Ernst von Waldenfels

Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus


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fünf Mal durchgelesen habe und jetzt mit mir herumtrage.«37

      Ein anderes Mal bittet er um Fotos von ihr und fügt hinzu: »Du sollst wissen, ich werde sie jeden Abend und Morgen küssen und sie in den Ecken meines Zimmers aufstellen, um mein Teuerstes, meine liebste Lada, aus allen Richtungen sehen zu können.«38

      Helena stellte ihren Verehrer heftig auf die Probe. Nach Erhalt einer ihrer kälteren Epistel antwortet der sonst so kontrollierte Nikolai, er trage alle ihre Briefe beständig mit sich herum und habe beim Versuch, sie zu ordnen, so heftig weinen müssen, dass es ihm nicht gelungen sei.

      Unablässig versuchte er, sich die Mutter und vor allem die »Fürstinnen«, wie er deren Schwestern nannte, geneigt zu machen. Diese hielten die junge Frau fest im Griff und kontrollierten sogar ihren Briefverkehr. So lesen wir am Ende jedes Briefes nicht nur von den Küssen, die er seiner Lada schenke, sondern auch von denen für ihre Mutter. Was die weibliche Verwandtschaft anging, so erfahren wir aus dem Tagebuch einer Vertrauten Helenas, »der arme Nikolai war damals immer schwer beladen, wenn er zu ihr ging, da er für all die Tanten und Kusinen zehn Schachteln Pralinen mitnehmen musste, damit niemand beleidigt war.«39

      Man kann sicher sein, Helena erwiderte die Gefühle Nikolais ziemlich früh, auch wenn sie seine Gefühlsausbrüche hin und wieder recht kalt quittierte. Einer Vertrauten berichtete sie später, sie habe schon beim zweiten Treffen in die Heirat eingewilligt, aber »ihn um zwei Jahre Zeit gebeten, da die Familie gegen die Heirat mit einem Künstler gewesen sei«.40

      Tatsächlich ging es nicht an, dass ein Künstler unklarer Herkunft – das Roerich’sche »Wappen« wird die »Fürstinnen« kaum sehr beeindruckt haben – in eine so illustre Familie einheiratete. Zumindest Geld und einen »Posten«, ein festes Gehalt, sollte der Bräutigam schon vorweisen können.

      Aus den Briefen an »Lada« erfahren wir, wie Nikolai Roerich von nun an mit allen Mitteln um eben einen solchen Posten intrigierte. Am besten einen mit der Aussicht auf »Rang«, der ersten Stufe der 14-stufigen Beamtenlaufbahn, die ab der vierthöchsten Stufe den erblichen Adelstitel einbrachte. Ausgangspunkt der Bemühungen war die untergeordnete Stelle, die Nikolai Roerich bei der »Kaiserlichen Gesellschaft« bereits innehatte. Im Auge hatte er eine viel bessere bei derselben Institution, nämlich die von Alexandre Benois, der beim Museum der Gesellschaft nicht nur 3000 Rubel im Monat verdiente, sondern auch noch ein kostenloses Atelier zur Verfügung hatte.

      Am 2. Juni des Jahres 1900 schrieb Nikolai an seine Braut, sobald sein »Feind« (sic!), aus dem Weg sei, werde er bei der Großfürstin – einer Verwandten des Zaren und Schirmherrin der Gesellschaft – gut Wetter machen und dann werde es seiner Laduschka gut gehen, das heißt, sie könnten heiraten.

      In einem Brief sechs Tage später war er bester Laune, denn nicht nur hatte man ihn in den höchsten Tönen gelobt, sein Mitstreiter in der Gesellschaft, ein gewisser Swinin, hatte auch gute Neuigkeiten: »Der Abgang von Benois aus dem Museum ist nur eine Frage der Zeit, und zwar keiner langen, und man wird mir wahrscheinlich seinen Posten geben.«

      Am 29. August schrieb er Helena, seine Mutter habe ihm vorgeworfen, er würde zu sehr auf Swinin hoffen und »dieser werde nichts für ihn tun, andernfalls hätte man Benois schon längst rausgeworfen. Ich versuchte ihr beizubringen, dass es nicht leicht ist, den General [sic!] Benois loszuwerden, und dass Swinin und Tewjaschtschew [ein weiterer Vertrauter Roerichs] schon eine Menge für mich tun, indem sie seine Lage untergraben. So etwas braucht eben seine Zeit.«

      Es sollte Nikolai Roerich nicht gelingen, den Posten des »Generals« zu erobern. Aber er ließ von den Intrigen auch nichts nach außen dringen, sondern war, wie man in den Memoiren von Alexandre Benois nachlesen kann, seinem »Feind« gegenüber immer gleichbleibend freundlich. Seine wahren Gefühle zu verbergen und schon gar nicht Feindschaft oder Abneigung zu zeigen, das war ein Prinzip, das Nikolai Roerich sein ganzes Leben lang beibehalten sollte.

      Nach dem Tod des Vaters änderte sich die Lage Nikolais, denn er machte eine substantielle Erbschaft. Zur Heirat reichte sie nicht, denn noch immer hatte er keinen »Posten«.

      Nikolai beschloss, nach Paris zu reisen, um sich fortzubilden. Dabei scheint er sich die konservativ-symbolistische Variante des Pariser Lehrangebots gezielt herausgesucht und die Impressionisten nachgerade vermieden zu haben. Er nahm Unterricht bei Fernand Cormon und Pierre Cécile Puvis de Chavannes. Der Erste war ein akademischer Historienmaler und der Zweite ein wichtiges Mitglied der symbolistischen Bewegung und ist für seine Wandmalereien u.a. im Panthéon bekannt. Beide Lehrer erklären gut gewisse Tendenzen in Nikolai Roerichs Werk: dass er nie, was für seine Zeit keineswegs selbstverständlich war, »von der eindeutig figurativen Malerei abwich, und die wichtige Rolle der Konturlinie in seinem Werk«.41

      Paris war nichts für den asketischen jungen Künstler, wie man aus den Briefen an »Lada« erfährt. Er erkannte durchaus an, dass es in der französischen Hauptstadt viel zu lernen und zu sehen gab, aber die Ausschweifungen des Fin des Siècle stießen ihn ab. Typisch diese Zeilen aus dem Spätwinter 1901: »Je mehr ich mir Paris anschaue, desto weniger gefällt es mir. Zur Arbeit ist es hier sehr gut, aber das Volk ist zynisch und verdorben. Auf einen frischen Menschen machen die Pariser Damen einen geradezu abstoßenden Eindruck.« Weder damals noch jemals später hatte Nikolai Roerich auch nur das geringste Interesse an jenen feuchtfröhlichen Abenden oder flüchtigen Liebesaffären, die seine Künstlerkollegen an der Stadt so reizten. Mehr als einige neue Maltechniken brachte ihm Paris für seinen weiteren Lebensweg nicht ein.

      Er führte ein einsames Leben und ging wenig aus. Seine einzige Bekanntschaft war eine Familie russischer Emigranten, die neben der Hausmusik ein weiteres interessantes Hobby pflegte: den Kontakt mit dem Jenseits nämlich. Ein Kontakt übrigens, den Nikolai und später auch Helena Roerich nie wieder ganz werden abbrechen lassen.

      An sich glaube er »überhaupt nicht« daran, schrieb er an Helena nach Russland, »aber kannst Du Dir meine Verblüffung vorstellen, als auf meine Frage, welches meiner Sujets das beste sei, geantwortet wurde, ›Die Skythen beerdigen einen Toten‹? Keiner der Anwesenden wusste davon, denn ich hatte mit dem Bild erst an diesem Tag begonnen. Welch Wunder! Und trotzdem glaube ich noch nicht wirklich daran, ich muss noch mehr Versuche anstellen.«42

      Und das tat er. In einem der nächsten Briefe aus Paris lesen wir: »Bist Du Sonntagabend bereits zwischen Mitternacht und ein Uhr schlafen gegangen? Schreib mir darüber. Die Sache ist die, wir haben gestern eine spiritistische Séance abgehalten und ich habe gefragt, was die Person mache, an die ich jetzt denke. Es ertönte ein Schlag mit der Bedeutung: ›Schläft‹. Ich fragte auch, wann ich nach Petersburg reise, und die Antwort war: im Mai.«43

      Nikolai ließ sich sogar einschläfern, um seiner Liebsten wenigstens in hypnotisiertem Zustand nahe zu sein. »Ich sah Dich im Schlafzimmer, auf dem Bett sitzend.« Über die Gespräche mit der Russin, die ihn hypnotisiert hatte, berichtete er Helena, diese rate ihm ständig, »ich soll heiraten und ich müsse mich meiner Frau unterwerfen«.44

      Ein anderes Mal beauftragte Nikolai ein Medium, sich in Trance zu versetzen, um seine geliebte Helena besuchen. Zurückgekehrt berichtete die Frau, Helena habe drei Besucher gehabt und gerade Chopin gespielt.

      Besonders das letzte Medium muss äußerst überzeugend gewesen sein, denn als es Paris verließ, schrieb Nikolai an »Lada« voll Verzweiflung, jetzt habe er niemanden mehr, der ihm berichten könne, welcher Stimmung sie sei und wie es ihr gehe. Grund für all die fieberhaften Versuche, über das Jenseits mit Lada Kontakt aufzunehmen, war das Ausbleiben der Briefe von Helena. Urheber waren Helenas Mutter und die »Fürstinnen«, die einen letzten Versuch unternommen hatten, die Verbindung zu sabotieren. In der Tat einen letzten Versuch, denn Anfang 1901 kam die Nachricht aus Petersburg, dass Großfürstin Olga, die Kusine des Zaren und Leiterin der »Kaiserlichen Gesellschaft«, den liebenswürdigen Nikolai Roerich keineswegs vergessen hatte. Und auch nicht Swinin und Tewaschtschew, seine Verbündeten im Krieg um den Posten des »Generals« Benois.

      Man trug ihm eine noch viel bessere Stelle an, die eines Sekretärs der »Kaiserlichen Gesellschaft« nämlich. Aus der Tatsache, dass Helena sich noch drei Jahrzehnte später an das genaue Datum der Ernennung, den 7. Mai 190145,