sah man Autos mit blockierten Reifen.
Fafa und Robert wohnten dicht beim Forum des Halles. Ganz oben, in zwei Stockwerken mit umwerfendem Ausblick auf Paris. Die Wohnung war riesengroß und elegant eingerichtet. Sie hatten zwei Töchter, die fünfzehnjährige Emanuelle und die siebzehnjährige Isabella. Zwei tolle Mädels, die die Jungs im Hamdumdrehen ins Koma jagen konnten. Während Isabella in Dijon Ferien machte, besetzten Helle und ich ihr Zimmer.
Die Zeit mit meiner Liebsten verging natürlich zu schnell. Abends gingen wir ins Restaurant, tagsüber spielten wir in der Innenstadt Touristen. Vor allem die vielen Warenhäuser wurden für uns ein tägliches Ziel. Wie die meisten in Paris losgelassenen Frauen war Helle in Ekstase. Parfüm, freche Unterwäsche und luxuriöse Oberbekleidung waren unwiderstehlich.
Helle konnte sich kaum daran gewöhnen, daß wir einfach sorglos durch die Stadt schlendern konnten. Polizei war ansonsten mehr als genug vorhanden. Neben den Zivilbullen, die nicht immer leicht zu entdecken waren, wimmelte es nur so von Uniformierten. Sie erinnerten mich an die Comics von Tim und Struppi, und vielleicht konnte ich sie deshalb nicht ernst nehmen. Aber auch Paris hatte seine Unruhe-Polizei. Die lungerte auf den Straßen herum, neben Bussen, die als rollende Wachen fungierten. Vor allem in den Arabervierteln sah man sie schockweise. Sie waren immer mindestens zu fünft. Gewandet in Reitstiefel und blaue Overalls und immer bis an die Zähne bewaffnet mit Maschinenpistole, Revolver und Gummiknüppel.
Ehe Helle nach Hause fuhr, schmiedeten wir Zukunftspläne. Sie war verrückt nach Frankreich und hoffte, daß ich dort bleiben könnte. Zumindest in Südfrankreich, wenn die Großstadt sich als zu gefährlich erwies. Ich erzählte, daß ich früher oder später weiterziehen müßte. Frankreich lag zu dicht an Dänemark, wenn ich ein normales Leben führen und auf freiem Fuß bleiben wollte.
Noch näher an Dänemark lag Deutschland, und hier braute sich eine wilde Auseinandersetzung zwischen der Staatsmacht der BRD und dem Hells Angels MC Hamburg zusammen. Anderthalb Jahre zuvor waren sämtliche Mitglieder, außer denen, die sich gerade in den USA aufhielten, festgenommen und ins Gefängnis gesteckt worden. Die Ermittlungen in Hamburg hatten vorher siebzehn Monate in Anspruch genommen. Über hundert Personen waren in der ganzen Bundesrepublik verhaftet worden, unter ihnen auch viele Familienmitglieder und Ol’ladies. Die meisten waren einen Tag später wieder auf freien Fuß gesetzt worden, anderen war das in den folgenden Monaten passiert. Aber da hatte diese Riesenrazzia in der Bevölkerung schon ihre Spuren hinterlassen.
Jetzt – anderthalb Jahre später – saßen nur die sechzehn Hamburger Mitglieder auf der Anklagebank. Einigen wurden ganz normale Vergehen wie Körperverletzung, Zuhälterei, Erpressung und unbefugter Waffenbesitz zur Last gelegt. Die anderen standen aufgrund von Paragraph 129 des bundesdeutschen Strafgesetzes (dem Terrorismusparagraphen) unter Anklage. Angeblich gehörten sie einer kriminellen Vereinigung an. Keiner hatte ein Gesetz gebrochen, doch sie galten sozusagen als Mitschuldige, da sie Mitglieder des Hells Angels MC Hamburg waren. Einige Monate nach den Massenverhaftungen hatte der bundesdeutsche Innenminister in seinem Frust darüber, daß die Sache nicht weiterkam, den Hells Angels MC Hamburg verboten. Das Verbot wurde von vielen Juristen für unhaltbar befunden, galt jedoch bis auf weiteres. Die Lage war gelinde gesagt grotesk. Es war nicht die Rede von Gesetz und Ordnung, sondern davon, Hamburgs oberstem Polizeichef ein paar politische Punkte zu sichern. Außerdem war der Innenminister zu weit gegangen, und jetzt stand sein Prestige auf dem Spiel. Der Staat wollte um nichts in der Welt sein Gesicht verlieren, und deshalb war ein Riesenzirkus auf die Beine gestellt worden, an dem die bundesdeutsche Presse sich munter beteiligte. Da es um die entsetzlichen HA-Leute ging, war das Gericht für eine Million Kronen umgebaut worden. Kugelsichere Glaswände waren eingezogen worden, obwohl der schwerstwiegende Anklagepunkt der einer Wirtshausschlägerei war.
Aus fast ganz Europa strömten Brüder zusammen, um den Prozeß zu verfolgen, zusammen mit Brüdern vom anderen deutschen HA-Chapter in Stuttgart. Das Innenministerium und die Hamburger Polizei argumentierten, die Motorradfahrerei sei nur eine Tarnung, in deren Schutz die Mitglieder sich ihren kriminellen Aktivitäten widmen könnten. Daß hier unverschämt gelogen wurde, war das eine. Etwas anderes war, daß diese Behauptungen einfach unlogisch waren. Welche kriminelle Organisation würde denn etwas so Auffälliges wie Motorräder und Rückenpatches benutzen? Wenn die Mitglieder des Hells Angels MC Hamburg wirklich auf das große Geld aus gewesen wären, dann hätten sie als erstes natürlich die Bikes und die Westen an den Nagel gehängt.
Ehe der Prozeß richtig in Gang kam, wurde er wieder abgeblasen. Die Behörden hatten sorgfältig Schöffen ausgesucht, die ihnen in den Kram paßten. Die Verteidiger protestierten energisch und konnten die Richter überzeugen. Die Schöffen wurden für befangen erklärt und die Verhandlung wurde ausgesetzt. Das Verbot des Hells Angels MC Hamburg galt bis auf weiteres.
Bis dann«, rief ich hinter Isabella her. Sie drehte sich um und winkte. Roberts Tochter mußte zur Schule, und ich war früh aufgestanden, um ein wenig Kondition in meinen schlaffen Teigleib zu prügeln. Einer meiner Brüder war Europameister im Kickboxen, er leitete eine entsprechende Schule und hatte mich zwei Wochen zuvor zum Training mitgenommen. Ich hatte fast zehn Tage gebraucht, um mich wieder richtig bewegen zu können, und daran mußte ich etwas ändern.
An der Ecke der Rue St. Denis blieb ich stehen, um dem alten Kastanienverkäufer zehn Franc zu geben. Sein Gesicht verzog sich zu etwas, das Ähnlichkeit mit einem Lächeln hatte. Er war blind, erkannte mich aber jedesmal. »Bonjour«, sagte ich und lief weiter in Richtung Boulevard de Sébastopol. Daß irgendwer es über sich brachte, heiße Kastanien zu fressen, war mir ein Rätsel. Ich bezahlte gern, um mir das zu ersparen.
Meine Schulter fand eine Laterne und ich wartete. Der Verkehr war wüst, und ich mußte auf der Hut sein. Ein leichter Nieselregen klärte den Fall, und bald hielt Aldos Karre vor mir. Alain sprang heraus und öffnete die Tür zum Rücksitz. Ich ließ mich hineinfallen, in Paris kam eine Störung des Verkehrs fast einer Todsünde gleich. Wenn ich nicht rechtzeitig auf der Matte stand, gab es an diesem Tag eben kein Training.
Wir waren zu viert, was perfekt paßte. Alain und ich waren noch im Krabbelstadium, während die anderen seit Jahren Lauftraining absolvierten. Ich zog meine Socken hoch und nickte Pierre zu. »Ça va?«
»Ça va bien, et toi?« Pierre grinste mich vielsagend an und zeigte auf meine Socken, in denen ich zweihundert Franc versteckt hatte. »La bib la bab?« Unser Training fand im Bois de Boulogne statt, und wir hielten normalerweise beim Transvestitenstrich. Die meisten waren Brasilianer und hatten gewaltige Lippen. Egal. Ich hatte das Geld nicht mitgebracht, um mir einen blasen zu lassen, sondern als Sicherheitsmaßnahme für den Fall, daß ich von den anderen getrennt würde.
»C’est terrible«, rief Aldo lachend vom Fahrersitz.
Helle und ich telefonierten oft miteinander. Sie benutzte allerlei Telefonzellen in Dänemark. Sie nannte mir die Nummer, und ich rief sie zurück. Per Telefon erfuhr ich, daß die dänische Polizei wußte, wo ich war. Sie kannten meinen genauen Aufenthaltsort nicht, aber irgendwer hatte ihnen gesteckt, daß ich in Paris war. Ich hatte eine klare Vorstellung davon, wer dieser Jemand sein konnte. Als ich mit einem dänischen Bruder in der Stadt unterwegs gewesen war, hatte ich das Gefühl gehabt, von einem Kellner in einem arabischen Restaurant erkannt worden zu sein. Stig Jensen, der Kriminalredakteur vom Ekstra Bladet, hatte meinen Brüdern erzählt, daß ein Ehepaar versucht hatte, meinen Aufenthaltsort an seine Zeitung zu verkaufen. Die Zeitung hatte das Angebot abgelehnt, worauf das Ehepaar zur Polizei gegangen war. Die Verwandtschaft und ich diskutierten über diese neuen Informationen und handelten entsprechend. Raus aus Paris und sich bedeckt halten.
Mein neuer Aufenthaltsort war abgelegen und weit von Paris entfernt. Umgeben von Wald und Kanälen auf allen Seiten und deshalb nicht leicht zu erreichen. Ich sollte in einer Hütte wohnen – oder genauer gesagt in einem Schuppen mit papierdünnen Wänden. Auf einer Lichtung standen zwei Hütten. Eine zum Wohnen und eine zum Kochen. Das Klo stand dreißig Meter weiter an einem Hang, der einzige Wasserhahn der Umgebung war ebenso weit entfernt. Es gab Strom, ganz fehlte es also nicht an Zivilisation.
Ich sog zufrieden die frische Landluft in mich ein. In Frankreich war es noch immer heiß, und so ein kleiner Aufenthalt im Wald war nicht das Schlechteste. Meine Brüder hatten