Johannes Roller

Sonnenfarben


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was heißt das nun? Können sie die Krankheit behandeln? Wird Tobi wieder gesund?«

      Seit vier Jahren begleitet uns diese Sorge. Die quälende Angst, dass Tobias, unser liebenswerter, kluger, tapferer Sohn, sterben könnte. Keiner wusste bisher mit Sicherheit, woran er leidet. Die Kinderärzte, die uns seit seiner Geburt im Mai 2009 begleiten, tun zwar alles in ihrer Macht Stehende, um zu helfen, aber auch ihre Möglichkeiten sind begrenzt. Ohne Wissen um Tobis Krankheit bleiben nur Versuche, Rätselraten, Ausprobieren. Manchmal hilft es, manchmal nicht. Vier Jahre des Wartens und Bangens. Tobi ist jetzt viereinhalb.

      Wir haben viel gelernt in dieser Zeit. Über uns, über Hoffnung und Angst, Ohnmacht und Kraft. Und über Gott. Bevor Tobis Krankheit begann, hätte ich mir nicht ausmalen können, was Gott uns zumuten würde. Als das Leben unseres Sohnes am seidenen Faden hing, hätte ich mir nicht träumen lassen, mit wie viel Glück und Kraft Gott uns selbst in den schwersten Stunden beschenken würde.

      Nun gibt es die Hoffnung, dass der unbekannte Feind in Tobis Körper einen Namen bekommt. Vielleicht sogar Hoffnung auf ein Leben ohne Krankheit, ein normales, gesundes Leben. Ich schaue Elisabeth an. »Montag um 11.30 Uhr haben wir einen Termin mit Tobis Arzt. Dann wissen wir endlich mehr.«

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      Teil 1 - Befiehl dem Herrn deine Wege

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      Perfekter Beginn und wachsende Sorgen

      Als ich mich an diesem Tag schlafen lege, kreisen meine Gedanken noch lange. Der Anruf der Klinik hat mich aufgewühlt, das merke ich jetzt, wo ich zur Ruhe komme, ganz besonders. Neben mir höre ich Tobis unruhige Atemzüge, manchmal ein Röcheln oder Husten. Elisabeth und ich haben uns seit Jahren so eingerichtet: Sie schläft im Kinderzimmer bei den Mädchen, ich mit Tobi im Elternschlafzimmer. Das Elternschlafzimmer, das eigentlich keines mehr ist. Die Nächte teilen die Familie fast genauso wie die unzähligen Krankenhausaufenthalte, bei denen immer einer von uns bei Tobi und der andere zu Hause oder arbeiten ist.

      Ein lautes Piepen reißt mich aus meinen Gedanken. Der Schlauch, über den Nahrung in Tobis Magen gepumpt wird, ist bei einer seiner Bewegungen im Schlaf abgeknickt. Während ich ihn richte und die Pumpe ihren Dienst wieder aufnimmt, lächelt Tobi mich schlaftrunken an. Der schrille Ton hat auch ihn kurz aus dem Schlaf gerissen und bei seinem müden Strahlen wird mir warm ums Herz. Ich streiche meinem Sohn übers Haar und sehe ihm zu, wie er gleich darauf schon wieder fest eingeschlafen ist. Bei seinem Anblick denke ich spontan an den Tag seiner Geburt zurück. Damals schien eigentlich alles perfekt.

      Elisabeth und ich wollten viele Kinder, am liebsten vier oder fünf. Meine Mutter wohnte gleich nebenan, zwei meiner Geschwister mit ihren Familien direkt in der Nachbarschaft. Wir hatten immer schon ein gutes Verhältnis und verbrachten viel Zeit miteinander. Als wir damals die Gelegenheit bekommen hatten, in Tübingen das Haus direkt neben meinem Elternhaus zu kaufen, mussten wir nicht lange überlegen. Es schien die Bestätigung zu sein, dass unsere Träume wahr würden. Meine Arbeitsstelle war auch nicht weit entfernt, sodass ich jeden Mittag zu Hause sein konnte – die Vorbedingungen für eine fröhliche Großfamilie konnten besser nicht sein. Als nacheinander unsere Töchter Henriette und Charlotte geboren wurden, waren wir selig. Das Geschlecht unserer Kinder war uns eigentlich egal und wir ließen uns jedes Mal überraschen. Doch als dann Tobi auf die Welt kam und wir nun zwei Töchter und einen Sohn hatten, war unser Glück vollkommen. Wir waren Gott so dankbar, dass er uns mit drei gesunden Kindern gesegnet hatte.

      Elisabeth hatte eine gute Schwangerschaft ohne Komplikationen, die Geburt war einfach. »Schauen Sie mal, der lacht ja schon richtig! Das ist sehr selten bei Neugeborenen«, meinte die Hebamme überrascht, als sie Elisabeth den kleinen Tobias in den Arm legte. Schon da zeichnete sich ab, dass unser Sohn eine besondere Art haben würde. Beim Apgar-Test, der direkt nach der Geburt bei allen Kindern durchgeführt wird, erreichte Tobi zehn von zehn Punkten, er schien ein normales, gesundes Baby zu sein. Das war am 23. Mai 2009.

      Als Elisabeth mit Tobi nach Hause durfte, begannen glückliche Wochen für uns. Wir entschieden uns für einen Taufvers aus den Psalmen: »Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen« (Psalm 37,5, LUT). Uns war klar: Egal, was die Zukunft bringt – Gott geht den Weg mit uns und führt unser Leben zu einem guten Ziel. Bei der Taufe bekam Tobi, wie unsere Mädchen auch, drei Taufpaten zur Seite gestellt, die ganz besonders für ihn da sein sollten. Es war ein Freudenfest.

      Unser junges Familienglück konnte auch durch einige kleinere Schwierigkeiten nicht getrübt werden. Tobi hatte beispielsweise von Anfang an Schwierigkeiten mit dem Trinken. Elisabeth und die Hebamme, die täglich zu uns kam, versuchten alles, aber nichts schien wirklich zu helfen. Schließlich fanden wir heraus, dass Tobis Zungenbändchen zu weit vorne saß und er seine Zunge nicht weit genug herausstrecken konnte. Durch eine kleine Operation ließ sich das glücklicherweise beheben und Tobi konnte bald darauf ganz normal trinken. Auch die Bronchitis, die unser Sohn schon mit zwei Wochen bekam, war erst einmal kein Grund zur Besorgnis. Unser Kinderarzt Dr. Armann untersuchte Tobi und erklärte uns, dass eine Bronchitis bei Babys immer wieder einmal vorkommen könne. Unser Sohn bekam Medikamente und wir gingen erleichtert nach Hause.

      Bald jedoch mehrten sich die Anzeichen, dass etwas nicht stimmte. Wir hatten schon die Mädchen häufig mit dem Kinderwagen auf den Balkon geschoben, damit sie an der frischen Luft waren. Mit Tobi machten wir es genauso. Doch während das Draußenstehen den Mädchen gutgetan hatte, schrie Tobi wie am Spieß. Wir waren ratlos. Als Elisabeth ihn aus dem Wagen nahm, erschrak sie richtig. »Tobi ist ja komplett nassgeschwitzt!« Da es ab und an noch etwas kühl war, hatten wir ihn wärmer angezogen. Trotzdem war er nicht so dick eingepackt, dass es solch eine Überhitzung erklärt hätte. Elisabeth zog unseren Sohn etwas dünner an, aber kurze Zeit später schrie er wieder. Wir wussten nicht weiter. Egal, was wir taten, Tobi schrie.

      Als Elisabeth ihn wieder auf den Arm nahm, rief sie mich zu sich. »Schau mal, Johannes. Findest du nicht auch, dass Tobi schwer atmet?« Es stimmte, er schien die Luft einzuziehen wie jemand, der eine weite Strecke gerannt war. Unser Kinderarzt, den wir schnellstmöglich aufsuchten, stellte fest, dass Tobis Lunge verschleimt war, was sowohl das Schreien als auch das Schwitzen erklärte. Wir bekamen Medikamente mit nach Hause.

      Von da an betrachteten wir unseren Jüngsten mit wachsender Besorgnis. Wir entdeckten immer häufiger Anzeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung war. Tobi nahm nicht richtig an Gewicht zu, seine Haut wirkte fahl und ungesund. Im Sommer dann der nächste Schreck: Unser Sohn wollte nicht mehr essen. Elisabeth hatte angefangen Brei zuzufüttern, da sie nicht mehr genügend Milch hatte. Am Anfang klappte das auch ganz gut. Aber plötzlich weigerte sich Tobi, auch nur einen Bissen zu schlucken. Wieder saßen wir beim Kinderarzt. Inzwischen waren wir fast jeden Tag dort, aber trotz intensiver Untersuchungen war völlig unklar, worunter unser Sohn litt.

      Im Oktober erreichte mich ein Anruf von unserem Kinderarzt. Es war ein wundervoller, sonniger Herbsttag und ich war gerade dabei, das Dach unserer Garage zu reparieren. Es war undicht und in diesem Zuge wollte ich es gleich aufstocken, um zusätzlichen Platz zu schaffen. Ich wollte schließlich eine Großfamilie, und der zusätzliche Raum, den uns beispielsweise ein weiterer Dachboden bringen würde, war sehr willkommen. Als ich gerade einen der Balken zurechtgesägt hatte, klingelte mein Mobiltelefon. Ich nahm den Anruf an. Es war Dr. Armann.

      »Herr Roller –« Er stockte. »Herr Roller, ich muss Ihnen etwas Trauriges mitteilen. Wir vermuten, dass Ihr Sohn an Mukoviszidose leidet.« Mein Magen krampfte sich zusammen, meine Knie wurden weich. Ich musste mich an einem Querbalken festhalten. »Ist das – ist das sicher?«, krächzte ich.

      »Sicher