Ernst von Waldenfels
Nikolai Roerich
Kunst, Macht und Okkultismus
Biografie
Saga
Nikolai Roerich
German
© 2011 Ernst von Waldenfels
Alle Rechte der deutschen Ausgabe © Osburg Verlag Hamburg 2009 www.osburg-verlag.de. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711449530
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Für meine Eltern
Anstelle eines Vorworts:
Das Tagebuch des Dr. Rjabinin
Ich fand das Buch in Ulan Bator, der Hauptstadt der Mongolei, an einem kalten Herbstabend 2004. Es lag unter einem Stapel von Büchern in einem kleinen Antiquariat, das hauptsächlich russische Bücher im Angebot hatte. Es war die alte Intelligenz aus sozialistischen Zeiten, die hier aus Not ihre Schätze verkaufte. Wissenschaftliche Abhandlungen über Archäologie, Geografie und Kunstgeschichte, die nun niemanden mehr zu interessieren schienen, und eben dieses Buch.
Sein Titel war »Tibet – Enthüllt« und erschienen war es 1996 bei »Amrita-Ural«, einem Verlag irgendwo in der russischen Provinz. Das Buch sah ungewöhnlich aus. Es war solide gebunden und hatte einen festen blauen Umschlag. Der Titel war zwar in kyrillischer Schrift gesetzt, aber der Stil der Buchstaben erinnerte an Sanskrit oder das, was der Layouter für Tibetisch gehalten haben muss. Das Buch war umfangreich, über sechshundert Seiten, hatte beinahe DIN-A4-Format, enthielt Fotos und Zeichnungen und war ungewöhnlich liebevoll gedruckt. Auch das Papier verriet, dass die Herausgeber weder Mühe noch Kosten gescheut hatten. Während sonst im Russland der chaotischen neunziger Jahre Bücher gewöhnlich auf Zeitungspapier gedruckt wurden, hatte man hier schweres und völlig weißes Papier gewählt.
Die Herausgeber mussten vermögend oder selbstlose Enthusiasten sein, denn das Buch war wohl keines von der Sorte, das sich zu Zeiten Jelzins in Russland gut verkaufen ließ.
Es war weder ein Kriminalroman, noch wartete es mit angeblichen oder wahren Sensationen auf, die man in den erst seit wenigen Jahren zugänglichen Archiven gefunden hatte.
Der Untertitel des Buches lautete: »Die Original-Tagebücher der Expedition von N. K. Roerich« und der Autor hieß K.N. Rjabinin. Auf der ersten Druckseite stand die Jahreszahl 1928 und das Motto »Keine Religion übertrifft die Wahrheit und die Weisheit ist ihr Licht«.
Auf der nächsten Seite standen folgende weitere Angaben: »Das Buch enthält die originalen Tagebuchaufzeichnungen von K. N. Rjabinin. Diese Dokumente hätten nie das Licht erblickt und wären zweifellos auf ewig unbekannt geblieben, wären sie nicht 1992 zufällig durch die russischen Diplomaten A. M. Kadakin und B. S. Starostin auf dem Landsitz der Roerichs in Kullu (Indien) entdeckt worden«
Das Buch interessierte mich. Tibet war in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts das unzugänglichste Land der Welt. Die Todesstrafe bedrohte jeden Tibeter, der ohne ausdrückliche Erlaubnis des Dalai Lama Fremde ins Land ließ. Selbst der unermüdliche Sven Hedin hatte es nur geschafft, die Randgebiete zu bereisen, und war nie nach Zentraltibet, nach Lhasa vorgedrungen. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts kann man die Zahl der Expeditionen nach Tibet an zwei Händen abzählen. Ich kannte die berühmten Aufzeichnungen von Alexandra David-Neel und Sven Hedin und sogar die obskuren Notizen eines japanischen Mönches, der 1901 bis nach Lhasa gekommen war. Von der Expedition eines N. K. Roerich hatte ich aber bis dahin noch nie gehört.
Ich erwarb das Buch.
Das Vorwort stammte von B. S. Starostin, einem der beiden Diplomaten, die das Manuskript gefunden hatten. Über Rjabinin stand zu lesen, dieser sei ein talentierter Arzt und Psychologe gewesen und habe sich sowohl für die allermodernste westliche Medizin als auch für östliche Heilkunde interessiert. Etwas mysteriös hieß es weiter, er habe Forschungen im Bereich des menschlichen Geistes betrieben und auf diesem Gebiet erfolgreich experimentiert. Er habe höchsten Hofkreisen nahegestanden und sei der Arzt von Felix Jussupow, des Verwandten des Zaren und Mörders des Wunderheilers Rasputin, gewesen.
Vom Leiter der Expedition, Nikolai Konstantinowitsch Roerich, wurde anscheinend vorausgesetzt, dass dem Leser des Buches seine biografischen Daten bereits bekannt waren. Seine Leistungen als Maler und Denker wurden gepriesen. Es fanden sich dort Sätze wie: »Die kulturelle Hinterlassenschaft Roerichs wird noch lange Zeit von allen Seiten untersucht werden und es ist nicht sicher, dass sie jemals bis ins Letzte verstanden werden wird. Nicht nur weil seine Tätigkeit so umfassend und seine Interessen so vielfältig waren, sondern auch, weil er so tief in den Mikrokosmos des menschlichen Daseins, wie auch den Makrokosmos dessen, was den Menschen umgibt, eingedrungen ist.«
Weiter war in dem Vorwort von einem seltsamen Flugobjekt die Rede, das die Teilnehmer der Expedition beobachtet hätten. Laut der Mongolen und Tibeter unter ihnen hätte dieses Objekt zur »Bruderschaft« gehört, die den Apparat dazu genutzt hätte, mit dem Pantschen Lama in Mukden Kontakt aufzunehmen. Welche Bruderschaft und was für ein Apparat?
Und natürlich war die Frage interessant, wie ein sowjetischer Diplomat, nach Ausbildung zweifellos Marxist-Leninist, überhaupt solche Sätze kommentarlos zitieren konnte.
Dem Vorwort folgte eine Seite mit einigen wenigen, sehr groß gedruckten Sätzen.
Betitelt waren sie mit »Geleitworte der Lehrer des Ostens«. Der Sinn dieser wenigen Sätze war dunkel, die Sprache alttestamentarisch: »Unvergesslich zu wissen, wie die Reisenden im Namen der Errichtung einer neuen Welt vorwärtsschreiten, da die Städte sie mit ihrer Bequemlichkeit verlocken; da kleinliches Streben nach Eigentum die besten Geister gefangen nimmt, haben sie kühn beschlossen, das Silber ihrer Arbeit beizutragen.«
Diesen Sätzen folgte eine Einleitung des Autors, Dr. Rjabinin, selbst. Unter anderem schrieb er: »Einige Seiten des Tagebuchs betreffend die Bruderschaft im Himalaja oder die verbotene Zone von Schambala; über den legendären, aber wahrhaftig existierenden Meteoriten, den man den Schatz der Welt oder Tschintamani nennt, mögen einem Leser, der sich nicht in die Literatur vertieft hat, als Erfindung oder zumindest Aberglauben vorkommen. Ich bitte zu bedenken, dass der Autor des Tagesbuchs die fünfzig bereits überschritten hat und über grundlegende Kenntnisse in der Medizin und den Naturwissenschaften verfügt. Die betreffenden Stellen gründen sich nicht nur auf das, was der Autor gelesen hat, sondern auf Fakten, deren Zeuge er selbst gewesen ist.«
Weiter schrieb Dr. Rjabinin mehrere Seiten über Nikolai Roerich, der im Petersburg der Zarenzeit ein hoch angesehener Künstler mit Zugang zu höchsten Kreisen gewesen war. Er hatte ihn bereits 1898 kennengelernt, wie er schrieb, und die beiden verband ein Interesse an »Experimenten im Bereich des Geistes«, wie es Dr. Rjabinin ausdrückte, ohne Näheres mitzuteilen. Später kam auch noch die Ehefrau Roerichs, Helena, dazu, und »das Verständnis der beiden für mein geistiges Streben war die Grundlage für unsere Nähe. Ich erinnere mich, wie wir damals über die großen geistigen Errungenschaften Indiens sprachen und über die ›Lehrer des Ostens‹. Die Tiefe ihrer Gedanken und Lehre bezeugte die gewaltige Kenntnis des menschlichen Geistes, die sich in den geheimen Zentren der Eingeweihten, vor allem aber in der Bruderschaft des Himalaja, laut uralter Überlieferung angesammelt hatte. Das letztere Zentrum erschien uns immer als Quelle des unübertrefflichen Wissens und der Wahrheit. Den Weg dorthin hofften wir über Indien zu finden.«
Es folgte das Tagebuch selbst, das streckenweise hochspannend war. Die