Artur Brausewetter

Dämonen der Zeit


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hier nicht alles im Stich lassen.“

      Eine Sekunde zögerte sie. Dann streifte leise und verstohlen ihr Arm den seinen. „Oder soll ich es machen, wie heute vor einem Jahr an deinem Geburtstage ...? Nur zum Scheine mich verabschieden und dann da drüben in deinem kleinen Privatkontor auf dich warten?“

      Er sah den sehnsuchtsvollen Blick ihrer umschleierten Augen, sah ihn harren, suchen, locken, kämpfte eine Sekunde und erwiderte dann hastig, fast rauh: „Nein, auch das nicht.“

      „— — Auch das nicht mehr?“

      „Es sind zuviel fremde Leute im Hause,“ lenkte er begütigend ein, „und ich habe heute Grund, unnötiges Gerede zu vermeiden.“

      „So ängstlich bist du geworden?“

      „Ich werde dir morgen meinen Besuch machen.“

      „Morgen singe ich die Aïda. Da muss ich nachher meine Ruhe haben.“

      Der Glanz in ihren Augen war erloschen, ihr Ton hatte keine Schwingen mehr.

      Man war im Aufbruch begriffen. Der grössere Teil der Gäste hatte sich bereits in die Garderobe begeben. Einige wenige nur verabschiedeten sich noch unter Redensarten und Verneigungen.

      Kurz und kühl reichte die Terlinden Klaus die Hand und ging mit den letzten Gästen.

      In dem mit mehr Prunk als Behagen ausgestatteten Schlafzimmer lag das Markenthinsche Ehepaar noch in festem Schlummer, als es durch ein Pochen an die Tür unsanft geweckt wurde: Herr Körber hätte zum zweiten Male angefragt, wann er den Herrn im Laufe des Vormittags sprechen könnte, es handelte sich um eine geschäftliche Angelegenheit. Jetzt wäre er selber da.

      „Am Sonntag lasse ich mich in geschäftlichen Dingen überhaupt nicht sprechen,“ antwortete Herr Markenthin ebenso verdriesslich wie entschieden, änderte aber mit demselben Atemzug seine Ansicht: „Bestellen Sie Herrn Körber, dass ich in einer Viertelstunde zu seiner Verfügung wäre.“

      Er reckte sich noch einige Male, klagte seiner Frau, obwohl diese, unbeirrt weiter schlafend, nicht eine Silbe vernahm, was für eine miserable Nacht er gehabt, wie er es jeden Morgen tat, nahm zwischen dem Ankleiden eine Tasse schwarzen Kaffee und begab sich in sein Arbeitszimmer.

      „Guten Morgen, verehrtester Freund“, begrüsste er Klaus Körber, lud ihn zum Sitzen und schob ihm die Kiste mit den schweren Hamburger Zigarren hin.

      „Wie? Nicht eine von der auserlesenen Marke? Sie bevorzugten sie, als wir vor längerer Zeit einmal die Freude hatten, ich habe es mir wohl gemerkt. Nun ... dann gestatten Sie mir wohl und sagen mir dabei freundlichst, was mir heute schon bei nachtschlafender Zeit die unerwartete Ehre Ihres Besuches verschafft?“

      „Eine unaufschiebbare und leider nicht angenehme Veranlassung.“

      Sofort wusste Benno Markenthin, was den jungen Kaufmann, der uneingeladen nie sein Haus betrat, heute am Sonntag zu ihm getrieben. Aber er liess sich nicht das Geringste merken, seine Höflichkeit legte nichts von ihrer plumpen Herzlichkeit ab, er bat seinen Besucher „frei von der Leber weg“ zu sprechen.

      „Mir wird nichts anderes übrig bleiben —“

      Aber schon hielt Klaus inne. Jede Miene seines Gesichtes zeigte das qualvolle Bemühen des immer aufs neue emporsteigenden Widerwillens Herr zu werden, vor diesem Manne in solcher Angelegenheit zu stehen.

      „Es handelt sich um den Vertrag, nach dem ich Ihnen innerhalb dreier Monate die besagte Menge von Kartons und Packpapier zu liefern habe.“

      „Ganz recht. Die Sache ist ja wohl längst in Ordnung, und die Frist, wenn ich recht unterrichtet bin, erst in zwei Wochen abgelaufen. Weshalb, wenn ich mir die Frage gestatten darf, bemühen Sie sich deshalb noch zu mir?“

      „Ihnen zu sagen, dass es unmöglich ist, unter den abgemachten Bedingungen zu liefern.“

      „Unmöglich? Wir schlossen damals fest und verbindlich ab.“

      „Aber keiner von uns konnte die Entwicklung der Dinge voraussehen. Das Papier stieg in kurzer Zeit zu einer Höhe, die selbst die kühnste Phantasie unter sich liess. Und Hand in Hand damit ging die völlige Geldentwertung.“

      Benno Markenthin sah sein Gegenüber mit einem halb verlegenen, halb ungeduldigen Blicke an.

      „Ja, was erwarten Sie nun von mir, lieber Körber? Was soll ich tun? Ich weiss es wirklich nicht.“

      „Es gäbe nur zwei Möglichkeiten. Entweder Sie entbinden mich von diesem unausführbaren Auftrag. Oder Sie nehmen zu heutigen Preisen ab.“

      Nicht die leiseste Bewegung, kaum ein Erstaunen glitt über Markenthins glattes Gesicht. Er behielt dieselbe liebenswürdige Miene bei, dieselbe verbindlich ergebene Haltung.

      „Dem Sohne meines weit übers Grab verehrten Freundes wäre ich zu jedem Dienst bereit, zu jedem, sage ich ... selbst wenn er mein Untergang wäre.“

      „Ihr Untergang, Herr Markenthin?“

      Klaus Körber musste vergessen haben, dass er hier als ein Bittsteller sass, auf Gnade und Ungnade dem anderen ausgeliefert, er hätte sonst nicht einen so höhnischen und unwilligen Ton in seine Frage legen können.

      Aber auch über diesen ging Benno Markenthin hinweg.

      „Ich sage nicht zuviel, mein lieber Körber. Denn eine Stunde später, als ich diese nach meiner Ansicht ganz unumstössliche Abmachung mit Ihnen getroffen, habe ich auf Grund der mit Ihnen vereinbarten Bedingungen selber Aufträge für Zigaretten zu den entsprechenden Preisen übernommen. Und käme ich jetzt dem Besteller mit der gleichen Bitte: entweder zurücktreten zu dürfen oder zu heutigen Preisen zu bezahlen — nicht wahr, Sie verstehen, dass das im kaufmännischen Leben etwas Unmögliches ist. Wenn ich jetzt also auf Ihren Wunsch einginge: Sie von der Überlassung der Kartons und des Packpapiers zu entbinden oder Ihnen die schwindelhaft gestiegenen Preise zahlte — ja, sage ich zuviel, dass ich dann ein ruinierter Mann wäre?“

      „So bin ich der Ruinierte.“

      Schwerfällig erhob sich Benno Markenthin von seinem Stuhle, ging auf sein Gegenüber zu, legte ihm beide Hände auf die Schulter.

      „Nein! das wird nie geschehen, solange Benno Markenthin lebt. Muss es einer von uns beiden sein — dann ich. Sie aber, den mir der sterbende Vater auf die Seele gebunden ... ja, mir und Tenerissen —“

      Und wieder vergass Klaus Körber die Lage, in der er sich befand, vergass die Demut, die dem Bittenden geziemte und unterbrach den an seinen Worten wohlig sich Berauschenden mit schlecht verhohlener Ungeduld: „Ja, was soll denn nun geschehen, Herr Markenthin? Was können Sie noch für mich tun, nachdem Sie mir eben sagten, dass ein Eingehen auf meine Bitte Ihren Untergang zur Folge haben würde?“

      Merkte Benno Markenthin noch immer nicht die durch keine Not zu beugende Gesinnung des anderen gegen ihn? Wollte er sie nicht merken? Er nahm die Hände von Klaus Körbers Schulter, liess sich auf seinen Sessel nieder und zog die Stirne in wichtige Falten.

      „An demselben Tage, nicht wahr, da Sie meinen Auftrag akzeptierten, schlossen Sie einen in ähnlicher Höhe mit Tenerissen & Co. ab, die Lieferung von Geschäftsbüchern betreffend? So befinden Sie sich Tenerissen gegenüber in derselben Lage ...“

      „In einer vielleicht noch schwierigeren, weil der abgemachte Preis den Ihrigen um ein Bedeutendes übertrifft.“

      „Haben Sie mit ihm bereits gesprochen?“

      „Ich bin auf dem Wege zu ihm.“

      „Gut. Tenerissen ist nicht nur der klügste Kopf von uns allen. Sein Einfluss und seine Verbindungen reichen am weitesten. Wenn einer in dieser verzwickten Sache helfen kann, dann ist er es. Und er wird es tun. Er stand Ihrem lieben heimgegangenen Vater noch näher als ich ... am nächsten von uns allen.“

      „Er sagte mir gestern erst, dass ich mich in jeder Lebenslage auf ihn verlassen könne.“

      „Um so besser. Gehen Sie so schnell wie möglich