Artur Brausewetter

Dämonen der Zeit


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für einen Freund, den man im Unglücke nicht verlassen kann.“

      Er sprach es wieder ein wenig pathetisch, doch mit einer Wärme, die Klaus Körbers entschwundenen Mut mit frischen Kräften belebte. Er hatte den Mann doch vielleicht zu gering eingeschätzt, hatte von der Höhe seiner aristokratischen Welt- und Menschenerfassung auf ihn wie auf einen weit unter ihm Stehenden herabgeschaut ... Er fand beim Abschiednehmen sogar ein kurzes Wort des Dankes, über das Herr Markenthin mit zufriedenem Schmunzeln quittierte.

      Die Stürme und Regengüsse waren gewichen. Hell und warm lag die Februarsonne auf den Strassen, als Klaus Körber das Markenthinsche Haus verliess, um sich in die im neuen Stadtteil gelegene Villa zu begeben, die sich Tenerissen erst vor kurzem mit bedeutendem Aufwand hatte bauen lassen. Etwas wie frohes Hoffen war in seine Seele eingezogen und beflügelte seinen Schritt durch die linde und doch frische Vorfrühlingsluft. Wenn ihm Markenthin schon mit einer Bereitwilligkeit, die ihn beinahe beschämte, seine Hilfe zusagte, dann konnte sie ihm Tenerissen, auf den der Vater immer die grössten Stücke gehalten, unmöglich versagen.

      Aber als er nun, von den Vorübergehenden mit Höflichkeit, ja, von manchen trotz seiner jungen Jahre mit Ehrerbietung begrüsst, in die lange, von noch jungen Bäumen an beiden Seiten eingefasste Strasse einbog, an deren Ende die Villa Tenerissens lag, da konnte er doch einem seltsamen Zagen nicht wehren: Alles hing von dem kommenden Augenblick ab, sein ganzes Leben und Schicksal. Tenerissen hielt es in den mächtigen Händen. Er konnte es neu aufbauen und konnte es zugrunde richten ... ein für alle Male — da drückte er schon auf den Knopf der elektrischen Leitung an der hohen Eingangspforte, hörte es laut, fast schreiend durch die weite Räume hallen, vernahm das gemächliche Kommen des Dieners die mit Läufern belegten Marmorstufen hinab ... Schritt für Schritt.

      Auch Tenerissens hatten heute morgen Klaus Körbers telephonischen Anruf erhalten. Und auch hier hatte er nicht ein geringeres Erstaunen hervorgerufen als bei Hamanns Erben.

      „Er wird Ellys wegen kommen“, war der einzige Schluss, zu dem Frau Tenerissen nach reiflicher Überlegung gelangte, den sie bei sich behalten wollte, auch eine längere Zeit mit sich herumtrug und ihn dann doch ihrem Manne mitteilte.

      „So ... so“, hatte dieser nach seiner kargen Gewohnheit geantwortet und sich nur um so eifriger in das geschichtliche Werk vertieft, das er zu seiner Sonntagserholung zu lesen pflegte — da stand Klaus Körber vor ihm.

      „Ich komme eben von Herrn Markenthin“, sagte er, nachdem ihn Tenerissen in seiner zugeknöpften Art begrüsst hatte. „Und derselbe geschäftliche Grund, der mich zu ihm getrieben hatte, veranlasste mich, auch Sie um eine Unterredung zu ersuchen.“

      „Ein geschäftlicher Grund ... so ... so.“

      Tenerissen musste an seine Frau denken und an die Enttäuschung, die er ihr bereiten musste. Dabei lief ein wehmütiges Lächeln um seine scharfen Mundwinkel.

      „Darf ich bitten“, sagte er kurz und förmlich.

      „Sie beauftragten mich vor einigen Monaten mit einer bedeutenden Papierlieferung für Geschäftsbücher.“

      „Ich warte bereits auf die Erledigung.“

      „Ich kann Ihren Auftrag nicht erfüllen.“

      „Sie können nicht — weshalb nicht?“

      „Ich glaube, Ihnen als erfahrenem Kaufmann das nicht erst auseinandersetzen zu müssen.“

      Tenerissen wiegte den grauen Kopf einige Male hin und her.

      „Weshalb schlossen Sie fest ab, wo heutzutage kein Kaufmann anders als freibleibend liefert?“ fragte er kurz und scharf.

      „Weil man damals noch sehr oft fest abschloss ... besonders in unserm Geschäftszweige. Auch Sie haben keinerlei Bedenken geäussert.“

      „Bedenken waren nicht Sache des Käufers, sondern des Verkäufers.“

      Die immer kühler werdende, ganz auf das Geschäftliche sich beschränkende Art des Mannes, den er solange nur als väterlichen Freund und Berater gekannt und verehrt hatte, brachte Klaus Körber um den letzten Rest der Ruhe, mit der er sich gewappnet hatte.

      „Ich glaubte, in dem Verhältnis, das von den Eltern her zwischen uns herrschte, nähme man das nicht so genau, selbst wenn man sich als Käufer und Verkäufer gegenüberstände.“

      Keine Miene bewegte sich in dem Gesichte des alten Tenerissen.

      „In geschäftlichen Dingen habe ich das Gefühlsmässige stets ausgeschieden. Auch Ihr verstorbener Vater tat es, wie jeder Kaufmann.“

      „Aber ein guter Ratschlag —“

      „Ich glaube, Ihnen den oft genug gegeben zu haben. Wenn Sie ein so ungelehriger Schüler blieben, kann ich nichts dafür.“

      Klaus Körber erwiderte nichts mehr.

      „Ich hatte Ihnen erst kurz vor dem Vertrag, den Sie übrigens nicht mit mir, sondern mit meinem Gesellschafter machten, in nicht misszuverstehender Deutlichkeit gesagt, dass die Zeit gekommen wäre, wo man grosse Abschlüsse nur noch freibleibend machen sollte. Dass ich, nachdem mir mein Gesellschafter den fertigen Kaufvertrag mitgeteilt, nicht mehr zu seinem und zu meiner Firma Schaden eingreifen konnte, wird Ihnen als Kaufmann klar sein müssen.“

      Eine unerbittliche Logik lag in jedem Worte, das der alte Tenerissen sprach. Mit kühler Ruhe blickten die ernsten, strengen Augen unter den dichtbuschigen Brauen auf sein Gegenüber.

      „Trotzdem konnten Sie leidlich abgeschlossen haben, sowie Sie meinen zweiten, Ihnen bei derselben Gelegenheit gegebenen Rat befolgten: dass im Falle fester Abschlüsse die sofortige Deckung mit den entsprechenden Devisen unbedingte Notwendigkeit wäre.“

      „Auch das gelang mir nicht mehr.“

      „Sie haben sich nicht eingedeckt? Gar nicht eingedeckt?“

      „Nein.“

      Der alte Tenerissen erhob sich von seinem Stuhl. Den baumlangen, sehnigen Körper straff gespannt, starr und bewegungslos in der aufrechten Haltung stand er dem anderen, der sitzengeblieben war, gegenüber, sah auf ihn herab mit einem halb mitleidigen, halb spöttischen Blick der kleinen Augen, die einen noch graueren, noch kälteren Ton angenommen hatten.

      „Dann kann Ihnen kein Gott mehr helfen, geschweige denn ein Mensch.“

      „Doch ... Sie könnten mir helfen ... Sie allein!“

      „Ich bin gebunden ... an mein Geschäft, an meine Gesellschafter. Ich bin nicht allein. Und selbst wenn es durch grössere persönliche Opfer geschehen könnte ... ich will nicht.“

      „Sie wollen nicht?“

      Jetzt hatte sich auch Klaus Körber aus seiner gebeugten Haltung emporgerichtet. Mann gegen Mann standen sich der Alte und der Junge gegenüber.

      „Das ist das Versprechen, das Sie meinem Vater in der letzten Stunde gegeben haben! Das Sie mir gestern abend feierlich bekräftigt haben. Sie haben Ihr Wort weder dem Lebenden, noch dem Toten gehalten.“

      Er dachte, der da drüben würde ein heftiges Wort der Rechtfertigung oder Zurechtweisung erwidern ... ungebeugt in seiner energischen Haltung, unbewegt in jedem Glied, jeder Muskel, verharrte der alte Tenerissen.

      „Ich weiss, dass Ihr verstorbener Vater, stünde er jetzt an meiner Stelle, dasselbe tun würde. Ein Mann, der handelt wie Sie, ist nie und nimmermehr ein Kaufmann.“

      „So verweigern Sie mir jede Hilfe?“

      „Ich wüsste nicht, worin sie bestehen sollte. Ich muss die bestimmte Anzahl der Geschäftsbücher liefern. Selbst wenn ich jeden Preis bezahlen wollte, bekäme ich sie heute nicht. Wären Sie früher zu mir gekommen, vielleicht dass sich noch ein Weg gefunden hätte. Jetzt ist es zu spät.“

      „Zu spät ...“ wiederholte Klaus Körber dumpf und sah ins Leere.

      „Als Ihr Vater Ihnen die in der ganzen Provinz, ja, in ganz Deutschland angesehene Papier- und Kartonagenhandlung