J. L Browning

Heißes Blut


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Schatten der alten Weidenbäume, die rund um die Penny-Residenz wuchsen, stand Alfred Turner, die Hände in den Taschen vergraben und die Schultern weit nach vorn gebeugt. Wieder und immer wieder flüsterte er ein einziges Wort vor sich hin: „Scheiße!“ Er beobachtete, wie der große Lincoln auf die Auffahrt einbog. Seine kleinen, gemeinen Augen blickten verstohlen ins Dunkle. Es war fast fünf Uhr morgens. Alfred sah zu, wie der weißgekleidete Pfleger dem verletzten Arzt behilflich war, die Stufen hinaufzusteigen. Er beobachtete, wie die Beleuchtung auf der Veranda aufflammte. Eine schlanke, blonde Gestalt zeichnete sich sekundenlang gegen das helle Licht ab.

      Alfred Turner wußte, daß dieses blonde Mädchen die Ehefrau des Arztes war. Er hatte gehofft, daß Sandra noch einmal ausgegangen wäre und irgendwo herumgefickt hätte. Alfred wußte alles über Sandra Pennys Leidenschaft für jüngere Männer. Nachdem sein Anschlag auf das Auto des Doktors fehlgeschlagen war, hatte Alfred wenigstens gehofft, jetzt das Vergnügen zu haben, beobachten zu können, wie der Arzt wegen der Abwesenheit seiner jungen, schönen Frau mißmutig oder gar wütend sein würde. Alfred drückte sich noch enger an den dicken Baumstamm, der ihn verbarg. Dabei murmelte er erneut vor sich hin: „Scheiße!“ Dann beobachtete er, wie die junge Frau ihren Mann umarmte. Verdrossen mußte Alfred zugeben, daß Sandra Penny eine ausgezeichnete Schauspielerin war, selbst wenn sie ansonsten eine Schlampe war.

      Der Pfleger kam zurück und setzte sich hinter das Steuer des Lincoln, der — wie Alfred wußte — Dr. Brandywine gehörte.

      Dr. Penny war inzwischen ins Haus gegangen. Die dunklen Wolken am Himmel waren westwärts gewandert. Alfred Turner wußte, daß er nun in sein kleines Zimmer in der schäbigen Pension zurückkehren mußte, um einen neuen Plan auszuarbeiten, wie Dr. Penny am besten getötet werden könnte. Ohne den geringsten Laut zu verursachen, verließ er die Penny-Besitzung.

      4

      Als Dr. Royal im Krankenhaus eintraf, wurde er von der atemberaubenden Rezeptionistin begrüßt, die Dr. Brandywine erst letzte Woche eingestellt hatte.

      „Guten Morgen, Doktor. Heute gibt’s eine schlechte Nachricht. Letzte Nacht wurde in Dr. Pennys Auto eine Bombe installiert. Sie ist aber nicht sofort explodiert, sondern hat zunächst nur einen Wagenbrand ausgelöst. Doch Dr. Pennys Hände sind bös verbrannt. Ich fürchte also, daß Sie heute einen sehr anstrengenden Tag haben werden.“

      Dr. Royal verbarg seinen anfänglichen Schock über diese wirklich schlimme Nachricht und nickte nur kurz. Dann erkundigte er sich nachdem Grad der Verbrennungen, die Dr. Penny erlitten hatte. Schließlich fragte er noch, ob die Polizei bereits Hinweise auf den Täter hatte.

      „Verbrennungen zweiten Grades“, gab die Rezeptionistin Auskunft. „Ich bin ja so froh, daß es nicht schlimmer ausgefallen ist. Das sind natürlich alle hier. Übrigens … Dr. Brandywine ist im Moment in der Unfallstation. Ein schönes Mädchen hat einen Selbstmordversuch unternommen. Ein sehr schönes Mädchen, Dr. Royal!“

      Das Mädchen, das den Selbstmordversuch unternommen hatte, war eine achtzehnjährige Blondine mit dem Gesicht eines Engels und einer Figur, deren Anblick selbst einem Achtzigjährigen das Blut noch einmal schneller durch die Adern jagen dürfte.

      Im Moment waren diese engelhaften Züge allerdings vor Wut verzerrt. Sie funkelte Dr. Brandywine an und stampfte mit beiden Füßen gleichzeitig auf den Boden. Sie saß mit verschränkten Händen auf einem Stuhl.

      Diese kindliche Geste ließ Dr. Brandywine lächeln, und als er hörte, was das Mädchen nun auch noch zu sagen hatte, vertiefte sich dieses Lächeln zu einem breiten Grinsen.

      „Persönlich halte ich Sie für einen Scheißkerl, Doktor!“

      „Das geht schon in Ordnung. Sie können denken, was Sie wollen. Und was Sie von mir halten, kümmert mich überhaupt nicht.“ Er hielt beide Hände hoch. „Meine Handgelenke sind ja nicht aufgeschlitzt … und meine Eltern machen sich ja keine Sorgen um mich.“

      „Was sind Sie eigentlich für ein Quacksalber?“ rief das Mädchen empört, und seine Augen funkelten zornig.

      „Ich bin kein Quacksalber. Sie sind wütend. Sie wurden wütend auf Ihre Eltern, weil sie Ihnen nicht erlauben wollten, ein zerlumptes Hemd und geflickte Bluejeans zum Kirchgang anzuziehen.“

      „War ja gar keine Kirche! Na, ja … ’ne Kirche war’s schon, aber es war nicht so wie bei einem Kirchgang. Ich glaube nicht an Gott. Ich bin doch nur wegen dieser Hochzeit hingegangen.“

      „Und da wollten Sie dafür sorgen, daß alle statt nach der Braut nach Ihnen schauen sollten, was?“

      „Das war nicht der Grund, weshalb ich ein zerlumptes Hemd und geflickte Bluejeans anziehen wollte!“ schrie das Mädchen.

      „Quatsch.“

      Jetzt heulte das Mädchen vor hilfloser Wut laut auf und stampfte noch härter mit den Füßen auf den Boden. Es hatte Tränen in den Augen, als es nun schwor, sich beim nächsten Mal ganz bestimmt umzubringen.

      „Meine Eltern sind doch gräßlich altmodisch! So richtige Spießer! Und Sie sind genauso wie sie! Niemand versteht mich!“ Das Mädchen warf dramatisch die Arme in die Luft. Als Dr. Brandywine keinerlei Reaktion verriet, sprach das Mädchen zwar etwas leiser, aber immer noch sehr forsch. „Hören Sie, ich wollte doch nur tun, was ich immer tue. Ich wollte der ganzen Welt beweisen, daß alles einfach ein beschissener Schlamassel ist. Die Leute sind so verdammt pingelig, wenn es darum geht, was sie anziehen sollen und wie sie aussehen! Darüber vergessen sie vollkommen die wahren Werte! Wenn meine Eltern mich wirklich liebten, dann würden sie sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, was ich auf dem Leib trage! Wichtig ist doch nur, was ich im Kopf habe! Das allein zählt doch!“

      „Sie tragen doch praktisch so etwas wie eine Uniform, wenn Sie ständig solche Klamotten anziehen, Brenda. Sie behaupten, Ihre Eltern trügen Uniformen. Zum Teufel, was glauben Sie eigentlich, was zerlumpte Hemden und verschossene Bluejeans sind, he? Mir persönlich ist’s piepegal, was Sie zur Hochzeit Ihrer Schwester anziehen, aber Ihre Eltern haben bestimmt gute Gründe, wenn sie nicht wollen, daß Sie aus einem falsch verstandenen Kreuzzug heraus einen Skandal inszenieren!“

      „Falsch …?!“ kreischte das Mädchen nun wieder in lautestem Crescendo.

      „Sicher ist es falsch“, sagte Dr. Brandywine. „Ich persönlich habe nichts gegen lange Haare oder gegen die sonstige Aufmachung Ihrer Generation einzuwenden. Es ist eben ‚in‘, langes Haar zu haben. Deshalb trage ich ja mein Haar auch ziemlich lang. Ich habe Koteletten, und es gefällt mir, wie ich damit aussehe. Aber ich erinnere mich noch daran, wie meine Mutter einen Anfall bekommen hatte, weil meine Schwester mit einem Jungen ausgehen wollte, der einen Bürstenhaarschnitt hatte. Er trug damals auch diese Uniform der Jugend. Damals war es zufällig eine Hose, deren Beine am unteren Ende fast einen Meter breit waren. Dazu enorm breite Schultern … ausgestopft. Meine Mutter war entsetzt.“

      „Was hat das alles damit zu tun, daß ich jetzt hier in Ihrer Praxis herumsitzen muß?“

      „Ich sage Ihnen nur, wie die Dinge stehen.“

      Das Mädchen schnaubte verächtlich, dann knurrte es ihn an: „Lassen Sie mich in Ruhe!“

      „Werde ich auch tun. Ich werde Sie nicht einmal ins Krankenhaus einweisen, was Ihre Eltern doch nur einen Haufen Geld kosten würde. Sie haben sich genausowenig wie ich das Leben nehmen wollen. Lassen Sie also das Theater, Brenda. Ich weiß genau, wieviel Tabletten Sie genommen haben. Es waren drei. Und diese Verletzungen an Ihren Handgelenken sind doch nur oberflächlich.“

      „Sie sind ein … ein Lügner!“ platzte das Mädchen heraus. „Es waren mehr Tabletten!“

      „Na, schön … dann also vier. Und dann begannen Sie mit dem Akt ‚Sterbender Schwan‘. Mit dem Versuch, Ihren Willen wie üblich durchzusetzen, haben Sie Ihren Vater halb zu Tode geängstigt und Ihre Mutter in einen Zustand nervöser Hysterie versetzt … und die Hochzeit Ihrer Schwester verdorben!“

      Das Mädchen sprang auf und schrie dem Arzt eine ganze Reihe von Obszönitäten