicht glaubte. Er hatte immer noch unter dem Verlust seiner Ehefrau gelitten. Dorothy hatte auch weiterhin versucht, ihn zu überzeugen, daß Madelaine und Smith von einem Rendezvous am See zurückgekommen waren, als sich der tragische Unglücksfall ereignet hatte. Dort hatten sich die beiden mindestens einmal pro Woche heimlich getroffen.
Miles hatte Dorothy nur ungläubig anstarren können.
Da war Dorothy schließlich zu einem antiken Schreibtisch im Wohnzimmer gegangen und hatte eine Schublade herausgerissen. Sie hatte Miles einen Umschlag zugeworfen und ihn aufgefordert,