Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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die Alternative einer Lösung der Weisheit vom Kult einerseits und anderseits der Selbstausweitung des priesterlichen Grundwissens auf die neueren Spezifizierungen der Kultur und Philosophie.

      Auch das Buch Kohelet, die anscheinend am deutlichsten profane und hellinisierte Spitze der jüdischen Weisheit, löst sich nicht vom Tempel und seiner Theologie: 4,17-5,6 betonen ganz im Sinne der älteren Kultspiritualität die Vorsicht vor äußerer Opfer-Gewissheit: Stilles Hören ist besser, und das Gelübde Gott gegenüber ist so heilig, dass es lieber unterbleiben soll, als unter Umständen dem Bruch ausgesetzt zu sein; und ganz im Sinne priesterlichen Selbstverständnisses dürfte es sein, wenn betont wird, dass das Wort vor dem Priester wie vor Gott selbst gesprochen ist. Die Warnung vor dem vorschnellen Wort – „denn Gott ist im Himmel, und du bist auf Erden“ (5,1) – entspricht dem traditionellen Ernst der kultischen Situation, in der Himmel und Erde bei aller Unterscheidung doch in besonderer Weise miteinander verschränkt sind.

      Die Weisheit offenbart über Genesis 1 und 2 hinaus die Halacha, die der geordneten Existenz entspricht, welche der Mensch nicht zuletzt als Kultteilnehmer jeweils als neue Realität erfährt.25

      Um Elemente proto-rabbinischer Rezeption des Anspruchs des Tempels auf Zentrierung der Schöpfung und der Geschichte, sowie auf Verbindung von Himmel und Erde zunächst unabhängig von der Frage nach einer Weisheits-Ontologie angehen zu können, werden wir in einem ersten Abschnitt das Dokument näher betrachten, welches ausdrücklich die rabbinische Vorgeschichte thematisiert, die Einheit MAb 1,2-15.

      Für die Zeit des Neuen Testaments liegen aber bereits zwei weitere Linien einer Rezeption des Kultanspruchs vor, die apokalyptische und die charismatisch-‚praktische‘:

      Die apokalyptischen Schriften behandeln überwiegend Themen, die aus dem Bereich kultisch vermittelter Kosmologie stammen: Es geht um die Gestaltung des Himmels, die ordnende Aufgabe der Himmlischen, um die Strukturierung der Geschichte durch die Entdeckung des dem Anfang und dem himmlischen Geheimnis entsprechenden Endes. Wie Israels Geschichte eingebettet ist in die kosmische Schöpfungsordnung, so geht die Vollendung der Heilsgeschichte nur durch eine eschatologische Neustiftung der kosmischen Ordnung vonstatten.26 Näherhin entsteht aus der Beobachtung der apokalyptischen Ausdrucks- und Offenbarungsformen die Frage, ob man nicht geradezu von einer frühen jüdischen Kultapokalyptik sprechen muss, die ihre kosmische und endgeschichtliche Perspektive durch den kultisch erschlossenen Zugang zum himmlischen Teil der Schöpfung erhält. Da 1Hen 1-36 zum ältesten, vielleicht gar vor-danielischen Teil der frühjüdischen Apokalyptik gehört, nehmen wir hier unseren Ausgangspunkt. Aus der Beobachtung der apokalyptischen Verwendung der älteren Kultideologie entsteht die Frage, ob man in diesen Kreisen noch den Kult in Jerusalem als Mittler einer eschatologischen Neu-Verbindung der Schöpfungshälften aus Himmel und Erde ansehen konnte. Deshalb schließen wir eine Untersuchung der in diesem apokalyptischen Milieu einer Rezeption des kultischen Anspruchs entwickelten Gestalt des eschatologischen Erlösers an: Es geht um den himmlisch-eschatologischen Hohenpriester-Herrscher.

      Neben der apokalyptischen Rezeption des Kultanspruchs steht eine charismatisch-praktische: Die rabbinische Literatur berichtet von Wundermännern, die in Anknüpfung und Überbietung der kultischen Erschließung des Schöpfungsgeheimnisses wirksam werden; neben Männern der vorrabbinischen und frührabbinischen Tradition begegnen hier angeblich biblische Gestalten im Sinne eines kult-prophetischen Charisma. Die mit dem Kult verbundene Möglichkeit, die himmlische Ebene der Schöpfung als den Gott nahen Bereich zu erschließen, wird hier verwendet als Basis eines direkten, symbolisierten oder ekstatischen, Zugangs zum himmlischen Haus Gottes. Hier liegt eine der wesentlichen Traditionsvorgaben für die Sohn-Tradition Jesu und der Schlüssel für die Erschließung ihres Anspruchs.

      B) Die vorrabbinische, pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst und sein Bezug zum Himmel nach MAb 1

      Der Kultus verwaltet die Schöpfung durch harmonisierende Verbindung ihres irdischen mit dem himmlischen Teil. Er ist das heilsame Zentrum der Welt.

      Wir wollen diesen Themenkomplex jedoch nicht nur phänomenologisch untersuchen, sondern historisch. Dies bedeutet nach den Vorbemerkungen des letzten Abschnitts: Wie haben die Gruppen des frühen Judentums kultisches Denken rezipiert und wie ist dabei das Kultthema ‚Mittlung zwischen Himmel und Erde‘ angegangen worden? Es geht also um den Versuch, religions- und traditionsgeschichtliche Bewegungen aufzuzeigen. Für den Bereich der vorrabbinischen Tradition, und damit für den Bereich, dem für die religionsgeschichtliche Entwicklung des nachbiblischen Judentums grundlegende Bedeutung zukommt, beginnen wir mit MAb 1,2-15.1 Wir gehen davon aus, dass die genannten Väter ab MAb 1,2 tatsächlich für das Traditionsbewusstsein eines großen Teils des frühen Rabbinats relevant sind. Formgeschichtlich ist zu beachten, dass nur knappe Kernsprüche überliefert sind, denen aber – dies eine weitere methodische Voraussetzung – signifikanter Charakter zukommt. Diese Kernsprüche müssen korreliert werden mit dem ältesten Kommentar in MAb de Rabbi Nathan und mit Nachrichten aus dem übrigen rabbinischen Schrifttum über die in MAb 1 genannten ‚Väter‘; Maßstab für die Korrelation ist die Konsistenz des Materials in traditionsgeschichtlicher Hinsicht.

      1. ‚Simon der Gerechte‘ (um 220 v. Chr.)1

      Die Mischna braucht einen kurzen Anlauf, um aus ‚illo tempore‘ des normativen Anfangs (Mose am Sinai) bis in historisch greifbare Zeiten zu kommen. Diese beginnen im 3. Jahrhundert mit ‚Simon der Gerechte‘.

      Er ist bezeichnenderweise Hoherpriester, so dass man als Grundlage hervorheben kann, dass die Ahnengalerie der Rabbinen historisch mit einem Hohenpriester beginnt.

      Da die Pharisäer aufgrund Ex 19,6 das Ideal des Priesterdienstes auf das ganze Volk ausdehnen wollen,2 also es nicht mehr bestimmten Stammes-Grenzen vorbehalten, ist als Spannungsbogen der vorrabbinischen Epoche das Programm dieser Ausweitung und Rezeption gegeben.

      Dies wird deutlich, wenn man Simon vergleicht mit Hillels Spruch von der Aaron-Jüngerschaft, der die alte, vormischnische Sammlung in 1,15 abschließt. In ihrer Anschaulichkeit noch deutlicher ist die Anekdote, die in der Baraitha bJoma 71b von den Lehrern Hilles überliefert ist: „Unsere Lehrer lehrten: Es begab sich mit einem Hohenpriester, dass er aus dem Tempel trat und alles Volk hinter ihm herging. Als sie aber Schemaja und Abtalion erblickten, überließen sie ihn sich selbst und gingen hinterher. Schließlich kamen Schemaja und Abtalion, um von dem Hohenpriester Abschied zu nehmen. Er sprach zu ihnen: ‚Mögen die Söhne der Völker (Schemaja und Abtalion galten als Nachkommen Sanheribs, also eines Nichtjuden3) in Frieden kommen!‘ Da sprachen sie zu ihm: 'Mögen die Söhne der Völker in Frieden kommen, die den Dienst Aarons tun, nicht aber komme in Frieden der Sohn Aarons, der Aarons Dienst nicht tut.‘“

      Diese Anekdote trifft sicherlich historisch korrekt die pharisäische Auseinandersetzung mit dem Hochpriestertum der späthasmonäischen Zeit.4 Das öffentliche Ansehen hat sich danach bis ca. 50 v. Chr. vom Hohenpriester weggewendet hin zum pharisäischen Frommen und dabei nicht nur die Grenze der priesterlichen Herkunftsbindungen, sondern auch die des Israel κατὰ σάρκα übersprungen. Es gibt nunmehr nichtpriesterliche Fromme, die den Aaron-Dienst im eigentlichen Sinne wahrnehmen und die sich deshalb auch seinen Aufgaben und seiner Würde stellen. Ihr Verhältnis zum Kultus ist ein doppeltes: Es geht um den wahren Aaron-Dienst und damit um eine Reform am Kultus einerseits, jedoch andererseits um eine Umgestaltung des Priesterdienstes zu einer Laien-Frömmigkeit. Wenn sich die öffentliche Reputation nach dieser Anekdote vom Hohenpriester zum pharisäischen Frommen wendet, so sind damit Erwartung und Anspruch zum Ausdruck gebracht, dass die Kontakte zur himmlischen Welt, die qua Amtsoffenbarung und segnender Vermittlung himmlischer Wundergaben am Hohenpriester hingen,5 vom Frommen wahrgenommen, ja überboten werden. Soweit zum äußeren Spannungsbogen der Einheit.

      Mit ‚Simon der Gerechte‘ beginnt die historisch greifbare Epoche des Vor-Rabbinats, und zwar mit einer Gestalt des idealen Hohenpriesters.

      Josephus Ant. XII 43 identifiziert den Simon ὁ καὶ δίκαιος ἐπικληθείς mit dem Onias-Sohn Simon I., der um das Jahr 300 v. Chr. gelebt hat. Gegen diese Identifizierung spricht, dass die rabbinischen Legenden von der Kultherrlichkeit des ‚Simon der Gerechte‘ starke Anklänge an das Lob