kamen. Tobi wurde richtig lebhaft, wenn die beiden geschminkten Clowns vor seinem Bett standen. Sie schnitten Grimassen und machten Musik mit Mundharmonika und Gitarre, sie zogen Tücher, Bälle und sogar kleine Tierfiguren aus ihren unzähligen Taschen und sie pusteten bunte Luftballons auf, die sie den kranken Kindern schenkten. Tobias gluckste fröhlich. Er begann, immer strahlender zu lachen und freute sich einfach nur. Er ließ sie sogar einmal sein Fläschchen halten, aus dem er trank.
Später erfuhr ich, dass die Clowns sonst selten so engen Kontakt mit Kleinkindern hatten, da diese manchmal Angst bekamen. Deswegen behielten sie sie bei all ihren Späßen immer genau im Auge. Doch Tobi wirkte so fröhlich und unbeschwert, dass sie es versuchten. Immer wieder griff er nach ihnen und lachte. Diese Minuten waren wie eine Auszeit von meinem sorgengeplagten Alltag.
Es sollte noch einige Wochen dauern, bis Tobias entlassen werden konnte. Er sah zwar sehr schlecht aus, doch es ging ihm besser als vor dem Krankenhausaufenthalt. Zumindest für eine Weile. Unser Glück währte allerdings nicht lange, denn bald verschlechterte sich sein Gesundheitszustand wieder und er musste erneut in die Klinik. Wieder vergingen Wochen. Doch ein Personalwechsel in der Immunologie erschwerte die Behandlung und die Ärzte kamen bei seinen unklaren Symptomen nicht wirklich weiter.
Während all der Zeit standen wir mit Tobis Kinderarzt in Kontakt. Er fragte immer wieder nach unserem Sohn und besprach sich regelmäßig mit den Ärzten im Krankenhaus. Er war es dann auch, durch den wir von der Klinik in München erfuhren. Die dortige Immunologie hatte einen sehr guten Ruf und Dr. Armann organisierte Tobis Transfer nach Bayern.
Lichtblicke und dunkle Stunden
Ich fuhr zusammen mit Tobias nach München. Elisabeth blieb mit unseren Mädchen zu Hause. Es war schwer genug für die beiden, dass ein Elternteil immer bei Tobi im Krankenhaus war. Sie sollten nicht auf beide Eltern verzichten müssen. Wenn Elisabeth einmal wegmusste, konnten die Mädchen glücklicherweise bei ihrer Oma bleiben, an der sie sehr hingen. Oma Elisabeth hatte selbst fünf Kinder großgezogen und zu diesem Zeitpunkt bereits 24 Enkel – Hetty und Lotte hätten also nicht besser versorgt sein können. Trotzdem war es nicht einfach, dass die Familie nun länger getrennt sein sollte.
In München angekommen, empfing mich Professor Belohradsky sehr schnell. Nachdem er mich begrüßt hatte, nahm ich ihm gegenüber Platz. »Wissen Sie«, begann er das Gespräch, »in einem Fall wie dem Ihres Sohnes ist das Gebet das Wichtigste.«
Ich sah ihn überrascht an. »Gebet ist für uns sehr wichtig«, sagte ich.
Er lächelte mir aufmunternd zu. Was für ein Geschenk, dass Tobis Ärzte beide gläubige Menschen sind, dachte ich in diesem Moment, denn auch Dr. Armann hatte uns bereits versichert, dass er für uns betete. Zwei Männer, die mit uns um Tobis Leben kämpften – und die wussten, dass sie es nicht allein in der Hand hatten, was passierte, dass es jemanden gab, der größer ist als wir. Jemand, der es gutmachen konnte.
Ich fühlte mich bei Professor Belohradsky sofort gut aufgehoben. Er nahm sich Zeit für mich und meine Fragen und Sorgen. Unser Kinderarzt hatte ihm bereits die Krankenakte sowie alle weiteren nötigen Unterlagen zukommen lassen, trotzdem ließ er sich von mir noch einmal alles berichten, was seit der Geburt unseres Jüngsten passiert war. Dabei machte er sich sorgfältig Notizen. Anschließend fasste er zusammen, was er aus Tobis Akten und von den Ärzten erfahren hatte, bei denen unser Sohn bisher in Behandlung war. Dann erklärte er mir seine Vermutung und die weitere Vorgehensweise.
»Herr Roller, wir werden ein Expertenteam bilden, dem Ärzte aus verschiedenen Fachbereichen angehören. Ich selbst werde die Leitung übernehmen. Wir werden uns regelmäßig über den Verlauf von Tobias’ Krankheit und die Untersuchungsergebnisse austauschen und über die Behandlungsmöglichkeiten beraten. Ich will allerdings ganz ehrlich zu Ihnen sein«, sagte er und sah mich ernst an. »Der Fall Ihres Sohnes ist sehr kompliziert. Ich kann Ihnen nichts versprechen. Wir werden unser Möglichstes tun, aber der Ausgang ist ungewiss.«
Das laute Piepen der Ernährungspumpe holt mich unerwartet wieder aus meinen Erinnerungen in die Gegenwart. Schnell gehe ich die wenigen Schritte vom Schlafzimmerfenster zum Bett. Ich richte den abgeknickten Schlauch. Tobi wacht dabei auf.
»Bist du nicht müde, Papa?«, murmelt er leise.
»Doch, Tobi-Schatz, ich bin auch müde.« Ich lächle ihn liebevoll an.
»Dann musst du dich aber hinlegen. Du kannst ja nicht im Stehen schlafen!«, grinst Tobi schelmisch und ein wenig wacher. Ich muss lachen und lege mich neben ihn. Tobi kuschelt sich an mich. Ich küsse ihn auf den Kopf und streiche ihm übers Haar.
»Siehst du, Papa, wenn ich mit dir kuschle, kannst du viel besser schlafen«, sagt Tobi überzeugt. Während er wieder einschläft, hält er meine Hand. Meine Erinnerungen kehren zurück zu unserer ersten Zeit in der Münchner Klinik. Schon damals waren wir immer an seiner Seite. Und bereits in dieser frühen Zeit seiner Kindheit wurde schnell klar, dass unser Junge ein echter Kämpfer war, der nicht einfach aufgeben würde.
Nach meinem Gespräch mit dem Münchner Professor rief ich Elisabeth an und erzählte ihr alles. Wir entschieden, dass immer einer von uns für zwei Wochen bei Tobias bleiben würde. Ich würde die ersten beiden Wochen in München sein, dann würden wir tauschen. Und auch wenn der Ausgang, wie Professor Belohradsky sagte, ungewiss war, gab es immer wieder kleine Lichtblicke. In der ersten Woche meinte einer der Ärzte, nachdem er zu einer Behandlung in Tobis Zimmer war: »Man sieht einem Kind an, ob es eine Chance hat, zu überleben. Einige der Kleinen wirken müde und kraftlos. Aber Ihr Tobias ist ein kleiner Kämpfer. Wenn es einer schafft, dann er!« Und Tobias war wirklich ein Kämpfertyp. Er hielt sich mit aller Kraft an seinem kleinen Leben fest. Trotz seines Alters schien er jetzt schon das Beste aus den Momenten zu machen, in denen es ihm einigermaßen gut ging.
Das Blutabnehmen war ein perfektes Beispiel dafür. Wie schon in Tübingen musste bei ihm auch in München täglich Blut abgenommen werden. Seine kleinen Venen waren sowieso schon stark in Mitleidenschaft gezogen worden und die neue Belastung machte es nicht besser. Täglich dauerte die Prozedur länger. Man merkte Tobi an, dass er dabei Schmerzen hatte, denn er schrie meistens wie am Spieß. Mir zerriss es jedes Mal das Herz. Ich konnte nichts tun, als ihm beruhigend über den Kopf zu streichen.
An einem Tag versuchten die Ärzte eine halbe Stunde lang, genügend Blut aus seinem kleinen Körper zu bekommen, damit alle nötigen Tests vorgenommen werden konnten. Ich wünschte mir so sehr, dass mein Junge diese Quälerei nicht mehr durchmachen müsste. Nach dieser schier endlosen halben Stunde war Tobi feuerrot im Gesicht und so erschöpft, dass er sich kaum noch bewegen konnte. Doch sobald die Kanüle gezogen und der Stich versorgt war, beruhigte er sich und begann, die Ärzte anzulächeln. Denen merkte man an, dass es auch für sie eine besondere Situation war. Tobis Lächeln war wie ein Sonnenstrahl, in dessen Licht die Anspannung, das Mitleid und die Erschöpfung schwanden. Und er brachte Sonnenschein auf die Station, über der trotz aller ärztlichen Erfolge doch immer eine ernste Atmosphäre lag.
Die Tage auf der Station waren lang. Tobias lag in einem Isolierzimmer am Ende des Flures, um ihn vor Infektionen zu schützen. Das einzige kleine Fenster im Zimmer war mit einem Fliegengitter aus Metall verschlossen, durch das man eigentlich nichts sah. So kamen zwar keine Insekten herein, für Elisabeth und mich bedeutete das allerdings auch, nicht einmal aus dem Fenster schauen zu können. Derjenige von uns, der gerade im Krankenhaus bei Tobi war, verbrachte den Tag sitzend oder stehend an seinem Bett. Da unser elf Monate alter Sohn sich noch nicht selbst helfen konnte, versuchten wir, ihm die Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Wenn er wach war, sprachen wir mit ihm oder streichelten ihm über den Kopf. Dann strahlte er uns unter seinen langen Wimpern an und lächelte. Gerade in diesen gleichförmigen und tristen Tagen war das wie ein Energieschub für uns.
Das Essen war leider eines der größeren Probleme, da Tobi nicht viel bei sich behielt. Deshalb