Ernst von Waldenfels

Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus


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erst das »Skandinavische« an ihm betonen und später das »Asiatische«.9

      Übrigens sind Briefe auf Deutsch von ihm kaum überliefert, so wenig wie sonstige Spuren der Tatsache, dass er Deutsch perfekt beherrschte. Als er nach der Revolution das Angebot bekam, nach Berlin zu gehen, zog er es vor, nach London emigrieren.

      Warum wehrte Nikolai Roerich zeitlebens alles ab, was auf eine deutsche Herkunft des Vaters und damit auch von ihm selbst deutete? Zum einen war es in den letzten Jahrzehnten vor der Revolution keine Empfehlung, ausländischer und gar deutscher Herkunft zu sein. Die späte Zarenzeit war von einem immer schärfer werdenden russischen Nationalismus geprägt. In der Ukraine, in Polen und den baltischen Provinzen des Reiches wurden die örtlichen Sprachen unterdrückt und als Verwaltungssprache nur noch Russisch zugelassen. Der russische Chauvinismus, der mit dem Antisemitismus eine unappetitliche Mischung einging, wurde von den herrschenden Kreisen des Zarenreiches als letztes Mittel gesehen, das Land noch vor der drohenden Revolution zu bewahren.

      Zum anderen kann man darin eine Abwehr all dessen sehen, wofür Nikolai Roerichs Vater stand. In dem wenigen, was sein Sohn über ihn berichten wird, tritt uns Konstantin Roerich als Mann entgegen, der nur Arbeit und nichts als Arbeit kannte. Der uneheliche Sohn eines Dienstmädchens aus dem Baltikum war ein erfolgreicher Notar, bis hin zu Kunden aus Hofkreisen, der aber niemanden an sich heranließ. Nikolai Roerich wird 1937, als er selbst schon über sechzig Jahre alt ist, Folgendes in sein Tagebuch schreiben: »Was wussten wir über den Vater? Es war wenig. [...] Wir hörten von seinen geschäftlichen Angelegenheiten, aber sein Inneres blieb uns verborgen. [...] Vieles wurde nicht ausgesprochen. Wahrscheinlich hatte es Enttäuschungen gegeben. Freunde starben früh, aber neue kamen nicht hinzu. Die besten Träume erfüllten sich nicht. Wenige und vielleicht niemand wusste, woran sein Herz litt.«10

      Am deutlichsten wird das Bild Konstantin Roerichs wenige Monate vor seinem Tod. Hier finden wir die einzigen authentischen, nicht im Nachhinein verfassten Aufzeichnungen über den Vater. Es ist das Jahr 1900, und Nikolai Roerich steht am Anfang seiner Karriere als Maler. Fast jeden Tag schreibt er an seine spätere Frau Helena (»Lada«) und teilt ihr seine Gedanken, Überlegungen, Hoffnungen und Probleme mit. Das größte Problem in seiner Umgebung ist der nunmehr 63 Jahre alte Vater, der immer mehr in geistige Umnachtung versinkt und zeitweise seine Frau und die Kinder wüst beschimpft. Verstörend ist die Isolation des ehemaligen Notars. Weder Verwandte noch Freunde des Vaters werden in den Briefen erwähnt. Nur ein namenlos bleibender Onkel scheint Konstantin Roerich nahe genug gewesen zu sein, um Hilfe leisten zu können. Die Ankunft jenes Onkels wird sehnlichst erwartet. Am 27. Mai lesen wir, der Onkel käme erst am 19. Juni, und »das Schwein kümmert es wenig, wie schlecht es uns geht«.11 Woher dieser Onkel kommen wird, er lebt offensichtlich nicht in Petersburg, geht aus den Briefen nicht hervor.

      Am 19. Juni kommt er tatsächlich an, und Nikolai erfährt beglückt, dass auch er der Meinung ist, der Vater müsse sich einweisen lassen. Doch am 21. Juni schreibt er an Helena: »Bei uns ist es schrecklich! Mit der Einweisung des Vaters klappt es nicht. Wir werden ihn zeitweise hier behalten zusammen mit zwei Aufsehern und einem Arzt. Mama ist dagegen. Es gibt einen Skandal. Der Onkel hätte fast alles hingeworfen und wäre abgereist.«

      Wer ist dieser Onkel, der neben dem mysteriösen Fjodor einzig wirklich greifbare Verwandte Konstantin Roerichs?

      Aus den Briefen erfährt man, dass er über viel Geld verfügt und seichte Operetten liebt, in die er den gelangweilten Nikolai mitnimmt. Der Onkel hat längere Zeit in Paris verbracht, und er berichtet seinem Neffen von Abenteuern aus den dortigen Vergnügungstempeln, dass dieser vor Scham nicht weiß wohin. Das alles hört sich nicht nach einem der weiteren Kinder Friedrich Roerichs, den Halbgeschwistern oder Geschwistern Konstantins an, die kaum das Geld für derartige Vergnügungen hatten. Eher schon nach jemandem aus höheren Kreisen. Den schwerreichen von der Ropps zum Beispiel, die in Kurland und Litauen über dreißig Güter besaßen.

      Schließlich muss der Onkel nicht abreisen, Konstantin Roerich führt sich bei einer ärztlichen Visite derart auf, dass die Einweisung gelingt. Nikolai schreibt an »Lada« (Helena): »Wie Du weißt, stehe ich mit dem Vater nicht so gut, aber trotzdem ist es schrecklich.«12

      Wenig später reist die Mutter Nikolais mit den zwei jüngeren Brüdern in den Kaukasus und lässt Nikolai und den Onkel zurück. Die beiden besuchen den Vater mehrmals im Krankenhaus, wo er Ende Juli stirbt. Zur Beerdigung kommen fast mehr Freunde Nikolais als des Vaters, wie er an »Lada« schreibt. »Offensichtlich ist er ihnen jetzt nicht mehr nütze«, wie sein Sohn kommentiert.13 Und auch seine Ehefrau, die in letzter Minute, gerade noch rechtzeitig zur Beerdigung, aus dem Kaukasus zurückgekommen ist, scheint keine allzu große Trauer zu empfinden, sondern froh zu sein, als alles vorbei ist. Sie liebt keine lutherischen Gottesdienste, wie ihr Sohn berichtet.

      Konstantin Roerich, dessen uneheliche Herkunft von seiner Familie und ihm selbst so sorgfältig verborgen worden ist, dass sie erst vor wenigen Jahren entdeckt wurde, hat man allerdings nicht auf dem lutherischen Friedhof der russischen Hauptstadt, sondern auf einem nur wenige hundert Meter entfernten russisch-orthodoxen Friedhof begraben. Als Epitaph bleibt noch zu vermerken, dass Konstantin Roerich, der Aufsteiger, der anscheinend nur seine Kanzlei kannte, in seiner Freizeit an einem umfangreichen Manuskript gearbeitet hat. Sein Sohn Roerich wird berichten, es sei unleserlich gewesen, seine Frau Helena dagegen wird von einem interessanten Drama berichten. Was auch immer Konstantin Roerich geschrieben hat, es wurde von seiner Frau vernichtet.

      Über die Mutter hat Nikolai Roerich kaum mehr berichtet, unter anderem, dass sie einem alten Kaufmannsgeschlecht entstamme, das sich angeblich bis ins 10. Jahrhundert zurückverfolgen lässt; aber das ist aller Wahrscheinlichkeit nach nur eine weitere Legende. Mit Sicherheit kann man anhand der vorgefundenen Dokumente sagen, Maria Kalaschnikowa kam zwar nicht von ganz unten, aber doch aus relativ einfachen, provinziellen Verhältnissen. Auch nachdem ihr Mann erst ein prominenter Notar und wenig später sogar Gutsbesitzer geworden war, behielt sie ihre alten Gewohnheiten bei. Anders als damals in besseren Kreisen üblich überließ sie nicht den gesamten Haushalt den Bediensteten, sondern war selbst rastlos tätig und zählte regelmäßig, als könnte sie ihren Reichtum immer noch nicht fassen, jedes einzelne Stück Geschirr.14 Ihren Sohn Nikolai nahm sie öfters in ihre Heimat, das Städtchen Ostrow, mit, wo sie Mitbesitzerin eines zweistöckigen Wohnhauses war. Noch im Alter sollte sich Nikolai Roerich an den großen Garten dort und die vielen Beeren erinnern und das Holzschwert, das ihm der Handwerker Iwan Iwanowitsch Tschugunow bastelte, der im Hof seine Werkstätte betrieb. Sehr viel mehr als das hat Nikolai Roerich über seine Mutter später nicht berichtet. Auch ihre Herkunft gab nichts her, was man in besseren Kreisen vorzeigen konnte. Schon früh träumte sich Nikolai Roerich in eine andere Welt und in eine andere Vergangenheit. Der Ort, wo diese Träume geboren wurden, war Iswara, das Gut, das sein Vater 1872, zwei Jahre vor seiner Geburt, erworben hatte.

      Kapitel 3

      Iswara

      »Alles Besondere, alles Schöne und Erinnerungswürdige ist mit den Sommermonaten in Iswara verbunden.«15 Erstaunlicherweise findet man in dem Tagebuch, das Nikolai Roerich in den letzten Jahren vor seinem Tod schrieb, das Landgut kurz vor der heutigen estnischen Grenze sechsmal erwähnt, die eigenen Eltern jedoch jeweils nur ein einziges Mal.16 Hier war der Sehnsuchtsort seiner Kindheit, hier träumte sich Nikolai Roerich, der zuerst als Beschwörer der frühen Rus, als Maler altslawischer Recken, aber auch als Ausgräber bekannt wurde, in eine ganz eigene Welt.

      An einem Märztag machte ich mich dorthin auf. Vom baltischen Bahnhof aus fuhr ein Bus. Zuerst ging es durch die noch engen Straßen des St. Petersburg der Industrialisierung, vorbei an den bröckelnden Fassaden des »Stil Modern«, wie die russische Variante des Jugendstils heißt, eine Strecke, die bis auf die Abgase der vielen Autos auch Nikolai Roerich noch vertraut gewesen wäre. Später verbreiterte sich die Fahrbahn, und zu beiden Seiten tauchten die vielstöckigen Plattenbauten der Breschnewzeit auf. Mit einem Mal waren wir auf dem Land. Im dichten Schneetreiben waren Wälder zu erahnen und immer wieder Datschensiedlungen. Nach gut einer Stunde kam ich in der kleinen Stadt Wolosowo an, wo ich ein Taxi fand, das mich weiter nach Iswara brachte.

      Iswara ist