Ernst von Waldenfels

Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus


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komischen Oper in Paris und in den folgenden Jahren immer wieder in Paris und schließlich sogar London, wo 1914 am königlichen Opernhaus »Fürst Igor« in Roerichs Inszenierung aufgeführt wurde. Sein größter Erfolg und bleibendes Ärgernis war »Das Frühlingsopfer« von Igor Strawinsky. Idee und Libretto zu dem Stück – zur Beschwörung des Frühlings wird ein junges Mädchen von ihren steinzeitlichen Stammesgenossen geopfert – gingen zweifellos auf Roerich zurück. Auch die Bühnendekoration und die Kleidung der Tanzenden entstammten seiner Feder.

      Igor Strawinsky schrieb zu dem Stück eine neue, ungewohnte Musik, und dazu kam Nijinskis schockierende Inszenierung, der eigentliche Skandal bei der berüchtigten Pariser Premiere des Balletts am 29. Mai 1913 im Théâtre des Champs-Élysées. »Nijinski hatte Bewegungen choreografiert, die hässlich und eckig waren, Bewegungen, die das Gewicht des Tänzers betonten und nicht ihre Leichtigkeit, wie es die Grundsätze des klassischen Balletts verlangten.«53 Schon bei der Hebung des Vorhangs, als die Dekoration sichtbar wurde und die Tanzenden in den Blick kamen, ging ein solcher Lärm im Publikum los, dass die Musik kaum noch zu hören war.

      Der bei der Premiere anwesende Nikolai Roerich war, wie er am nächsten Tag an Helena schrieb, hocherfreut.54 Er verglich den Skandal mit den ersten Reaktionen auf Wagners neue Opernmusik, die man anfänglich auch heftig abgelehnt habe. Und er hatte recht. »Das Frühlingsopfer« sollte sich als Kunstwerk erweisen, das seine Eindringlichkeit bis heute nicht verloren hat. Doch ausgerechnet dieser bekannteste Beitrag Roerichs zur Kunst des 20. Jahrhunderts sollte ihm zeitlebens streitig gemacht werden. Igor Strawinsky, der »für solche Verzerrungen berüchtigt war«,55 wie der Historiker Orlando Figes schreibt, stritt nach dem Krieg jegliche Beteiligung Nikolai Roerichs an Idee und Libretto ab und behauptete seine alleinige Urheberschaft. Darüber wird sich Nikolai Roerich sein Leben lang ärgern und noch drei Jahre vor seinem Tod einen längeren Absatz in seinem Tagebuch schreiben.56

      Am Vorabend des Ersten Weltkriegs strebte also Roerichs Ruhm seinem Höhepunkt zu. 1914 ernannte ihn der Zar zum wirklichen Staatssekretär, ein Posten, der in der zivilen Rangliste des Kaiserreiches dem eines Generals beim Militär entsprach und mit dem angenehmen Titel »Eure Exzellenz« verbunden war. Großfürstin Olga wollte ihren Liebling sogar zum Kammerherrn des Zaren ernennen lassen, aber Nikolai Roerich winkte bescheiden ab. Angeblich befürchtete er, dieser Posten, der rein zeremonielle Bedeutung hatte, würde ihn an der Arbeit hindern. In Wahrheit spürte er wohl, dass es besser war, sich in der rasch polarisierenden russischen Gesellschaft nicht zu eng mit dem Hof einzulassen.

      Überhaupt vermied es der prominente Künstler, sich irgendwie politisch zu positionieren. Bis zur Revolution stand er bei Hof in hohem Ansehen, war aber auch mit Maxim Gorki, dem Schriftsteller und späteren Mitbegründer des »sozialistischen Realismus«, befreundet, und Alexander Blok, der vielleicht größte Poet seiner Zeit, Verfechter einer »skythisch-asiatischen« Sicht auf die russische Geschichte und Prophet der russischen Revolution, hielt Roerichs Bilder in hohen Ehren. Als Blok einmal gebeten wurde, eine Zeichnung Roerichs, die ihm der Maler geschenkt hatte, für einen Abdruck zur Verfügung zu stellen, antwortete er, er könne sich aus »gefühlsmäßigen Gründen«57 auch nicht für einen Moment von ihr trennen.

      Roerichs größter Verehrer unter den Dichtern war Aleksej Remisow, der zwar nicht ganz die Bedeutung Alexander Bloks hat, aber doch in jeder Anthologie russischer Dichtkunst vertreten ist. Remisow war ein Slawophiler und wie Roerich der Meinung, ein Anknüpfen an die vorpetrinische Vergangenheit könne »Russlands Seele retten« und die gefürchtete Revolution verhindern. 1915 schrieb Remisow ein Gedicht zu dem 1907 entstandenen Gemälde »Die Route der Waräger«, der aus Skandinavien stammenden Begründer der Rus. »Die Route der Waräger« zeigte Drachenboote, die aus den Schären, den für die nördliche Ostsee typischen niedrigen Felseninseln, ins offene Meer hervorbrechen. Gemalt ist das Bild aus der Perspektive eines Kriegers auf einem Felsenhügel, der vor seiner Behausung, einem primitiven, mit Leder oder Baumrinde bedeckten Zelt, sitzt.

      In dem Gedicht findet man die bemerkenswerten Zeilen:

      »Nach einigen Jahrhunderten fand er sich wieder in Russland.

      Doch er kam nicht vom Meer der Waräger, sondern aus der Stadt Kostroma

      und ließ sich an der Moika nieder [dem Sitz der kaiserlichen Gesellschaft]

      und es ist schon nicht mehr Rurik,

      wie man ihn in Nowgorod gerühmt hat,

      sondern Roerich.«58

      Bleibt noch zu vermerken, dass das einfache Volk seine eigene Meinung zu »Urrussen« und »Warägern« wie Roerich hatte: Als 1914 eine antideutsche Welle durch Petersburg rollte, deutsche Geschäfte zerstört wurden und die Stadt in Petrograd umbenannt wird, brannte der Mob auch eine Galerie nieder, die so »deutsche« Künstler wie Roerich zeigte. Wie traumatisch dies für Roerich war, kann man daran ermessen, dass er darüber einige Jahre später eine autobiografische Geschichte schrieb. Proteste gegen diese oder andere Äußerungen eines extremen russischen Chauvinismus sind übrigens von Nikolai Roerich nicht überliefert.

      Selbstredend war der Roerich der Petersburger Jahre niemand, der jemals durch eines der bekannten Laster schöpferisch tätiger Menschen aufgefallen wäre: Er trank und rauchte nicht, hatte keine außerehelichen Affären und kannte weder Schaffenspausen noch Ausbleiben seiner Inspiration. Dazu war er noch schriftstellerisch tätig, ungezählt seine Artikel zu Kunst und Kultur. Er war ein Meister der schönen Worte. 1903 lernte er die Fürstin Tennischewa kennen, eine idealistische Aristokratin, deren Ziel es war, die alte russische Volkskunst und das russische Kunsthandwerk wiederzubeleben, und zu diesem Zweck auf ihrem Landsitz Talaschkino im Nordwesten Russlands Schulen und Werkstätten gründete.

      In diesem Zusammenhang schrieb Roerich folgende, für die Petersburger Zeit typische Zeilen: »Am heiligen Herd, weit entfernt von den Bazillen der Stadt, kreiert das Volk ohne sklavische Gefallsucht, ohne Stempel der Fabrik und schöpft mit Liebe und Muse. Wieder erinnert man sich an die Ratschläge der Vorfahren und die Schönheit und Haltbarkeit der alten Gegenstände. Durch das gute Vorbild werden bei der Jugend neue Bedürfnisse geweckt und verstärkt. Auch ohne Schnaps kann man einen Feiertag feiern, wenn ringsum solch wahrhaft anziehende, den Alltag überwindende Gegenstände geschaffen werden.«59

      Heutige Kritiker allerdings bemängeln, bei den Hervorbringungen dieser Werkstätten, die sich in Europa großer Beliebtheit erfreuten, habe es sich weniger um authentische Volkskunst denn um die Simulation derselben gehandelt. Bekanntestes Beispiel sind die »urrussischen Matroschkas«, die »Puppen in der Puppe«, die keineswegs auf irgendeine Tradition, sondern schlicht auf einen Einfall von Sergej Maljutin, dem Meister der Werkstätten von Talaschkino, zurückgehen, den japanische Schachtelpuppen auf diese Idee gebracht hatten.60 Und Tennischewa selbst sollte in ihren Erinnerungen schreiben, die örtlichen Bäuerinnen »mochten unsere Farben nicht, sie seien zu fad«.61 Die Fürstin musste Prämien zahlen, um sie zur Arbeit zu bewegen.

      Die Spannung zwischen den gegängelten Bauern und der zwar wohlmeinenden, aber letztlich herablassenden Adeligen sollte sich 1917 gewaltsam entladen, als die ehemaligen Untertanen der Fürstin den Landsitz, die Werkstätten und gleich auch noch eine von Roerich ausgemalte Kirche niederbrannten.

      Von solchen Spannungen ist den Schriften Nikolai Roerichs nichts, aber auch gar nichts zu finden. Der Künstler warf sich in die Pose eines »Propheten der Kunst«, der inneren Veränderung des Menschen durch die »Schönheit«, die letztlich alle Widersprüche der Gesellschaft beseitigen werde. Beispielhaft sind diese 1908 geschriebenen Sätze: »Die wichtigste Rolle beim Erlangen von Harmonie im Leben spielt die Kunst. Eben sie bringt Freude an der Schönheit, Freude an der Erhellung des menschlichen Verstands mit sich. [...] Unter den Massenbewegungen sollte an erster Stelle die Wertschätzung der Arbeit stehen, deren Krone die Weiterverbreitung der Kunst und des Wissens ist. Außerdem sind dies die beiden Antriebe einer internationalen Verständigung, die die aufbegehrende Menschheit braucht. Kunst ist das Herz und Wissen das Gehirn des Volkes. Nur mit Herz und Weisheit kann sich die Menschheit vereinen und gegenseitig verstehen.«62

      Wer sollte da widersprechen? Die Fürstin Tennischewa verehrte den »Propheten der