und anerkennend zu dessen Bildern äußern sollte, schrieb an anderer Stelle: »Roerich war für uns alle ein Rätsel. Ich weiß nicht jetzt und ich habe es auch niemals gewusst, wo der wahre Roerich aufhört und wo die Pose, die Maske, die rücksichtslose Vorstellung beginnt, die darauf berechnet ist, unter der Maske des Weisen den Zuschauer, den Leser und Käufer einzufangen. Aber dass diese zwei Elemente, die Wahrhaftigkeit und die Lüge, die Aufrichtigkeit und die Falschheit im Leben und in der Kunst Roerichs untrennbar verbunden sind, [...] daran kann es keinen Zweifel geben.«69
Kapitel 8
Dunkle Träume an der Newa
Wer heute durch den historischen Kern St. Petersburgs spaziert, glaubt sich in eine andere Zeit versetzt. Man kann stundenlang gehen, ohne ein modernes Gebäude zu sehen. Um den »Stare Newski«, wie die Petersburger den Newski Prospekt nach dem Ploschtschad Wostanja (Platz des Aufstands) nennen, ist man in der Welt der Mietskasernen des 19. Jahrhunderts. Fünfstöckige Gebäude mit mehreren Hinterhöfen, in denen es nach Kohl riecht, kleine baumlose Plätze und gepflasterte, enge Straßen, durch die manchmal eine Straßenbahn rumpelt. Die Straßen sind wenig belebt, und im Winter liegt über allem der dichte Dunst vom nahen Bottnischen Meerbusen, den die Straßenlaternen in den langen, nördlichen Nächten kaum durchdringen.
Zum Zentrum hin werden die Straßen breiter, der Newski Prospekt füllt sich mit Passanten und Geschäften, und dann überquert man die berühmten Kanäle Moika, Gribojedowa und Fontanka mit ihren Palästen aus dem 18. Jahrhundert. Schließlich erreicht man die Newa, den wasserreichsten Fluss Europas, und vor einem liegt das berühmte Panorama mit Admiralität, dem spitzen Turm der Peter-und-Paul-Kathedrale und dem himmelblauen Winterpalast.
Rein physisch hat sich die Stadt seit den Zeiten, da Nikolai Roerich hier malte, eine Kunstschule leitete und intrigierte, kaum verändert, und obgleich keine Hauptstadt mehr, ist sie immer noch die zweitgrößte Stadt Russlands, ein wichtiges Kultur- und Wissenschaftszentrum. Und doch ist sie ein Museum ihrer selbst. Um die Newa, auf der Wassiliinsel und um die Kanäle herum trägt beinahe jedes zweite Gebäude eine Plakette (und manchmal ganze Reihen davon), die künden, wer hier einmal gelebt hat. Die Komponisten Strawinsky und Rachmaninow, die Dichter Gumilijow, Alexander Blok, Anna Achmatowa, Belyj, Gorki und Mandelstam und die Maler Wrubel, Roerich und Serow. Und das sind nur die bekanntesten Namen. Es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende von Plaketten, die auch an Philosophen wie Berdjajew oder an Wissenschaftler wie Oldenburg, den berühmten Begründer der fernöstlichen Abteilung der russischen Akademie der Wissenschaften, erinnern.
All diese Namen gehören in eine kurze Zeitspanne, zwei Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg, die als »silbernes Zeitalter« der russischen Kultur in die Geschichte eingegangen ist und mit der Revolution endgültig zu Ende ging. Die einen, wie Strawinsky und Berdjajew, starben in der Emigration, andere wie Blok, der verhungerte, und Gumiljow, der erschossen wurde, überlebten Revolution und Bürgerkrieg nicht, und kaum einem der Genannten war ein normales Leben vergönnt.
Das silberne Zeitalter lebte in zwei gegensätzlichen Welten. Die helle, rationale und wissenschaftliche Welt von Marx und dialektischem Materialismus, Max Planck und der Quantenmechanik, Albert Einstein und der Relativitätstheorie und das geheimnisvolle dunkle Reich von Friedrich Nietzsche und der ewigen Wiederkehr, von Richard Wagner und dem modernen Mysterienspiel. Doch beide Welten verbanden sich auch auf manchmal reichlich seltsamen Wegen. Die Revolutionäre, die an die »wissenschaftliche« Geschichtsinterpretation Karl Marx’ glaubten, waren auch davon überzeugt, die Allmacht des befreiten Menschen werde alle Grenzen löschen, die Wissenschaft und Magie traditionell trennten. Was früher die Sache von Magiern, Zauberern und Alchimisten war, würde nach der Revolution die Aufgabe von Wissenschaftlern und Ingenieuren werden: die Überwindung der Naturgesetze, die absolute Herrschaft über Raum und Zeit und selbst der Sieg über den Tod. Nach dem Sieg der Bolschewiki sollte man allerlei Versuche zur Überwindung der Sterblichkeit anstellen, die allerdings nie weiter als bis zur Wiederbelebung gefrorener Fische und Amphibien gelangten, und zumindest in Teilen der Intelligenz glaubte man, seine spätere »Wiedererweckung« sei der Grund, warum man Lenin einbalsamiert habe.70
Die letzten Jahrzehnte vor der Revolution waren eine Zeit sozialer Gegensätze, rastlosen Experimentierens und des Infragestellens aller Werte und alles Hergebrachten. Nachdem Kosaken in eine friedliche Menge von protestierenden Arbeitern geschossen hatten, kam es 1905 zur ersten russischen Revolution. Im Süden des Landes, wo adelige Großgrundbesitzer noch über die Hälfte des Bodens verfügten, war der Horizont im Herbst vom Widerschein brennender Herrensitze erleuchtet. Und in den Großstädten bildeten sich in den Fabriken zum ersten Mal »Sowjets«, Räte, die versuchten, die Macht zu übernehmen. 1906 setzte sich die Zarenmacht noch einmal durch. Es gab 5000 Exekutionen, Zehntausende von Verhaftungen und Verbannungen, aber auch Kompromisse wie das Zulassen eines Parlaments und landwirtschaftliche Reformen.
Doch bei sensiblen Beobachtern blieb das Gefühl, auf schwankendem Boden zu stehen, die Ahnung, dass die gesellschaftliche Ordnung vor der Auflösung stand. Am besten hat das Lebensgefühl dieser Zeit Andrej Belyj in seinem berühmten Roman Petersburg beschrieben, wo jede Wendung in der Geschichte mit einer Beschwörung des Himmels über der Stadt anhebt:
»Schwärme von grünlichen Wolkenfetzen jagten ununterbrochen über die grenzenlosen Weiten der Newa. Auf der Petersburger Seite verschwand der schlanke Turm der Peter-Paul-Festung in den Wolken. Aus den Fabrikschloten stieg ein dunkler Rußstreifen auf, beschrieb einen düsteren Bogen am Himmel und tauchte mit seinem Ende ins Wasser. Die Newa rauschte, schrie im dunklen Heulen einer Dampfersirene auf, schlug die eisernen Schützen der Schleuse klirrend gegen die Pfeiler und leckte über den Granit.«71
Das Petersburg der Vorkriegszeit war zwar eine rasch wachsende Stadt mit zwei Millionen Einwohnern, aber die Protagonisten der kulturellen Blüte wie auch die Anführer der Revolution kamen aus einer eng umgrenzten Schicht. Es waren im Wesentlichen die Kinder der verschwindend kleinen Mittelschicht und des niederen und mittleren Adels. Darunter viele Nachfahren vor allem Deutscher, aber auch anderer Westeuropäer, sowie Juden. Alles in allem ein Personenkreis von einigen Zehntausend.
Die geistige Heimat dieser Schicht war Europa, und zwischen ihnen und den Neuankömmlingen vom Land lagen Welten. Im weiten Russland waren immer noch drei Viertel der Bevölkerung Bauern, von denen nur die Minderheit Teil lesen und schreiben konnte.
Für Nikolai Roerichs Expedition nach Tibet sollte sich eben die Begrenztheit dieses Kreises als entscheidend erweisen. Revolutionäre und Künstler, Wissenschaftler und Lebensreformer aller Art kannten sich gegenseitig, tauschten sich aus, bekriegten und befreundeten sich. Auch wenn es nicht gesichert ist, dass Roerich, wie er Mitte der zwanziger Jahre aus durchsichtigen Gründen behaupten sollte, Lenin persönlich kannte, so war er doch lange vor der Revolution bereits so wichtigen Männern der frühen Sowjetunion wie dem radikalen Schriftsteller Maxim Gorki, dem späteren Außenminister Tschitscherin und Anatoli Lunatscharski, dem Kulturkommissar der Bolschewiki, begegnet.
Die kommende Auflösung des Zarenreiches zeigte sich zuerst in seinen geistigen Grundlagen. Das »Dritte Rom«, das sich immer als Hort, Schützer und Bewahrer der einzig wahren christlichen Religion, der Orthodoxie mit dem Zaren als Oberhaupt, verstanden und alle anderen Religionen streng kontrolliert oder sogar verfolgt hatte, hob in den Jahren nach 1905 allmählich alle Beschränkungen auf. Die Freimaurerei wurde zugelassen, 1908 die Theosophie, und die früheren Staatsfeinde par excellence und heftigsten Widersacher der Staatskirche, die Anhänger orthodoxer Sekten, genossen zum ersten und für lange Zeit auch zum letzten Mal in der russischen Staatsgeschichte Religionsfreiheit.
In Russland brach eine Welle des Okkultismus und des Sektenwesens los, die in der Geschichte ihresgleichen sucht. Wurde noch der Vater Helena Roerichs mit der Entlassung aus dem Staatsdienst bedroht, weil er zehn Jahre nicht zur Beichte war, so sollte Nikolai Roerich unbekümmert am Bau eines buddhistischen Tempels mitwirken. Während sich unter dem einfachen Volk Seher ausbreiteten, die das nahende Ende der Welt verkündeten, und lange unterdrückte Sekten wie die Molokane (die Milchtrinker) und radikale Untergruppen der Bespopovzi (Priesterlose, die jeglichen Kontakt mit dem Staat ablehnten) oder sogar die Chlopzen (Selbstkastrierer) ihre Anhänger mehrten, wurden die höheren Kreise von verschiedenen Varianten eines sich