Artur Brausewetter

Dämonen der Zeit


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das war es nicht“, unterbrach ihn Tenerissen hart und schneidend. „Mit denen wären Sie bei einer so vorzüglichen Einsetzung fertig geworden. Aber dass Sie kein Kaufmann waren, das war es ... das ganz allein.“

      Er schritt in seiner gemessenen Haltung, die Arme auf dem Rücken gekreuzt, einige Male durch das Zimmer, blieb dann, leicht an den Schreibtisch gelehnt, stehen und fuhr fort:

      „Wissen Sie, was es heisst, ein Kaufmann sein? Das heisst, mit klarem Blick und festem Willen auf seinem Posten stehen vom frühen Morgen bis zum späten Abend, heisst, mit nüchternem und klugem Sinn den Zeiten ihr Geheimnis und ihre Bedeutung ablauschen, nach ihnen seine Handlungen und Unternehmungen richten, heisst, keinen anderen Gedanken, keine anderen Interessen kennen als sein Geschäft, seine Würde und sein Ansehen wahren und befolgen, heisst, in zähem Fleisse jede nie wieder einzubringende Stunde des Tages nützen und nur den Sonntag sich zur Befriedigung seiner geistigen oder sonstigen Wünsche gönnen. — Sie aber, Sie haben den Alltag zum Sonntag gemacht, haben jede Lust beim Schopfe gepackt, jeder Leidenschaft freie Bahn gelassen — — — und wundern sich, dass Ihr Geschäft jetzt über Ihnen zusammenstürzt?“

      Klaus Körber nahm seine ganze Kraft zusammen. Sah der Mann denn nicht, wie er litt? Konnte er seine Worte nicht hart und grausam genug wählen, ihn noch tiefer zu demütigen?

      „Ich wollte das Geschäft nicht übernehmen“, erwiderte er in deutlicher Auflehnung. „Ich habe es dem Vater gesagt und geschrieben, wer weiss wie oft. Ich fühlte mich als Offizier glücklich und in meinem Elemente.“

      „Mit dem Offizier war es damals ja vorbei.“

      „Gut. So wollte ich Landwirt werden. Ich bin ein Mensch, der nur in freier Gottesluft gedeihen kann. Für diesen Beruf bin ich geschaffen und habe praktische Gaben —“

      „Die Sie in Ihrem Geschäft gewiss verwerten konnten.“

      „Aber ich habe keine Anlage zum Rechnen. Und das ist hier die Hauptsache.“

      Der Fernruf läutete. Der alte Tenerissen nahm den Hörer.

      „Gomprecht ist am Apparat. Er erwartet Sie heute noch in seiner Wohnung.“

      „Ich werde kommen.“ Und als der Alte den Hörer fortgelegt hatte: „Und was wird jetzt geschehen? Ich kann das Papier nicht einlösen. Die Löhne laufen weiter, steigen mit jedem Tage.“

      „Nehmen Sie Bankgelder auf.“

      „Auch die sind erschöpft.“

      „So bleibt nur eins: Sie gehen hin und verkaufen alles, was Sie haben. In Ihrem Hause stecken unermessliche Schätze.“

      Alle seine Herrlichkeiten, die er mit unendlichem Sammelfleiss Stück für Stück zusammengekauft hatte, die Möbel und Schränke, zum grösseren Teile Alt-Danziger Arbeit, an denen sein Herz hing, die wundervollen Gemälde und Gewebe, die Bronzen und Kunstschätze, die er voll leuchtenden Stolzes jedem Besucher seines Hauses gezeigt, — das alles sollte er in die Hände der Trödler und Schächer geben — —!

      „Ehe ich das tue —“

      „Schiessen Sie sich eine Kugel durch den Kopf,“ ergänzte Tenerissen mit eisiger Ruhe. „Das wäre das Rechte, Sie um den letzten Rest von Achtung zu bringen!“

      Klaus Körber kämpfte einen schweren Kampf.

      „Hierin haben Sie recht, Herr Tenerissen.“

      „Das war das erste männliche Wort, das Sie heute gesprochen haben.“ Und dann nach einer kurzen Pause: „Ich konnte mich gestern vor den anderen nicht so aussprechen. Heute aber sage ich Ihnen: Nicht Ihr Glück, Ihr grösstes Unglück war es, dass Sie mit dem silbernen Löffel im Munde geboren wurden. Versöhnen Sie das Schicksal, indem Sie den Kampf mit ihm aufnehmen und ein Mann werden. Leben Sie wohl!“

      Die schwere Eichentür hatte sich hinter ihm geschlossen. Er stand auf der sonntagstillen Strasse, fühlte die Vorfrühlingsluft, in der der winterliche Hauch zugenommen hatte, erfrischend um seine Stirne wehen und ging mit schnell ausholenden Schritten dem Hause Gomprecht zu, das nicht weit von der Tenerissenschen Villa gelegen war.

      Der war der Wissende seit längerer Zeit und sah, dass nichts mehr aufzuhalten und zu retten war. Aber obwohl sein strenger, fast pedantisch kaufmännischer Sinn der genialeren Geschäftsauffassung des anderen verständnislos gegenüberstand, liebte er ihn wegen seiner heiteren, stets auf das Grosse gerichteten Art und seiner vornehmen Gesinnung und blieb ihm der treue und selbstlose Freund.

      „Und der Erfolg Ihrer Besuche?“ fragte er, nachdem sie zusammen Mittag gegessen und der Diener Kaffee und Zigaretten gereicht.

      „Sie gaben mir beide gute Ratschläge. Aber nichts mehr.“

      „So stehe ich zu Ihrer Verfügung. Wenn ich meine Bank auch nicht weiter in Anspruch nehmen kann, so doch mit meinen eigenen Mitteln. Sie sind nicht gering.“

      Klaus Körber reichte ihm die Hand. „Sie sind immer ein guter, anständiger Kerl gewesen. Ich weiss es und werde es Ihnen nie vergessen. Aber zu helfen ist mir nicht mehr. Tenerissen hat mir den Weg gewiesen. Er ist hart, wie ihn eben ein Tenerissen nur weisen kann.“

      „Und dieser Weg?“

      Klaus Körber würgte an dem Wort. „Ich werde alles verkaufen ... das alte Patrizierhaus der Eltern ... die ganze kostbare Einrichtung. Der Ertrag wird gross genug sein, das fällige Papier einzulösen, meinen Verpflichtungen nachzukommen und soviel für mich übrig zu behalten, mir den Weg zu einem neuen Leben zu bahnen.“

      „Das heisst, ganz von vorne anfangen.“

      „Wenn Sie es so nennen wollen.“

      „Zum Teufel auch ... das ist ein hartes Los!“ stiess Gomprecht, halb in Mitleid, halb in Ingrimm hervor. „Ein Mensch, wie Sie ... verwöhnt und verhätschelt vom Schicksal —“

      „Es war das grösste Unglück, das einen Menschen treffen konnte, wenigstens einen wie mich, hat mich eben der alte Tenerissen belehrt ... Dies vermeintliche Glück, um das mich alle beneideten! Und dazu kam das andere ... ja, lassen Sie nur ... es ist mir gestern abend und heute morgen zum ersten Male klar geworden, dafür aber um so gründlicher: Ich habe verdammt schlecht mit dem mir anvertrauten Pfund gewuchert. Oder vielmehr ... ich habe gar nicht mit ihm gewuchert, was noch schlimmer ist. Nun heisst es, die Zähne zusammenbeissen und die Folgen tragen. Das ist nun einmal nicht anders im Leben.“

      Gomprecht erwiderte nichts. Eine ganze Weile sassen die beiden schweigend in ihren Sesseln, verfolgten den leise aufkräuselnden Wolkenduft der Zigaretten und nahmen von den Likören, die vor ihnen standen.

      „Und wohin?“ fragte dann Gomprecht.

      „Es kommt nur ein Ort für mich in Frage. Sie wissen, dass ich vor dem Kriege in Danzig in Garnison stand. Es waren die schönsten Jahre meines Lebens. Ein gutes kameradschaftliches Verhältnis verband mich nicht nur mit den Offizieren meines Regiments, sondern auch mit denen der 36er und 128er.“

      „Aber das sind vergangene Jahre. Danzig ist heute Freistaat.“

      „Um so besser. So ist es eine neue Welt, in die ich untertauche, und ich brauche nicht über den Ozean zu gehen, wie es sonst dem verlorenen Sohne zukam.“

      „Und Ihre Kameraden sind jetzt, wer weiss wohin, zerstreut.“

      „Nicht alle. Ein ganzer Teil ist dort geblieben oder wieder zurückgekehrt, sich, nachdem sie den bunten Rock ausgezogen, ein bürgerliches Dasein zu gründen. Vor allem finde ich meinen früheren Oberst Kallenbach dort. Ein etwas sonderlicher, aber kerndeutscher Mann. Er hatte das Glück, dass ihn sein Bruder, der Inhaber einer grösseren Holzexportfirma, als Gesellschafter in sein Geschäft nahm, das ihm nach dessen kürzlich erfolgtem Tode ganz zugefallen ist. Wenn er es so gut führt, wie früher sein Regiment, obwohl ich für kaufmännische Dinge eigentlich nie bei ihm eine bessere Ader entdeckt habe, als bei mir selber —“

      „An ihn wollen Sie sich wenden?“

      „Ich habe es bereits getan. Er hat mir eine