Ecken und Winkeln. Von schweren Pfeilern blickten wuchtige Bronzen herab, und an den mit bordeauxroter Seide ausgeschlagenen Wänden hingen zwischen kühngeschweiften Spiegeln und glitzernden Armleuchtern bunte Gemälde in goldenen, manchmal ein wenig prunkenden Rahmen. Und über alles das gossen von den hohen Deckfriesen herniederhängende Glühbirnen ein gedämpftes Licht, das diese Welt der Pracht und des Reichtums in wohlig weiches Behagen hüllte.
An der Eingangstür stand Klaus Körber.
Freundschaftlich und doch mit der Achtung, die dem Jüngeren dem angesehenen Senior der Kaufmannschaft gegenüber angebracht erschien, begrüsste er Herrn Tenerissen, neigte sich zum Handkusse vor seiner Gattin, die gerne die Königin in ihren Kreisen spielte, sagte Fräulein Elise, die ganz weiss, von den Schuhsohlen bis zu den Blumen in den Haaren, gekleidet war, einige verbindliche Worte, hatte auch für Herrn Benno Markenthin, über den er sonst gerne unmerkbar hinwegsah, ein gemessenes, liebenswürdiges Willkommen. Dann aber streckte er mit um so ungezwungener Herzlichkeit Gomprecht, der ihm an Alter und gesellschaftlicher Anschauung am nächsten stand, beide Arme entgegen, und sah sich bald von einem Kreise befrackter Herren, von denen einige noch eine stattliche Kette von Orden und ehrenden Abzeichen aus alter Zeit aufzuweisen hatten, und einem ganzen Flor von duftigen, in allen Farben lachenden und leuchtenden Kleidern umgeben.
Der junge Moritz, Klaus Körbers Leibdiener, und der alte Jochem, den er von den Eltern übernommen, hatten bereits die grossen, eichenen Flügeltüren, die in den Esssaal führten, lautlos auseinandergeschoben. Aber Klaus Körber gab den Herren noch immer nicht das Zeichen, ihre Damen zu Tisch zu führen.
„Worauf wartet man eigentlich noch?“ fragte die schwerhörige Exzellenz Röhte ihren Nachbar, den verwitterten Admiral Schmettow, so laut, dass es hart und prall durch die träge sich hinschleppende Unterhaltung dröhnte.
„Die Terlinden ist noch nicht da,“ flüsterte Benno Markenthin der reizenden Meerscheidt, der jung angetrauten Gattin des alternden Polizeipräsidenten, ins Ohr.
„Sollte er die Dreistigkeit gehabt haben, sie einzuladen?“ mischte sich die dürre, in eine Wolke von Spitzen und Tüll gehüllte Frau Kanzelstuhl, die Witwe eines als Dollarmillionär gestorbenen Tuchfabrikanten, in das Gespräch. „Man trifft sie sonst nicht in der Gesellschaft.“
Da verstummte das halblaute Gespräch dieser Gruppe, wie das wogende Gesumme der anderen. Eine Dame war eingetreten: Hete Terlinden, die gefeierte jungdramatische Sängerin des Stadttheaters.
Der Hausherr trat ihr entgegen, küsste ihre Fingerspitzen, die sie ihm mit einer Grazie reichte, die halb kokette Schelmerei, halb leise Befangenheit war, und geleitete sie zu den Damen. Und die eben so wenig freundlich über sie geurteilt, überhäuften sie mit Verbindlichkeiten aller Art. Die einzige Ausnahme bildete Frau Tenerissen.
„Man mag eine Terlinden zu einer Geliebten haben,“ sagte sie zu ihrem Manne, „aber man lädt sie nicht in eine Gesellschaft, zu der man uns bittet. Und wenn es dein Freund Körber noch einmal wagen sollte, dann wirst du allein auf seine Abende gehen müssen.“
Nun sass man in dem getäfelten Esssaal. Dunkelgrüne Tannengewinde, von einer Unzahl kleiner Glühkörper in den verschiedensten Farben durchflammt, umwanden die Tafelaufsätze aus getriebenem Silber und die geschliffenen Karaffen. Der alte und der junge Diener gingen mit lautlosen Schritten von Platz zu Platz und schänkten den Sherry. Und gleich war alles in lebhafter Unterhaltung.
„Das muss man dem Körber lassen, Gesellschaften weiss er zu geben,“ buchstabierte Herr Amelung, der neuernannte Kammergerichtspräsident, der zu Hause sehr knapp gehalten wurde und doch keine grössere Freude auf der Welt kannte, als einen guten Tafelgenuss, seiner Nachbarin, der tauben Exzellenz Röhte, in ihr Hörrohr. Die legte dies neben ihr Gedeck und antwortete in der Absicht, dem Präsidenten etwas in das missgeformte Ohr zu tuscheln, wiederum so laut, dass es die ganze Längsseite des Tisches vernehmen musste: „Du meine Güte ... wenn man in der Wolle sitzt, ist es kein Kunststück, zu spinnen.“
„Nur dass der eine grob spinnt und der andere fein,“ schmetterte die entzückende Studnitz, die Tochter des Oberpräsidialrats, mit der schnippischen Unverfrorenheit ihrer achtzehn Jahre und der hellen, wohlklingenden Stimme in das bereitgehaltene Hörrohr. Denn sie sass zur Linken des Hausherrn, der, in ein eifriges Gespräch mit Elly Tenerissen, seiner eigentlichen Dame, verwickelt, die taktlose Anmerkung nicht gehört hatte, und freute sich, der alten Röhte eins ausgewischt zu haben, die sie nicht ausstehen konnte.
„Er soll allerlei grosse Unternehmungen vorhaben mit Tenerissen und Markenthin zusammen,“ meinte auf der gegenüberliegenden Seite der trotz seiner Klugheit und geistigen Tätigkeit dem gesellschaftlichen Klatsch zugängliche Oberstudiendirektor Ahlfeld zur Terlinden, die man ihm nach Klaus Körbers Grundsatz, die Gegensätze möglichst zusammen zu tun, zur Tischdame gegeben hatte. „Du meine Güte, wenn man sein kärgliches Einkommen hat und höchstens einmal nach dem Abendessen zu einer Tasse Tee einladen kann —“
„Was sagen Sie? Zum Tee und Mandelessen laden Sie ein? Schmeckt das gut zusammen? Und wer gibt es?“ fragte die alte Exzellenz hinüber, die die Gewohnheit hatte, sich in jedes Gespräch, das sie nur halb vernahm, mit irgendeiner nichtssagenden Bemerkung zu mischen.
Klirr ... klirr. Herr Tenerissen klopfte an das Glas. Kurz und würdevoll sprach er, ganz in dem Bewusstsein seiner Stellung und seines Ansehens. Er nannte Klaus Körber, dem seine Worte galten, nicht nur ein Geburtstags-, sondern ein Schosskind des Glücks, dem das in die Wiege gelegt war, um das andere ein ganzes Leben voller Mühe und Schweiss opfern mussten. Freilich ... es gäbe nichts Schwereres in dieser Welt, als von dem Glücke auf so weiche Arme genommen zu werden. Nichts Schwereres und nichts Gefährlicheres.
Es war eine etwas seltsame Rede für eine Geburtstagsfeier. Wie väterliches Mahnen klang es aus ihr. Aber dass er, der Wortkarge und jede Silbe Wägende, heute überhaupt sprach, galt schon als Auszeichnung. Und dass er es in dieser Weise tat, durfte nicht wundernehmen. War er doch der nächste Freund des alten Körber gewesen und hatte seines einzigen Sohnes Aufwachsen von seinen ersten Anfängen an bis zu dem heutigen Tage auf jeder Stufe seiner Entwicklung begleitet.
Man erhob sich von den Plätzen, trank dem jungen Hausherrn zu. Manches scherzende und auch manches herzliche Wort flog zu ihm hinüber. Ein förmlicher Wall von Zuneigung und Liebe umschloss ihn weich und warm.
Der alte Lafitte hatte der Fröhlichkeit alle Schleusen geöffnet. Und mitten in den neckenden und tändelnden Wirrwarr der Worte und Blicke, dem blitzenden Lachen und Leuchten von rechts und links, von hüben und drüben, sass Klaus Körber, unterhielt sich leicht und angeregt mit Lilly Studnitz, die ihm wegen ihres natürlich frischen Wesens von jeher die angenehmste und liebste unter den jungen Mädchen seines Verkehrs gewesen, vernachlässigte dabei aber nicht eine Sekunde die ältere, aber noch immer leidlich aussehende Elly Tenerissen, erwiderte mit wohlgesetzten Worten ihrem Vater auf seinen freundschaftlichen Trinkspruch und leerte das Glas auf das Wohl seiner Gäste.
Aber das alles tat er doch nur im Unterbewusstsein tat es wie in einem tiefen, schweren Traum. Denn unaufhörlich hämmerte und brauste ihm die Frage durch den Kopf: Was sein würde, wenn dies rauschende Fest sein Ende erreichte, und bleiern und trübe der graue Novembermorgen über seinem Kontor aufdämmerte — ihn als Bettler zu wecken? Das Bild eines früheren Kameraden stand vor seinem Geiste. Er war der Sohn eines Kaufmannes, dessen Reichtum märchenhaft war. Aber Ehrenschulden, Weiber, allerlei hässliche Geschichten — eines Morgens, gerade als er zum Obersten befohlen war, fand ihn sein Bursche in voller Uniform erschossen auf seinem Schreibsessel.
Plötzlich stieg inmitten allen Ernstes ein Lächeln in ihm auf. Es musste doch etwas Komisches haben, diese Menschen so veränderten Verhältnissen gegenüber zu sehen. Wie sie sich zu ihnen stellen, mit welcher Fassung sie ihnen begegnen würden? Was wohl die reizende Studnitz sagen würde, mit der er so manchen unvergesslichen Abend vertändelt hatte, und die auch heute jeden seiner mühsam erzwungenen Scherze mit dem zwitschernden Lachen begleitete, das er immer so gerne an ihr gehabt hatte? Und die Terlinden, der er heute morgen erst den schmalen Goldreif geschenkt, dessen kostbare Perle mit ihrem matten Feuer um ihren elfenbeinernen Arm spielte, zu ihm hinüberwinkte, lockte? Und gar die hochmütige Elly Tenerissen,