soll auch führend an der Gesetzgebung zur Abschaffung der Leibeigenschaft beteiligt gewesen sein.
Eine wahrhaft illustre Ahnenreihe. Bereits eine kurze Recherche ergab, dass Roerich in seinen verschiedenen Varianten der Schreibung (Rörich, Röhrich, Roehrich etc.) ein geläufiger deutscher Familienname ist, den die Namensforschung entweder auf das Röhricht oder auf den Vornamen Roderich zurückführt. Im schwedischen Telefonbuch dagegen gelang es trotz Suche nach allen möglichen Namensvarianten nicht, mehr als elf Röricks und zwei Röhrichs zu entdecken. Aber weder einen Rörich noch einen Roerich.
Dass der 1837 geborene Vater an der 1861 erfolgten Aufhebung der Leibeigenschaft beteiligt gewesen sein soll, war auch kaum glaubhaft, und dass Nikolais Großvater, angeblich ein hoher Staatsbeamter, gegen das strikte Verbot der Freimaurerei im damaligen russischen Staat verstoßen hatte, war zwar möglich, aber doch eher unwahrscheinlich.
Die Wahrheit über Nikolai Roerichs Herkunft kam erst vor wenigen Jahren ans Licht. Es war der lettische Forscher Ivars Silars, der sich die Mühe machte, alle Taufregister der deutschen Minderheit durchzusehen,1 Register, die 1939 zusammen mit den ausgesiedelten Deutschen ins »Dritte Reich« und dann 1971 aus Rostock wieder zurück ins Baltikum gekommen waren.
Bereits bekannt war, dass Konstantin Roerich aus der heute zu Lettland gehörenden Landschaft Kurland stammte. Diese war damals eine Provinz des russischen Reiches, in der eine Oberschicht deutscher Herkunft, die »baltischen Barone« über die Masse ihrer hauptsächlich lettischen Untertanen herrschte.
Als nun Ivars Silars sich in die Kirchenregister Kurlands vertiefte, traf er auf eine Überraschung nach der anderen. Zuerst einmal stellte sich Konstantin als unehelich geboren heraus. Seine Mutter war ein Dienstmädchen, die aus Preußen stammende Konstantia Schuhschel. Doch damit nicht genug. Im Taufregister fehlte der Name des Vaters! Den Namen Roerich sollte Konstantin erst zwölf Jahre später bekommen. Nicht etwa, weil der Namensgeber, ein Nachfahre deutscher Handwerker namens Friedrich Roerich, tatsächlich der Vater war. Zumindest nicht, wenn man der Indizienkette des lettischen Historikers folgt, der bei seinen monatelangen Untersuchungen auf eine Reihe von Ungereimtheiten gestoßen ist, die zusammengenommen den Stoff für einen Roman über die Klassengegensätze des damaligen Kurland ergeben würden.
Wie Ivars Silars herausfand, war Konstantia Schuhschel 1837, zum Zeitpunkt der Geburt ihres ersten Sohnes, Dienstmädchen auf dem Gut Paplacken, das einer der mächtigsten Familien Kurlands, den Freiherren von der Ropp, gehörte. Friedrich Roerich, der siebte Sohn eines Schneiders, dessen Vorfahren vor gut hundert Jahren ins Baltikum eingewandert waren, hatte es zum Verwalter von Paplacken gebracht. Dass Friedrich Roerich erst zwölf Jahre später als Vater von Konstantin genannt wird, wäre vielleicht nicht so bemerkenswert, gäbe es nicht mehrere außergewöhnliche Umstände. Zum einen gebar sie ein Jahr später einen weiteren Sohn, Albrecht, und einige Jahre danach noch ein Kind – diesmal dauerte es nicht zwölf Jahre und sie gab gleich Friedrich als den Vater dieser Kinder an. Zum anderen hatte ausgerechnet der erste, der nicht nur uneheliche, sondern auch vaterlose Konstantin, gleich drei Würdenträger als Taufzeugen, einen Arzt, einen Amtmannn und einen Müller nämlich, während die Taufe ihres zweiten Kindes sehr viel standesgemäßer von einem Viehhüter und einem Sattler bezeugt worden war.
Eine weitere Seltsamkeit betraf die Eintragung der Taufe in das Kirchenbuch. Sie war gegen jede Regel vorgenommen worden, was erklärt, warum erst Silars auf die uneheliche Geburt Konstantins stieß. Statt in der richtigen Reihenfolge – Konstantin hatte man am 7. Juli getauft – wurde die Geburt im Dezember eingetragen. Auch war Konstantin nicht, wie die anderen beiden Kinder von Friedrich und Konstantia, in der für Paplacken zuständigen lutherischen Kirche von Nord-Durben getauft worden, sondern in Birsdorf und schließlich in das Kirchenbuch noch einer weiteren Gemeinde, nämlich Wirgen, eingetragen. Mit Wirgen hat es eine besondere Bewandtnis: Es war nämlich die Heimatgemeinde derer von der Ropp. Ein Zufall? Wohl kaum, wenn man den weiteren Lebensweg von Konstantin Roerich bedenkt. Immer wieder taucht eine schützende Hand über dem Jungen auf, der es schließlich bis in die oberen Schichten der Zarenhauptstadt bringen wird.
Es fängt 1849 an, als der uneheliche Sohn des Dienstmädchens an das Technologische Institut, eine der bekanntesten Schulen St. Peterburgs, aufgenommen wird, um dort Jura zu studieren. Auf einmal ist er nicht mehr vaterlos, sondern trägt den Nachnamen Roerich. Im gleichen Jahr geben die von der Ropps Friedrich Roerich zwei ihrer Güter zur Pacht. Dies ist auch schon das letzte Mal, dass er im Leben seines angeblichen Sohnes auftaucht. Den Antrag zur Aufnahme in das Institut wie auch die Aufnahmekosten für den Jungen bezahlte ein Eduard von der Ropp, früher ansässig auf Gut Paplacken, der auch als Vormund des Jungen figuriert.
Zunächst blieb Konstantin am Technologischen Institut, brach dann aber seine Ausbildung aus unbekannten Gründen ab. Man könnte vermuten, der Jugendliche aus der Provinz mit der niederen Herkunft habe die Hänseleien seiner Mitschüler aus höheren Kreisen nicht ertragen. Das ist bloße Spekulation, aber vielleicht auch mehr als das, wenn man an die Erzählungen Gogols oder die Romane Dostojewskis denkt, die die brutalen Erniedrigungen geschildert haben, denen die kleinen Beamten, das Fußvolk der Administration des Kaiserreiches, ausgesetzt waren.
Das damalige Russland war ein strikter Ständestaat. Es gab 14 Ränge in der zivilen Beamtenschaft, die ihre Entsprechung im Militär hatten, wobei der erbliche Adel ganz oben stand. Rang war alles, und selbst die Kaufmannschaft war in eine erste und zweite Gilde gegliedert. Allerdings konnte man sich keinen Rang erkaufen, aber die Mitgliedschaft in einer Kaufmannsgilde. Und eben in eine solche Gilde sollte Konstantin Roerich erhoben werden.
Vorerst jedoch fing er als Buchhalter in einer Fabrik an und wurde erst technischer Zeichner und schließlich Buchhalter beim Bau der Eisenbahnlinie St. Petersburg-Warschau. Sein Vormund Eduard von der Ropp war zu der Zeit hoher Beamter beim Ingenieurskorps der Verkehrswege in St. Petersburg, also einer seiner Vorgesetzten.
Es folgte die nächste »berufliche« Station im Leben des Konstantin Roerich. Bei der Volkszählung von 1863 taucht Konstatin Roerich, der zu diesem Zeitpunkt zweifelsfrei Buchhalter in St. Petersburg ist, als Kaufmann der zweiten Gilde in der kurländischen Stadt Hasenpoth auf. Derselben Stadt übrigens, in der seine nunmehr 55 alte Mutter lebte. Und zwar mit der Adresse Kuldigas 16 direkt neben den von der Ropps, die die Adresse Kuldigas 14 hatten. Es fragt sich, woher der Buchhalter Konstantin Roerich das Geld und natürlich auch die Beziehungen hatte, um sich, obgleich in Petersburg ansässig, in Kurland als Kaufmann eintragen zu lassen. Und weshalb?
Die letzte Frage ist nicht schwer zu beantworten. 1862 nämlich hatte Konstantin Roerich die aus eben diesem Stand herkommende Maria Kalaschnikowa, die Mutter Nikolais, geheiratet.
Maria Kalaschnikowa brachte nicht viel in die Ehe mit. Man weiß, sie war Teilerbin eines Hauses in der Provinzstadt Ostrow, aber in Erbstreitigkeiten verwickelt.2 1867 musste Konstantin Roerich, der zu dieser Zeit 1500 Rubel jährlich verdiente, seine Vorgesetzten bitten, ihm ein Darlehen von 400 Rubeln zu gewähren, um eine Versteigerung des Besitzes seiner Frau zu verhindern. Aber nur wenige Monate später kam die nächste verblüffende Wende in seinem Schicksal. Aus unbekannter Quelle erhielt der nunmehr Dreißigjährige die gewaltige Summe von 10000 Rubeln, hinterlegte sie als Kaution und bekam trotz nicht abgeschlossenen Studiums eine Stelle als Notar beim St. Petersburger Kreisgericht. Aus dem Teilerbe seiner Frau kann die Summe übrigens nicht gekommen sein, denn das Haus in Ostrow war noch Jahre später im Besitz der Familie.
Damit begann sein Aufstieg, der ihm Kunden aus den besten Kreisen und ein hohes Ansehen einbringen sollte. 1872 kaufte er sogar ein gewaltiges Landgut nordöstlich von St. Petersburg und besaß damit fast alle Attribute eines Angehörigen der herrschenden Schicht des Kaiserreiches. Fast alle, denn ihm fehlte der Adel und ihn sollte er nie erlangen.
Umso wütender wird sein Sohn Nikolai eben dies später behaupten. Vor der Heirat mit seiner aus dem Hochadel stammenden Frau wird er ihren widerstrebenden Verwandten versichern, er sei adeliger Abstammung, nur könne er dies nicht beweisen, da die entsprechenden Urkunden leider bei einem Brand im Haus seines Urgroßvaters vernichtet worden seien. Als einzigen Beweis seiner angeblichen Herkunft wird er ein Wappen der Familie »Roerich« vorzeigen, das er aller Wahrscheinlichkeit selbst entworfen hat. 1930 schließlich wird es ihm gelingen, sich sozusagen selbst zu adeln,