Patricia Vandenberg

Familie Dr. Norden Box 1 – Arztroman


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der Behnisch-Klinik war sie schnell durchschaut worden, wenn man ihr den Betrug auch nicht nachweisen konnte, den sie mit Namen und Dokumenten begangen hatte. Professor Schwerdt hatte für sie gebürgt.

      Jetzt wußten sie es besser, waren bestürzt, aber gleichzeitig auch erleichtert, von ihr befreit zu sein.

      Fee klappte die Mappe zu und widmete sich den Bewerbungen, die Jenny ihr anvertraut hatte, um ihre Meinung zu hören. Eine fand gleich Gnade vor ihren Augen. Das Foto zeigte ein ernstes Gesicht, von ein paar Narben gezeichnet. Sein Name war Torsten Werling. Er war sechsunddreißig Jahre und hatte bereits vor neun Jahren seinen Doktor gemacht. Er war durch einen schweren Unfall, bei dem er seine Frau und seine Tochter vor vier Jahren verloren hatte, nicht mehr fähig gewesen, seinen Beruf auszuüben und suchte jetzt wieder einen Weg, Anschluß zu finden.

      Aus diesen Gründen wäre er doppelt dankbar, wenn ihm eine Chance gegeben würde.

      Fee überlegte nicht mehr lange, sie rief Jenny an und sagte ihr, auf wen ihre Entscheidung gefallen war.

      »Man kann es ja versuchen«, meinte Jenny. »Ich möchte nur nicht, daß du meinst, daß mein Mitgefühl ausschlaggebend sei. Ich kann mich nämlich an diesen schrecklichen Unfall erinnern, weil einer der Beteiligten bei uns eingeliefert wurde. Es stellte sich heraus, daß er der eigentlich Schuldige war. Ich werde den Kollegen zu einem Gespräch bitten. Vielleicht könntest du dabeisein, Fee.«

      »Selbstverständlich, du brauchst mir nur den Termin zu nennen.«

      »Ich sage dir gleich Bescheid. Habt ihr schon etwas über die Melvin gehört?«

      »Nein, sie ist verschollen, aber Gambill weiß anscheinend auch nichts über ihren Verbleib.«

      Fee bekam allerdings am Nachmittag einen Anruf von Maxi. Bei ihr hatte sich Gambill gemeldet und angekündigt, daß er Patrick sehen wolle.

      »Was soll ich nur machen?« fragte Maxi verzweifelt.

      »Haben Sie mit ihm gesprochen, Maxi?«

      »Nein, Muni war am Telefon. Sie hat gesagt, daß wir nicht im Haus sind.«

      »Dann fahren Sie schnellstens mit Patrick weg.«

      »Aber wohin?«

      »Zur Insel der Hoffnung, da kommt er nicht an Sie heran. Ich rufe meinen Vater an.«

      »Aber dann muß Muni das allein ausbaden.«

      »Sie wird sich ihm gewachsen zeigen, wie ich sie kenne, und sie braucht ihm nicht die Tür zu öffnen.«

      Patrick war ein hellwaches Kind, aber er war eben doch noch ein kleiner Junge, der nicht begriff, wie ihm geschah, als Maxi einen Koffer im Auto verstaute und er seiner Muni auf Wiedersehen sagen mußte.

      »Ich will aber bei dir bleiben, Muni«, flehte er.

      »Du kommst ja bald wieder«, erwiderte sie tapfer und nickte ihrer Tochter aufmunternd zu.

      Sie stand noch minutenlang am Zaun und schaute, ob nicht ein anderer Wagen dem blauen Cabrio folgte. Sie konnte nichts Auffälliges beobachten.

      »Warum fahren wir weg, Mami?« fragte Patrick. »Ist es wegen Dad?«

      Maxi überlegte, daß es besser sei, dem Jungen die Wahrheit zu sagen. Er würde weiter fragen und begriff schon, daß sich so manches in seinem jungen Leben geändert hatte. Sein Vater hatte sich bisher nicht viel um ihm gekümmert, und so sehr sich Maxi auch bemüht hatte, alles von ihm fernzuhalten, was sein kindliches Gemüt verletzen konnte, war es ihm nicht entgangen, daß seine Mami Kummer hatte.

      »Ich will aber nicht wieder nach England«, sagte er trotzig.

      »Wir fahren zur Insel der Hoffnung, da ist es sehr schön.«

      »Es klingt auch schön«, stellte er fest. »Aber Muni will, daß wir bald wieder zu ihr kommen.«

      »Das werden wir auch, wenn endlich alles in Ordnung kommt. Du willst doch nicht, daß er dich von uns wegholt, Patty.«

      »Will er das?« fragte der Junge entsetzt. »Das darf er doch nicht. Du hast gesagt, daß ich immer bei dir bleiben darf.«

      »Daran wird sich auch nichts ändern. Ich weiß nur nicht, was er vorhat, und ob ihm nicht jemand hilft, dich mitzunehmen.«

      »Ich gehe doch mit niemand mit, Mami, aber wenn du meinst, daß er uns nicht findet auf der Insel der Hoffnung, dann bleiben wir dort, bis er wieder fort ist. Er wird doch aber Muni nichts tun?« fragte er besorgt.

      Unwillkürlich mußte Maxi daran denken, wie gut das Verhältnis zwischen ihrer Mutter und Ray damals gewesen zu sein schien. Er hatte sich wirklich von seiner allerbesten Seite gezeigt. Es war ihr unerklärlich, was ihn so völlig verändert haben könnte. War das Testament seines Vaters daran schuld, in dem Patrick zum Alleinerben bestimmt wurde, aber was hatte den alten Herrn dazu bewogen? War es der frühe Tod seines zweiten Sohnes gewesen, den Maxi gar nicht kennengelernt hatte, daß er seine ganze Hoffnung auf seinen einzigen Enkel setzte? Womit Ray sein Geld verdiente, hatte Maxi eigentlich nie durchschaut, aber es hatte nie an Geld gemangelt.

      Maxi ermahnte sich, sich besser zu konzentrieren, als sie merkte, daß sie die richtige Ausfahrt verpaßt hatte. Und Reminiszenzen sollte sie sich besser nicht hingeben. Es versetzte ihr immer wieder schmerzhafte Stiche, daß sie soviel Gefühl in diese Ehe investiert hatte, daß ihre erste und einzige Liebe so maßlos enttäuscht worden war. Sie war noch lange nicht darüber hinweg.

      Jetzt war sie mit ihren Gedanken wieder in der Gegenwart. »Wir sind bald am Ziel, Patty«, erklärte sie ihrem Sohn, und dann sah sie schon das Schild ›Insel der Hoffnung‹.

      Sie wurden von Johannes und Anne Cornelius herzlich empfangen. Von Fee hatten sie inzwischen schon erfahren, welche Sorgen Maxi mitbrachte, aber Patrick war hellauf begeistert, als sie von Anne durch den herrlichen Park zu einem der hübschen Häuschen geführt wurden, das für die nächste Zeit ihr Domizil sein sollte.

      »Ganz für uns allein?« fragte er atemlos.

      »Ganz für euch«, bestätigte Anne, »aber wir hoffen doch, daß ihr uns beim Essen Gesellschaft leistet.«

      »Mit vielen Leuten?« fragte er ängstlich.

      »Nein, nur mit uns.«

      »Das ist okay, ich mag nur fremde Leute nicht.«

      Anne sah Maxi forschend an. »Ich war wohl zuviel mit ihm allein«, sagte Maxi entschuldigend.

      »Das ergab sich wohl aus der Situation«, meinte Anne verständnisvoll.

      Patrick war schon ganz zutraulich geworden, und beim gemeinsamen Essen erkundigte er sich auch, wieviel Leute denn noch hier wären. Er meinte, daß er nur ein paar davon gesehen hätte.

      »Sind die andern sehr krank?« fragte er.

      »Nur ein paar von ihnen. Sie können nicht laufen, sie müssen im Rollstuhl gefahren werden.«

      »Das ist traurig. Kannst du sie gesund machen, Doc?«

      »Wir können ihren Zustand bessern, und manchmal werden sie auch ganz geheilt«, erklärte Hannes Cornelius.

      »Das finde ich sehr schön. Hier kann man auch gesund werden«, stellte Patrick fest. »Mami ist schon nicht mehr so blaß.«

      Sie muß bildschön gewesen sein, dachte Anne, hoffentlich kann sie sich mal wieder des Lebens freuen.

      In dieser Nacht schlief Maxi jedenfalls zum ersten Mal seit langer Zeit wieder, ohne von Alpträumen gequält zu werden, bis in den lichten Morgen hinein. Als sie erwachte, stand Patrick an ihrem Bett und betrachtete sie tiefsinnig.

      »Du hast nicht gemerkt, wie ich dich gekitzelt habe«, sagte er kichernd.

      »Ich dachte, es wäre eine Fliege«, meinte sie.

      »Hier gibt es keine Fliegen, die Sonne scheint, und ich habe Hunger.«

      »Dem kann doch sicher abgeholfen werden«, sagte Maxi lächelnd.