beachtet worden. Jener Baum bot die einzige Möglichkeit, von der beträchtlich hohen Mauer jenseits hernieder zu gelangen, ohne sich alle Glieder zu zerbrechen.
Der Zigeuner stürmte die Turmtreppe empor, — aufatmend und zuversichtlich, — da sperrt ein Hindernis den Weg. Die Ausgangstür auf die Plattform der Mauer ist geschlossen; Goykos muss in der Dunkelheit mit beiden Händen tasten, ob sie geschlossen oder nur geriegelt ist. Das hält ihn lange auf, er hört bereits den Lärm im Hofe — die Hunde haben ihn gewittert.
Endlich greift er den Riegel, aber er ist verrostet und sitzt fest wie ein Stein; — mit knirschenden Zähnen stemmt er sein Dolchmesser ein — es bricht. — Da schimmert Licht, — seitlich von der Wand her fällt Mondlicht in den finstern Raum. Goykos stürzt darauf zu. — Ein Schalter! Er stösst ihn auf und blickt durch eine schmale Längslucke auf die Mauer; kann er sie im Sprung erreichen, ist er gerettet. Da heult ein Hund bereits auf der Treppe. Besser das Genick als die Knochen auf der Folter gebrochen! —
Mit einem zischenden Fluch auf der Lippe schnellt er sich ab, behend und geschmeidig wie ein Marder, — fasst Fuss und steht auf der Mauer. — Wie ein Schatten fliegt er über die Bleideckung der Plattform hin, schaut durch die Zinnen nach der Kiefer und sieht sie jenseits eines kleinen Erkers, welcher den Gang sperrt, aufragen. Der Erker ist leicht zu überklettern, nur nicht mehr in diesem Augenblick, wo ihm heftige Schläge gegen den störrischen Riegel der Holzpforte verkünden, dass man ihm dicht auf den Fersen ist, und den Zinnengang in jedem Augenblick betreten kann.
Da kreischt das Eisen in den Angeln, die Türe schmettert auf — und Goykos schwingt sich ohne Besinnen über die Brüstung, krallt sich mit den Händen an einem Giessloch fest und schwebt an schwindelnd hoher Mauer hülflos zwischen Himmel und Erde. —
Kundschaften ihn seine Verfolger aus — verlässt ihn die Kraft, so zerschmettert er im Sturz — und solcher Tod ist ihm lieber, denn Folterqual. — Seine Füsse tasten an der Mauer — und sie finden einen Stützpunkt in der Rinne, welche das siedende Wasser oder Öl auf den Feind herabführen soll.
Über ihm werden bereits die Stimmen seiner Verfolger laut.
„Er muss hier sein! Da schaut sein gebrochen Messer! ra, ra, ra! taho! taho!“ —
„Hetz — hetz! hutada! fasst, ihr Hunde fasst! — Der Narr läuft um die Zinnen!“ —
„Er ist über den Erker!“ —
„Sollt er gar hinab sein? Solch Teufelsgesindel kann hexen! Verwandelt sich in ein Käuzlein und fliegt zum Schlot hinaus!“
Des Goykos Herzschlag stockt: unwillkürlich hebt er sein Gesicht und schaut auf, ob nun die Köpfe über die Mauer lugen werden. Ein eisiges Frösteln überkommt ihn, des Torwart Lambert Haupt neigt sich forschend über die Brustwehr — Auge ruht in Auge. — Dann schnellt der droben zurück. „Heda! dort drüben! seht dort drüben läuft der Hallunk nach der Cisterne zu! — Hat uns übertölpelt! Auf! fangt ihn! ehe er neuen Winkel findet!“
„Satan, gottverfluchter!“ wettert der Vogt, „ist er jenseits im Turm wieder herunter! Auf — hetz, hetz!! — an die Cisterne!! Soll sein letzter Gang gewesen sein!“ — Und in wüster Hast dröhnen die Schritte zurück, jagt die Meute die Turmtreppe hinab — „Ra, ra, ta! taho! taho!!“
Der Zigeuner aber hängt keuchend an der Mauer, kalter Schweiss rinnt ihm von der Stirn.
Da neigt sich Lambert abermals über die Brüstung, — „Armer Schelm!“ lacht er gutmütig, „das war Hülf’ in der Not! Hätten dich des Vogts Augen statt der meinen erschaut, so wärest du jetzt der Wölfe Frass! Steig auf! ich werd’ dich mit den Armen greifen, wenn deine Kraft versaget! — Huha! Solch ein Lumpenkerl wie du wieget weniger denn ein Sack voll Wind! Werd’ dich am Wamms fassen, wie einen Dachs im Genicke — so .. hol’ über .. hoppla! und Gott in deine Hände, wie der arme Fratz so miserabel drein schaut!“
Goykos brach — als Lambert ihn über die Brüstung gezogen hatte, zitternd auf die Knie nieder, einen Augenblick rang er gegen seine Schwäche, dann zuckte sein Blick zu dem Schliesser empor. —
„Willst du mich verraten, Mann, oder bist du ein Fremdling in dieser Burg?“ —
„Eine ehrliche Haut bin ich, so nicht von etlichen Kannen Borgeraste trunken wird und harmlose Spassmacher auf die Folter spannt, wie der heillose Henkersknecht, der Magister, dem Angstschrei lieblicher in die Ohren klingt, wie ein Organistrum! Hab dein Weib und den Buben auch schon entwischen lassen, und ihnen geheissen, dass sie die Strasse nach Zwingenberg ziehen sollen! Dort werdest du sie wiederfinden!“ —
Ein tiefer Atemzug hob des Zigeuners Brust.
„Ich will dir’s gedenken, du braver Mann, und will dir’s vergelten, wenn mich die guten Geister aus des Amadeus Krallen lösen!“ —
„Prahl nicht! wäre ein bös Ding, wenn sich eines ritterlichen Herrn Torwart Entgelt geben liesse von Landstreichern und Gauklern. Sieh, mich verdriesset es, wenn man den Brunnenesel mit dem Fuss tritt, oder einen Rüden peitscht, wenn er mutwillig ist, und sollt’ einen fahrenden Mann, der auch ein wehrlos Vieh ist, peinigen lassen?“ — Und Lambert zuckte mit den breiten Schultern und wandte sich verächtlich ab: „Kriech’ in die Vorratskammer zurück, ich werde den Turm drunten schliessen und den Schnäpper bei mir tragen, dann bist du geborgen! Und wenn der Vogt seine Jagd beendet, lass ich dich entwischen. Verstehst du? — Sie haben die Cisterne durchsuchet und wenden sich wieder gegen die Mauer, darum tut Eile not!“ —
Und der Schliesser stampfte die Steintreppe hinab, warf die Turmtüre zu und verschloss sie.
Goykos schaute ihm mit misstrauischem Blicke nach. War er jetzt gefangen, oder aus den Händen seiner Feinde befreit? Auf jeden Fall ist derjenige ein verlassener Mann, der sich auf die Worte eines andern verlässt. —
Und darum dehnte er prüfend die Arme, deren Muskeln zäh und fest waren, und jenes hangen zwischen Leben und Tod schon wieder verwunden hatten, — benutzte den günstigen Augenblick, da seine Verfolger jenseits im Hofe wüteten, und kletterte über den Mauererker auf die andere Seite der Mauer. — Wenige Schritte nur, und seine Retterin, die Kiefer, streckte die Äste durch die Schiessscharten zwischen den Zinnen. „Nun erst bin ich geborgen, braver Torwart!“ murmelte er mit funkelndem Blick, „denn wolltest du jetzt noch zum Verräter an mir werden, möchte dir all deine Klugheit nichts mehr frommen!“
Und mit einem Gefühl grausigen Behagens setzte sich der Geächtete auf die Plattform nieder, die Glieder in kurzer Rast auszuruhen, und wilde Pläne boshafter Rache zu ersinnen, wie er jenen Peinigern diese Stunde wohl am schärfsten könnte vergelten! Feuer legen? Solches würde mehr ein Schaden für den Ritter sein, und dessen Sohn hatte seinen Irregang geherzt wie seinesgleichen, — nein, dem kleinen Junker alles Gute, aber dem Magister — dem musste er einen Denkzettel geben!
Da sah er, wie die Schar seiner Feinde schon bedeutend ermatteter in den Hof zurückkam und sich just wieder mit wilden Schimpfreden, zwischen welche sich aber schon manch scheues Wort über „Hexenmeister“, „Zauberer“ und desgleichen mischte, der Mauer zuwenden wollte. —
Plötzlich aber verstummte der Lärm. Eine hohe, schrille Weiberstimme gellte durch die Nacht, und hell vom Mond beschienen, trat eine knochige Frauengestalt, der Junker Jorg an der Hand, aus dem Pallas und schritt gradeswegs auf den Vogt zu. —
Dieser aber knickte jählings in die Knie, warf seinen Speer bei Seite und ruckte den Hut auf die Mitte des Hauptes, als sei er plötzlich nüchtern worden. Sein strenges Ehgemahl aber erhob ein heftig Räsonieren und verschwor sich hoch und teuer, solch einen gotteslästerlichen Unfug dem Ritter zu vermelden! —
Der Magister aber, welchen sie auch mit drohenden Reden anging, zog sich stille zurück in den Mauerschatten, und da solches der Goykos sah, hob er sich hassfunkelnden Blicks auf die Knie, schlich dann dicht an den Mauerrand und murmelte: „Für jeden Schlag einen Stich — für jeden Hieb einen Biss!“ und er zog eines der Dolchmesser aus dem Gürtel und schleuderte es gegen den Stifter all seines Unheils.
Es war ein Meisterwurf. Mit gellendem