Ernst von Waldenfels

Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus


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hügeligen Landschaft zwischen Moskau und St. Petersburg, im Schloss ihres Onkels, des Fürsten Putanin, in dem in den 1860er Jahren der Zar und seine Familie öfter selbst zu Gast gewesen waren. Doch Putanin entstammte nicht nur einer der namhaftesten Familien des Landes, sondern war auch der bedeutendste »Gentleman-Ausgräber« Russlands. In dem gewaltigen, von Efeu umrankten Bau befanden sich eine archäologische Fachbibliothek wie auch eine Dauerausstellung der Funde des Fürsten. Das war der Grund, warum Nikolai Roerich, der sich gerade in der Gegend aufhielt, eines Abends vorbeikam, um sich dem berühmten Mann vorzustellen. Wenn man den Erinnerungen der späteren Helena Roerich glauben darf, so hielt man den Mann mit den staubigen Stiefeln erst für einen Pächter oder einen Kurier, gewann aber bald einen günstigeren Eindruck von ihm und ließ ihn schließlich im Arbeitszimmer des Fürsten, der verreist war, sein Nachtlager aufschlagen. Drei Tage blieb der »angenehme junge Mann« zu Gast und »nahm alle für sich ein«.27

      Es war eine Begegnung, die Nikolai Roerichs Leben von Grund auf veränderte. Die nächsten zwei Jahre bis zur schließlichen Heirat beherrschte ihn nur ein Thema: Helena und immer wieder Helena. Und auch nach der Heirat sollte er seine Frau »vergöttern« – in genau dem metaphysischen Sinne, der in dem Verb mitschwingt.

      Doch vorerst musste er nicht nur sie, sondern auch ihre Familie für sich gewinnen.

      Helena stammte mütterlicherseits von den Golenischtsch-Kutusows ab, einer Familie, deren Name noch heute in einer der bekanntesten Straßen Moskaus nachklingt. Ihr Urgroßonkel war Michail Kutusow, der Befehlshaber in den Kriegen gegen Napoleon und der größte russische Kriegsheld des 19. Jahrhunderts. Helena Schaposchnikowa war sich ihrer Abstammung immer voll bewusst und erfreute ihre Jüngerinnen im amerikanischen Exil mit farbigen Geschichten über die willensstarken Frauen der Golenschischtsch-Kutusow. Über ihre Urgroßmutter erzählte sie, jene sei »eine machtbewusste Frau,« gewesen, »die der Zarin Katharina II. einen Drohbrief schrieb, als diese einen Wachtmeister der Landpolizei zu dem Gut schickte, um darauf zu achten, dass die Gutsbesitzer ihre Leibeigenen nicht zu sehr unterdrückten«.28

      Die alte Dame habe ein so strenges Regiment geführt, dass sich selbst ihre Söhne nicht setzen durften, wenn sie im Zimmer war, und ihre Gäste habe sie je nach Rang empfangen. »Einige in der ersten Halle, andere im Salon und wieder andere in ihrem persönlichen Zimmer.«29

      Ein Onkel wiederum sei über den Tod seiner Frau so betrübt gewesen, dass er drei Jahre lang nicht das Zimmer verlassen habe. Schließlich habe die Verwandtschaft ihn gezwungen, eine reiche Grundbesitzerin zu heiraten, die den armen Mann grausam quälte. Als er sich schließlich nicht mehr zu helfen wusste und sich an ein Gericht wandte, habe seine Frau, eine große Schönheit, ihre Schultern gezeigt, die voll blauer Flecken waren. Darauf wurde sie natürlich freigesprochen. »Als dieser Onkel schließlich vor Kummer und Leiden starb, ging sie, als er in der Kirche aufgebahrt lag, zu ihm hin und schlug ihn ein letztes Mal auf die Nase.«30

      Ein weiterer Onkel, ein Bruder ihrer Mutter, sei von seiner Braut erschossen worden, als er scheinbar von der Hochzeit zurücktreten wollte, und schließlich erzählte sie ihren Jüngerinnen auch von den wüsten Streitigkeiten ihrer Eltern, als ihre Mutter den viel älteren Vater wegen eines Liebhabers verlassen wollte.

      Vielleicht war eine Neigung zu Affären eben der Grund, warum die Mutter Helenas bereits mit 18 Jahren an einen schon 42 Jahre alten Nichtadeligen, den Architekten und Universitätsdozenten Iwan Schaposchnikow, verheiratet wurde. Erst ein Jahr vor seinem Tod wurde er ob seiner Verdienste in den erblichen Adelsstand erhoben. Ihre drei Schwestern machten wesentlich bessere Partien. Eine von ihnen, die elegante und willensstarke Opernsängerin Ewdokija, heiratete erst den »bekannten Krösus und Wüstling Mitusow« und dann Fürst Putanin, und auch die beiden anderen Schwestern heirateten Männer aus den höheren Kreisen des Reiches.31

      Zur weiteren Verwandtschaft Helenas gehörte schließlich auch der geniale Komponist Modest Mussorgski, der von den vier Schwestern so angetan war, dass er extra für sie Kosenamen erfand.

      Nikolai Roerich versuchte also, in eine in jeder Hinsicht formidable Familie einzuheiraten. Wohl nicht zufällig tauchte kurz darauf zum ersten Mal ein »Wappen« der Familie Roerich auf. Doch zuallererst galt es Helena selbst zu erobern, die von Verehrern aus besten Kreisen umschwirrt war. Doch die fünf Jahre jüngere Helena, die es liebte, die »kalte Kokette« zu spielen, wie sie im Rückblick zugab, machte es ihm nicht leicht.32

      Sie war ein Einzelkind und in der Obhut ihrer Kindermädchen und Gouvernanten aufgewachsen. Die kleine Helena bekam, wie in Adelskreisen Petersburgs üblich, eine hervorragende Erziehung, lernte Deutsch, Englisch, Französisch und Klavier. Später wird sie erzählen, »wie schrecklich es manchmal im Winter war in dieser großen Wohnung, und wie sie abends im Gästezimmer auf dem Flügel üben musste. Das Gästezimmer war an einem Ende der Wohnung, und die Zimmer der Diener und der Gouvernanten waren am anderen Ende. Mutter und Vater waren abends nie zu Hause.«33

      Das Mädchen war der Schrecken ihrer Erzieherinnen, zu denen unter anderen ein adeliges Fräulein aus Deutschland gehörte. Eine der eindrücklichen Episoden, die Helena später ihren Vertrauten in Amerika und Indien erzählt, handelt davon, wie die Gouvernante, die mit den Nerven am Ende war, sie im Badezimmer einschloss, sich aber damit ein nur noch größeres Fiasko einhandelte. Das Mädchen nämlich kündigte an, es werde kaltes Wasser in die Wanne einlassen, sich hineinsetzen und dort so lange bleiben, bis sie sich erkältet habe. Die Gouvernante glaubte ihr nicht, stellte sich aber trotzdem auf einen Stuhl am Außenfenster, um sie zu beobachten. Als sie sah, dass Helena ihre Drohung tatsächlich wahr machte, öffnete sie sofort die Tür. Das ganze Haus eilte herbei, und man rieb dem Mädchen, dem die ganze Sache großen Spaß machte, mit Spiritus die Füße ein.

      War es die Einsamkeit des Mädchens, das praktisch elternlos aufwuchs, oder die Leere des »goldenen Käfigs«, in den sie sich eingesperrt fühlte, oder auch nur Zeichen ihrer außerordentlichen Fantasie, auf jeden Fall wurde sie, wie sie später im Exil berichtet, »von früher Kindheit an von Stimmen verfolgt, die Gott lästerten. Die Stimmen verfolgten sie schrecklich und flüsterten die ganze Zeit gegen Gott. Weil sie Angst hatte, den Erwachsenen davon zu erzählen, setzte sie sich gewöhnlich auf das Sofa im dunklen Zimmer, schloss die Augen und wiederholte immer wieder: ›Gott ist gut, Gott ist gut.‹ Und das musste sie manchmal ganze Stunden wiederholen, bis die Stimmen schließlich aufhörten, sie zu quälen. Von da an hat der Gedanke an Gott sie nie verlassen.«34

      Mit sechzehn wurde Helena ins Ausland geschickt, »weil ihre Nerven in sehr schlechtem Zustand« waren.35 Dort schleppte ihre Mutter, die sich bereits nach einem Ehemann für die Tochter umsah, sie gegen ihren Willen auf Bälle und machte mit ihr Besuche.

      Zurück in Russland ging der Krieg zwischen Mutter und Tochter weiter. Als ein Arzt zum Fahrradfahren riet, radelte Helena stundenlang in den Parks der Hauptstadt, »um endlich allein zu sein«, während die Mutter vergeblich versuchte, ihr in einer Kutsche zu folgen.36 Die Mutter habe während dieser Zeit zwei Pud abgenommen, wie Helena schadenfroh anmerkte, und ihr das Radfahren schließlich verboten.

      Als sie 18 Jahre alt war, starb der Vater, dessen Tod sie vorausgeahnt haben will. Und nicht nur den Tod des Vaters, der ihr später im Traum Ratschläge gab, habe sie gespürt, auch den Tod von anderen Verwandten.

      Die Beziehungen zwischen Tochter und Mutter – über die Helena übrigens kein einziges gutes Wort überliefert hat – wurden nach dem Tod des geliebten Vaters nur noch schlechter. Helena, eine begabte Pianistin, wollte aufs Konservatorium, die Mutter jedoch legte ihr Veto ein. Sie hatte Angst, ihre rebellische Tochter könnte von der Unruhe an den höheren Bildungseinrichtungen Petersburgs angesteckt und zur Revolutionärin werden. Umso dringlicher wurde es, für sie rasch einen Mann zu finden. Wie wir aus Briefen Helenas an Nikolai, den sie damit hin und wieder quälte, erfahren, gab es keinen Mangel an wohlhabenden und hochgestellten Kandidaten, die die Billigung ihrer Mutter gefunden hätten.

      Es dauerte zwei Jahre, bis Nikolai Roerich schließlich alle Widerstände überwunden hatte. Er schickt seiner »Lada« bis zu fünf Briefe täglich, sie antwortet bedeutend seltener.

      In dem Briefwechsel, der sich beinahe vollständig erhalten hat, finden