Jørn Nielsen

Auf der Flucht - mein Leben als Hells Angel


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sehe, du hast Pat schon kennengelernt«, sagte Alain, der jetzt hinter mir aufgetaucht war. Pat war mein französischer Spitzname.

      Nachdem Fafa und Alain einander viermal auf die Wange geküßt hatten, wie es sich in Paris eben gehörte, wurde ich ausgiebig vorgestellt. Auch Fafas Freund war dabei. Er hieß Robert und war von Beruf Musiker. Die beiden wurden später zu meinen besten Freunden in Frankreich.

      Ich hatte weder Zeit noch Lust, weiter an meinem Buch zu schreiben. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, neue Menschen kennenzulernen. Vor allem zu Hause bei Alain tauchten immer neue Gesichter auf. Er kannte wirklich Gott und die Welt, nicht zuletzt durch seine Arbeit als DJ. Die französische Sprache wurde mir immer vertrauter, und bald konnte ich mich verständigen. Alle, die mir begegneten, gaben sich jegliche Mühe, um mir ihre Sprache beizubringen. Wenn sie dieselbe Energie aufgewandt hätten, um Englisch zu lernen, dann wären sie darin bald perfekt gewesen. Auch Alains Familie war eine große Hilfe. Seine Ol’lady und sein dreizehnjähriger Sohn erklärten mir alles. Und dann gab es natürlich noch die Glotze. Fast alle Filme waren synchronisiert.

      Der Sender, für den Alain arbeitete, sollte umstrukturiert werden. Das bedeutete, daß er immer später nach Hause kam. Selbst wenn ich bis spät in die Nacht hinein mit anderen Brüdern auf der Rolle war, war er noch nicht wieder da, wenn ich dann zu Hause erschien. Frau und Kind waren schon längst schlafen gegangen, während ich, der Bewohner des Wohnzimmers, mit einem Nachtjoint wartete. Ansonsten plauderten Alain und ich über die Ereignisse des Tages und alles, was sonst passiert war. Eines Nachts brachte er ein Demoband mit, das ich mir unbedingt anhören mußte. Ich sollte den Namen des Künstlers erraten, und nach zehn Sekunden kannte ich keine Zweifel mehr. Es war John Lennon. Alain lachte und spulte weiter. »Sind das irgendwelche neuentdeckten unveröffentlichten Aufnahmen?« mußte ich fragen.

      »Nein, das ist sein Sohn, Julian. Seine erste LP wird bald veröffentlicht.«

      »Scheint ja auch Zeit zu sein.«

      Alain nickte und stand auf. »Gute Nacht.«

      Ich knipste das Licht aus und fiel in mein Ausziehbett. Die neuen Lennon-Klänge drehte ich leise. Wieviel Zeit verging, ehe ich dann die ersten Geräusche hörte, weiß ich nicht. Die Rollos waren heruntergelassen, und im Zimmer war es stockdunkel. Ich drehte die Anlage aus und hörte zu. Ja, es stimmte schon, jemand machte sich an der Tür zur Terrasse zu schaffen. Was für eine Unverschämtheit! Konnte wirklich jemand blöd genug sein, in eine HA-Wohnung einbrechen zu wollen? Und noch dazu in eine, in der ich auf der Lauer lag! Ich schlich zum Fenster. Bei jedem Öffnungsversuch sah ich Licht, konnte aber keine Stimmen hören. Ich schlich ins andere Ende der Wohnung, um Alain zu wecken. Vorsichtig klopfte ich an seine Schlafzimmertür. Der Hund der Familie drehte einfach durch. »Irgendwer versucht einzubrechen!« Alain sah aus wie jemand, der lieber eine Anlage opfert als seinen Schlaf, aber er kam dann doch mit. Aus einer Schublade nahm er eine Taschenlampe und eine kleine Pistole.

      Wir legten uns auf den Küchenboden und hielten Ausschau. Das Rollo war zerbrochen und konnte deshalb nicht ganz geschlossen werden. Trotzdem hatte der da draußen in der Nacht das Wohnzimmer vorgezogen. Nichts bewegte sich, und so vorsichtig das überhaupt nur möglich war, öffneten wir die Tür. Zuerst kroch Alain unter dem Rollo hindurch. Ich folgte ihm mit der Taschenlampe. Wir schlichen uns auf die Seite und überprüften die benachbarten Terrassen. Nichts. An dem leeren Grundstück, das sich hinter dem ganzen Baukomplex hinzog, konnten wir nichts ändern. Überall standen Büsche und Bäume. Wir bogen um die Ecke, um nachzusehen, ob dort jemand war. Es war wie bei Schulze und Schultze, und es fiel mir schwer, ein ernstes Gesicht zu behalten. Alains nackter Hintern leuchtete vor mir im Mondschein. Keiner von uns hatte Zeit gehabt, sich anzuziehen, und der Anblick Alains, der geduckt und mit gezückter Pistole dahinschlich, war mehr, als ich ertragen konnte.

      »Bist du sicher, daß du nicht zuviel Hasch geraucht hast?«

      »Ganz sicher«, flüsterte ich.

      Unverrichteter Dinge krochen wir wieder ins Haus. Alain ging ins Bett, während ich mich anzog und auf die Lauer legte. Ich weiß, daß du da draußen bist, du Arsch! Die Küchentür war der perfekte Aussichtsposten. Ich hatte klare Sicht nach draußen, war aber aufgrund des Metallrollos von außen her nicht zu sehen. Zehn Minuten, und dann biß der Fisch an. Ein jüngerer Mann mit Zottelhaaren tauchte vom Garten her auf. Ich zog mich langsam zurück, um nicht vom Licht seiner Taschenlampe getroffen zu werden. Diesmal war Alain schneller, und der Hund Django hielt die Klappe. »Ich habe ihn gesehen, zieh dich an.« Der Typ war weg, kam dann aber wieder zum Vorschein. Hinter mir fluchte Alain. Er hatte in der Dunkelheit seine Gummischuhe nicht gefunden und gerade festgestellt, daß er die seines Sohnes erwischt hatte. Der Schleicher verschwand wieder aus unserem Blickfeld, vielleicht fühlte er sich ertappt. Rasch und lautlos schlich ich hinter ihm her. An der Hausecke wurde es eng. Balkon und Zaun aus Maschendraht. Ich sah, wie der Dieb hinüberkletterte, und folgte ihm in angemessener Entfernung. Auf der anderen Seite des Wohnkomplexes schloß Alain sich mir an. Hier lagen noch allerlei Gärten und Terrassen, der Dieb hatte also offenbar noch nicht aufgegeben. Mein Bruder gab mir ein Zeichen, ich sollte am Ende der Gärten warten. Er wollte sie alle durchsuchen. Mit eingezogenem Kopf schlich ich an der Mauer entlang. Die Terrassen lagen anderthalb Meter über dem Straßenniveau und hinter dem Zaun, deshalb konnte ich die Beute nicht sehen. Ich stellte mich in den Schatten und wartete. Bald tauchte der Einbrecher auf. Er schaute nervös in Alains Richtung. Jetzt war Rückzug angesagt. Er tat sein Bestes und landete genau vor mir. Ich packte ihn am Schlafittchen und knallte meine Stirn gegen seine Nase. Nur, um ihm einen kleinen Schock zu versetzen. Er wehrte sich nicht, redete aber drauflos. Auf französisch natürlich, und ich verstand keinen Mucks. Er hielt mich vermutlich für einen Bullen.

      Alain landete neben uns und fing an, den Typen auszufragen. Der Trottel wurde gleich ruhiger, als ihm aufging, daß wir nicht von der Polizei waren, aber die Freude sollte ihm bald vergehen, als Alain ihn zusammenstauchte. Es waren ernsthafte Worte, das konnte ich hören, und ihnen folgten zwei Dröhner unters Auge.

      Danach ging ich mit einem spuckenden und würgenden Alain zurück in die Wohnung. Am Vortag hatte sein Sohn ihm ein Kaugummi geschenkt. Das hatte er auf die Kommode im Flur gelegt und dann vergessen. Aber als er sich an die Verfolgung des Diebes gemacht hatte, hatte er es in den Mund gestopft. Was ja nicht weiter schlimm gewesen wäre, aber es war ein Scherz-Kaugummi mit Pfeffer. »Versuch du mal, mit diesem Dreck im Mund ernst zu bleiben«, lachte Alain. Er war überaus zufrieden. Der Wohnkomplex hatte schon seit einiger Zeit mit Einbrüchen Ärger, und eben »unser« Dieb hatte unter Verdacht gestanden. Er wohnte selbst dort, und Alain hatte ihm klargemacht, daß er besser umzog, falls noch ein einziger Einbruch passierte.

      Los ging’s. Fünfzehn Bikes, gefolgt von zwei Autos. Wir machten einen Herbstausflug nach Nordfrankreich. Das Lager lag an einem Fluß, mitten in einem Wäldchen. Es war wirklich Indian Summer, und Shorts und Gänsehaut waren angesagt. Wir wärmten uns mit dem üblichen Pastis auf – einem Anislikör mit Eiswasser – und machten uns dann über die Steaks her. Wenn die Franzosen etwas konnten, dann kochen und fressen. Paté und frische Baguettes als Appetitanreger, danach ein reichhaltiger Salat, auf den das Hauptgericht folgte. Danach wieder Baguettes, diesmal zu einer Käseplatte. Und zum Abschluß jede Menge Melonen und andere Früchte. Selbst an Werktagen gab es niemals weniger als drei Gänge. »Was ist das für Fleisch?« fragte ich, nachdem ich einen nicht geringen Teil des vor mir liegenden Steaks verzehrt hatte. Hunger und Pastis hatten mich in einem unachtsamen Moment den sehr eigenen Geschmack vergessen lassen. Aldo, einer meiner Brüder vom Hells Angels MC Paris schaute mich nachdenklich an, dann deutete er mit den Handflächen auf der Tischplatte einen Galopp an.

      O verdammt! Ich schob das Steak von mir weg. Der Teufel sollte mich holen, wenn ich freiwillig Pferdefleisch äße. Wenn es ums Essen geht, bin ich zutiefst wählerisch und erzkonservativ. Pferde sind dazu da, geritten, gestreichelt oder angesehen zu werden! Alle lachten sich kringelig, und ich bekam ein neues Steak, von einem Tier, das garantiert niemals gewiehert hatte. Pastis und Rotwein hatten uns schon ziemlich flambiert. Aldo und ich holten uns Korbsessel und setzten uns unter die Pappeln am Fluß. »La Fleche fährt am Montag nach Kopenhagen, zum Prozeß«, erzählte Aldo in seinem breiten Rock-and-Roll-Englisch.

      Seit dem blutigen